Schweineberge und Killeralgen

■ Landwirtschaft und Industrie sind schuld an der Stickstoff- und Phosphorbelastung der Nordsee / Schon allein die Stickstoff-Fracht im Rhein würde ausreichen, um die gesamten Niederlande mit Dünger zu versorge

Schweineberge und Killeralgen

Landwirtschaft und Industrie sind schuld an der Stickstoff und Phosphorbelastung der Nordsee / Schon allein die

Stickstoff-Fracht im Rhein würde ausreichen, um die gesamten Niederlande mit Dünger zu versorgen

„Nichts genaues weiß man nicht!“ So läßt sich der Forschungsstand über die Wirkung der Nährstoffeinträge in die Nordsee zusammenfassen. So besteht beim Ruin der Nordsee eine ähnliche Situation wie zu Beginn der großflächigen Waldvernichtung Anfang der 80er Jahre: viele Theorien, wenig handfeste Fakten.

Das macht es der Verschmutzungslobby aus Industrie und Landwirtschaft einfach, gegen Sanierungsmaßnahmen zu opponieren. Beispielsweise wird gefragt, ob es die berühmt -berüchtigten Sauerstofflöcher in der Nordsee vielleicht nicht schon immer gegeben habe - nur früher habe sich niemand der Mühe unterzogen, den Sauerstoffgehalt in der Nordsee flächenweit zu messen.

Diese Sauerstofflöcher und das damit verbundene Fischsterben wurden 1981 erstmals im größeren Umfang erfaßt: Damals sank im Tiefenwasser der Deutschen Bucht die Sauerstoffkonzentration auf 40 Prozent der Sättigung ab, der Grund war eine außergewöhnliche Algenblüte. Professor Gerlach, Vorsitzender der „Arbeitsgruppe Eutrophierung der Nordsee und Ostsee“, führte das explosionsartige Algenwachstum auf den gestiegenen Nährstoffreichtum der Nordsee zurück. Durch die zufließenden Stickstoff- und Phosphorverbindungen werden die Algen geradezu gemästet.

Verhängnisvoll ist nicht nur, daß diese Algen beim mikrobiellen Abbau enorme Mengen von Sauerstoff verbrauchen. Bestimmte Algen können auch Giftstoffe produzieren, die anderen Lebewesen den Garaus machen. Die Arbeitsgrupe wurde 1984 beim Umweltbundesamt eingerichtet. Für seine damaligen Behauptungen wurde Professor Gerlach als wissenschaftlicher Außenseiter abqualifiziert. Daß Gerlach recht hatte, wird durch folgende Daten nahegelegt: Seit 1900 ist der Stickstoffgehalt der einmündenden Flüsse um das 4,2fache angestiegen, der Phosphorgehalt ist 7,6 mal höher als vor 1900. Der Stickstoff im Rhein würde mittlerweile ausreichen, die gesamte Landwirtschaft der Niederlande mit Stickstoffdünger zu versorgen - wenn man den Rhein nur quer über die niederländischen Felder leiten könnte.

Ursache dieser „zivilisatorischen Nährstoffbelastung“ sind zum einen die Überdüngung in der Landwirtschaft und der Import von stickstoffreichem Kraftfutter. Insofern haben der Schweineberg und unser überzogener Fleischkonsum durchaus einiges mit dem Umkippen der Nordsee zu tun. Zum anderen läßt sich die Nährstoffschwemme in unseren Flüssen auf unsere Kläranlagen zurückführen. Sie können die Nährstoffe nämlich nur zum kleinsten Teil aus dem Abwasser entfernen. Ab 1992 sollen wenigstens die größeren Kläranlagen mit weitergehenden Reinigungsstufen ausgestattet werden allerdings nur neue Kläranlagen. Ob auch Altanlagen ausgebaut werden müssen (Kosten: 20 Mrd. DM), bleibt den Bundesländern (und deren finanzieller Kapazität) überlassen. Aber selbst wenn alle größeren kommunalen Kläranlagen in der BRD zur Nährstoffentfernung umgerüstet würden, hätte dies in der Nordsee nur eine Verringerung von ca. 10 Prozent beim Stickstoff und 25 Prozent beim Phosphor zur Folge.

Angesetzt werden müßte vor allem auch bei der Industrie z.B. bei der BASF AG in Ludwigshafen, die an der Spitze der Stickstoffeinleiter steht. Die Interessen solcher Firmen sind wohl mit ein Grund dafür, daß die Regierungsparteien eine Idee aus ihrer Koalitionsvereinbarung wieder haben fallen lassen: die Aufnahme von Stickstoff und Phosphor ins Abwasserabgabengesetz als abgabepflichtige Stoffe.

Für eine wirklich durchgreifende Sanierungswirkung müßten dazu parallel einschneidende Schritte in der Landwirtschaft unternommen werden. Bis sich die EG-Agrarpolitik aber endlich zu naturverträglicheren Produktionsweisen bequemt, kann jeder schon mal selbst anfangen: denn wer biologisch angebaute Produkte kauft, unterstützt damit gleichzeitig den Kampf gegen die Killeralgen in der Nordsee.Nikolaus Geiler