ZWISCHEN HAMBURG UND ZOO

■ Interview mit Christiane F.

ZWISCHEN HAMBURG UND ZOO

Interview mit Christiane F.

Am Dienstag, dem 31.Mai, fuhr ich mit dem 17.33 Uhr-Zug von Hamburg nach Berlin. Vor dem Bahnhof spielte eine Gruppe peruanischer Musiker in Folkloregewändern, ein paar Meter weiter ein Mädchen mit langen schwarzen Haaren auf einer akustischen Gitarre. Ich huschte schnell vorbei, um mir noch etwas Proviant und ein Getränk zu kaufen. Eine Viertelstunde später stand ich im Gang des Zuges und saß abwechselnd auch in einem Abteil für Raucher. Kurz vor dem Grenzübergang Büchen-Schwanheide befand ich mich gerade wieder auf dem Gang, als die oben erwähnte Bardin mit ihrer Gitarre in der Hand mir entgegenkam und mich mit meinem Vor- und Zunamen anrief. Verdutzt fragte ich: „Wer bist Du? Kenne ich Dich?“ „Ich bin Christiane“, antwortete sie mir, und da begriff ich. Christiane, einem Millionenpublikum besser bekannt unter dem Namenskürzel Christiane F., das Mädchen vom Bahnhof Zoo, hatte ich nach drei Jahren wiedergetroffen. Das letzte Mal trafen wir uns zufällig in der Oranien-Bar in Kreuzberg, wo sie zusammen mit dem Herausgeber der Zeitschrift 'ReSearch‘ Vale aus San Francisco einen Kaffee trank. Das erste Mal trafen wir uns vor sieben Jahren beim „Festival Genialer Dilettanten“ im Tempodrom, wo Christiane F. zusammen mit Alexander von Borsig ein zehnminütiges Interview gab. Nur wenige Zuschauer wußten, daß sie es da mit der legendären Christiane F. zu tun hatten, die dort E -Gitarre spielte. Kurz: wir treffen uns mehr oder weniger zufällig alle drei Jahre wieder und jedesmal hat Christiane

-genau wie ich - eine andere Garderobe, eine andere Frisur, sodaß man sie schwer erkennen kann. Folgendes Gespräch entstand dann im Speisewagen der Deutschen Reichsbahn, wo Christiane ein Bier trank und ich eine Limonade.

Was ist das? (zeigt auf eine keulenförmige Dose, die auf dem Tisch steht)

Das ist jetzt das neue Clairol, das neue Haarspray, das auch Haarlack genannt wird - übrigens kommt es von der gleichen Firma, die auch „Born Blond“ herstellt. Das nehmen ja die meisten Punks zum Blondieren, weil es das schärfste Zeug ist. Seit zwei Jahren benutze ich jetzt Clairol und meine Haare sind in so einer Verfassung, daß ich mir 'ne neue Frisur überlegen sollte...

(Die Tischnachbarin, eine freundliche Mittvierzigerin, blendet sich ein): Kurzschneiden und rauswachsen lassen! (lacht)

Abschneiden und „Born Blond“!

Was machst du mit deiner Gitarre im Transitzug?

Laufe hinter der Paßkontrolle von Abteil zu Abteil und spiele ein Ständchen.

Was verdienst du dabei?

Das kommt ganz drauf an, wieviel die Leute davor für Ordnungsstrafen bezahlt haben. Ich habe nämlich auch mal bei anderer Gelegenheit im Abteil gesessen und mußte DM 20, bezahlen, weil ich meine Kippen auf dem Boden ausdrückte. Das habe ich nicht gemacht, um jemand zu ärgern - das Abteil war vollbesetzt - sondern weil ich mich nicht immer zum Aschenbecher herüberbeugen wollte. Im übrigen bin ich ein ordentlicher Mensch und hätte womöglich am Ende der Reise die Kippen aufgesammelt und in den Abfallkorb geworfen. Jedenfalls ist das Geld, was sie nicht für Ordnungsstrafen bezahlt haben, für mich!

Erkennt man dich bei deiner Arbeit?

Nein. Sonst würde ich meine Gage nur in Naturalien bekommen: Gemüse, Obst, Säfte und Eier.

Du spielst auf deiner Gitarre und singst dazu?

Ich singe und spiele Gitarre, aber nicht beides gleichzeitig.

Warum?

Weil ich mit dem Text schon zu Ende wäre, während ich bei der Gitarre noch meine Finger entknoten müßte, um einen neuen Griffwechsel vorzunehmen. Im Klartext: Ich singe schneller, als ich spiele.

Spielst du immer allein?

Ich kann meinen Partner seit Büchen (BRD) nicht mehr finden. Im allgemeinen mache ich das schon alleine, aber heute bin ich mit einem konkurrierenden Troubaduren, den ich zufällig am Bahnhof getroffen habe, zusammengekommen. Der scheele Blick in meine Sammelbüchse hat ihn auf die Idee gebracht, mich zum gemeinsamen Musizieren einzuladen. Aber vielleicht ist er am Zoll ein wenig aufgehalten worden.

Leider habe ich meinen Fotoapparat nicht dabei. Nun ist ein Interview ohne Foto oder Illustration nicht sehr glaubwürdig, bzw. eine sogenannte Bleiwüste, es sieht nicht gut aus...

... da hast du recht.

Vielleicht könnte ich dein Transitvisum bekommen, wenn wir in West-Berlin ankommen?

Ja gerne. Warum nicht?Das Interview führte Wolfgang Müller