Das Spiel des Jahrhunderts

■ Heute abend findet in Düsseldorf das Eröffnungsspiel der EM statt: BRD-Italien; die taz war live dabei

Das Spiel des Jahrhunderts

Heute abend findet in Düsseldorf das Eröffnungsspiel der EM statt: BRD-Italien; die taz war live dabei

Von Peter Köhler

Ich begrüße Sie, meine Damen und Herren. Nur noch wenige Minuten liegen zwischen mir und dem Anpfiff zur Begegnung Italien gegen die Bundesrepublik. Denjenigen, die sich erst jetzt zugeschaltet haben, kann ich versichern, daß sie noch nichts versäumt haben. Hoffen wir, daß Haudegen, Scharfschützen und Bomber beider Länder ihren Namen alle Ehre machen und wir in dieser hochexplosiven Begegnung einen fairen Wettstreit, erfüllt von vorbildlichem Sportsgeist, erleben.

Anpfiff! Völler hat die erste Torchance, klopft aber mit dem Ball nur ans Tribünendach. Wenn man solche Möglichkeiten ausläßt, darf man sich nicht beklagen, daß es nur 0:0 steht. Schade, jammerschade. Matthäus faßt sich ein Herz - aber nicht das eigene. Rohes Spiel! Freistoß für Italien. Pfeilschnell stürmt Vialli aus der Tiefe des Raumes auf die Höhe der Zeit, steht unbedrängt vor dem Rätsel dieser Formulierung und schießt - an die Latte!

Ja, die Erfolgskurve beider Teams zeigt mal nach oben, mal nach unten, und die Tore stehen wie Türme in der Schlacht. Thon kommt im italienischen Strafraum zu Fall. Acht, neun, ach was Elfmeter! Matthäus legt sich den Ball zurecht, läuft an und - läuft vorbei! Doch da ertönt der hochverdiente Pausenpfiff aus der unabhängigen und überparteilichen Trillerpfeife des quirligen, kaum auszurechnenden und nie ganz auszuschaltenden Schiedsrichters.

Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur zweiten Halbzeit und heiße auch jene unter Ihnen willkommen, die sich erst jetzt zugeschaltet haben. Sie haben nichts versäumt. Beckenbauer hat Völler herausgenommen. Eingewechselt ist Mill, der aber in den ersten 45 Minuten nicht sonderlich auf sich aufmerksam gemacht hat.

Aber da! Plötzlich steht Giannini frei vor dem deutschen Gehäuse. Immel wirft sich ihm entgegen, aber wirft vorbei 1:0 für Italien! Das ist eine Überraschung, eine Riesenüberraschung, ja eine Riesensensation! Aber ich habe es längst kommen sehen. Auf den Rängen herrscht unbeschreiblicher Jubel. Mir fehlen die Worte: Wildfremde Menschen umarmen sich und erkennen sich als Vater und Mutter wieder, Fahnen steigen hoch, es regnet Feuerwerksraketen, Konfetti wird geschwenkt. Die Sonne erreicht ihren höchsten Stand.

Und 0:2! Das ist sicher die Vorentscheidung, wenn nicht sowas wie die vorläufige Entscheidung in dieser Partie.

0:3! Jetzt zeigen die Italiener, mit dem Wind der sicheren Führung im Marschgepäck, alle Tricks. Sie spitzeln das Leder und zeigen die Hacken. Sie schnippeln den Ball und timen ihre Tacklings. Sie spielen mit dem Ball wie mit einer jungen Katze, stellen den Zuschauer ins Abseits und tricksen den Verstand aus. 0:4! Abgefälschter Einwurf von der Höhe der Mittellinie aus. Das dürfte nun doch die Entscheidung sein, wenn nichts dazwischen kommt. Vorsicht, Altobelli verliert im Zweikampf mit Buchwald den Kopf! Zwei Bälle im Spiel. Nun, wer den Sport hat, braucht für den Schaden nicht zu sorgen. 0:5! Indirekt verwandelter Schiedsrichterball. Anstoß für die Deutschen, das Leder kommt zum italienischen Torwart, weiter Abwurf, die Kugel glitscht Immel durch die wütenden Fäuste, 0:6! Entnervt drischt Immel den Ball in die Maschen. 0:7! Nun wird es eng für die deutsche Elf. 0:8! Wie hat es nur soweit können kommen? Korrigiere: konnen kömmen? Nein: 0:9! Muß das denn seun?! 0:10! 0:11! Endlich pfeift der Unparteiische die Begegnung ab.

Damit dürfte die endgültige Entscheidung gefallen sein, und schon das nächste Spiel kann die Wende bringen. Ich gebe zurück in die Sendezentrale und begrüße nun auch jene Zuschauer, die sich erst jetzt zugeschaltet haben. Sie haben nichts versäumt.