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Ein Leben wie in der Kaserne

■ Abgeschirmt und unter strenger Kontrolle trainieren Südkoreas SportlerInnen für olympisches Gold und einen Pensionsanspruch / Trainings-Ohrfeigen für den Ruhm unseres LandesVon Birgit Schwarz-Tenbrock

Seoul (dpa) - „Ich würde es nicht wieder tun.“ Naßgeschwitzt und atemlos hockt Han Gwang Hyun unterm Sparring-Ring. Dreieinhalb Stunden lang hat er seine Schlagkraft und Zielsicherheit mit Sandsäcken und Kameraden gemessen, bei Schattenboxen, Seilspringen und Liegestützen auch noch die letzten Reserven mobilisiert. Han, 51 Kilo schwer und 164 Zentimeter groß, ist ein Fliegengewicht und eine von rund 500 Medaillenhoffnungen des Gastgeberlandes der Olympischen Sommerspiele 1988, Seoul, Südkorea.

Seit weit über einem Jahr sind sie im Trainingszentrum Taenung am Rande Seouls zusammengezogen, gleicht ihr Leben dem eines kasernierten Soldaten. Ein mit elektronischen Sensoren versehener Maschendrahtzaun setzt ihrer Welt am Fuß des Pulsamberges Grenzen, die für die Außenwelt gänzlich, für die Athleten selbst nur bedingt durchlässig sind. Alle 14 Tage nur dürfen sie - theoretisch - das Camp verlassen, um Freunde und Familie zu besuchen. Tag und Nacht patrouilliert paramilitärische Polizei um das 330.000 Quadratmeter große, bewaldete Gelände. „Sie sind der Schatz unserer Nation“, lautet die schlichte Erklärung Oh Chin Haks, zweiter organisatorischer Leiter des Trainingszentrums, „wir haben die Pflicht, sie zu schützen.“

„Ich komme zurecht“, meint die 18jährige Bogenschützin Park Mi Kyong schüchtern auf die Frage, wie sie das straff disziplinierte Leben in fast völliger Isolation von ihren AltersgenossInnen empfindet. Wie zwei Drittel der „Taenung -Bewohner“ befindet sich Mi Kyong noch in der Ausbildung. Nach einer Stunde Aerobic und Jogging am frühen Morgen besucht sie vormittags die Oberschule. Mittags jedoch ist sie bereits ins Camp zurückgekehrt. Der Nachmittag gehört dem Sport. „Manchmal beneide ich meine Schulkameradinnen“, räumt sie schließlich doch ein. „Sie können kommen und gehen, wann sie wollen, im Cafe herumsitzen, quatschen, haben eine Menge Freundinnen. Das habe ich alles nicht.“ Einmal im Monat besucht Park Mi Kyong ihre Familie in Chonju. Zu häufigeren Besuchen reichen weder die Zeit noch das monatliche Stipendium von umgerechnet 140 Mark.

„Wollen wir im sportlichen Wettkampf gegen Europäer oder Amerikaner bestehen“, erläutert Oh Chin Hak, „bleibt uns Koreanern mit unseren kurzen Armen und Beinen, klein und leichtgewichtig wie wir sind, gar nichts anderes übrig, als so hart und kontinuierlich zu trainieren.“

Die „Wettbewerbsfähigkeit“ koreanischer Sportler zu fördern, war erklärtes Ziel jener Sportfunktionäre, die 1966, zwei Jahre nach der Tokio-Olympiade, das Trainingszentrum Taenung ins Leben riefen. Nicht zuletzt auch im Bestreben, Japan, der verhaßten Kolonialmacht von einst, mindestens ebenbürtig zu werden. Was damals mit einer Gymnastikhalle und einem winzigen Wohnheim begann, hat sich heute zum größten und wichtigsten Leistungssportzentrum des Landes gemausert. Aus ihm gingen auch jene Sportlerinnen und Sportler hervor, die Südkorea bei letzten Asienspielen einen geradezu triumphalen Erfolg bescherten: Noch vor Japan und knapp hinter China brachte man es im Medaillenspiegel auf Platz zwei.

Auch für die Olympiade sind die Erwartungen hoch gesteckt. Von zehn bis 15 Goldmedaillen ist die Rede. Große Hoffnungen setzt man auf die Ringer, Boxer, Judoka, aber auch auf weibliche Bogenschützen, Tischtennis-Asse und Handballer. „In den Kampfsportarten haben wir Vorteile“, meint Oh, fügt jedoch schmunzelnd hinzu, daß Südkorea möglicherweise nach den Sternen greift: „Sollten wir tatsächlich zehnmal Gold gewinnen, würden wir am Ende noch hochentwickelte Nationen wie die Bundesrepublik schlagen.“

Zimperlich bei der Durchsetzung ehrgeiziger Ziele ist man in Taenung allerdings nicht. Schlagzeilen machten die Methoden, mit denen Südkoreas unumstrittene Königin der Aschenbahn, Lim Chun Ae, zu Höchstleistungen angetrieben werden sollte. Wegen schlechter Zeiten ohrfeigte sie ihr Trainer derart brutal, daß das grazile junge Mädchen mit geplatztem Trommelfell ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte.

Andererseits läßt sich die Nation den „Schatz“, so er Medaillen einbringt, auch einiges kosten. Allein mit umgerechnet 370.000 Mark lohnte man Lim Chun Ae ihre drei Goldmedaillen im Mittelund Langstreckenlauf bei der Asiade. Zusätzlich erhält sie eine monatliche Rente von rund 700 Mark. Knapp 2.300 Mark kann die dreifache Goldmedaillen -Trägerin im Bogenschießen, Kim Jin Ho, inzwischen allmonatlich auf ihrem Konto verbuchen. Damit gehört sie zu den „Spitzenverdienern“ unter den 200 Star-Athleten mit Pensionsanspruch.

„Mein Ziel? Gold natürlich“, meint denn auch Han Hwang Gyun, dessen Familie in einem Seouler Armenviertel von den Taxifahrer-Einkünften des älteren Bruders lebt. Mit der Medaille, so der junge Boxer, winke ihm neben Ehre auch Befreiung vom Militärdienst und vor allem eine stattliche Prämie von 230.000 Mark. 1.500 Mark Monatsrente wären ihr sicher, erklärt Bogenschützin Park Mi Kyon, sollte ihr Traum vom olympischen Gold in Erfüllung gehen. Doch Baek Hyun Seup, Angestellter des Seouler olympischen Organisationskomitees, winkt ab: „Unmöglich“.

Dabei ist es ein offenes Geheimnis, daß sich das Gastgeberland seine Hochleistungssportler nicht allein mit Zucht und Disziplin heranzüchtet. Im Herbst steht schließlich mehr als nur der sportliche Erfolg auf dem Spiel. „Es geht“, sagt Oh Chin Hak, „um den Ruhm unseres Landes und darum, der Welt zu beweisen, wer wir sind: eine fortschrittliche, leistungsstarke, selbstbewußte Nation.“

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