Dreizehn auf einen Streich

■ Hans Werner Henzes 1.Münchener Biennale für neue Musiktheater

Barbara Zuber Dreizehn auf einen Streich

Hans Werner Henzes 1.Münchener Biennale für neue

Musiktheater

Mehr kann eine Stadt für Gegenwartskomponisten des Musiktheaters wohl kaum tun: innerhalb von drei Wochen 13 Premieren hintereinander, allein acht davon Uraufführungen. Hans Werner Henze, Begründer und künstlerischer Leiter der Münchener Biennale, will mit diesem Opern-Marathon exemplarisch zeigen, wie man so etwas macht: einen Ort anbieten, „an dem theaterinteressierte Komponisten der jungen Generation ihre Idee von Musik und Theater, Musik und Aktion, Musik und Literatur, Wort und Instrumentalklang, eine Vielzahl hochaktueller Themen, in die Wirklichkeit umsetzen können.“ Popularisierung, das heißt Verständlichmachung neuer Kunst, Frischluft in die etablierte Opernszene ist seine Devise in München.

Henzes Glaubensbekenntnis zum aktuellen Musiktheater im Ohr starteten sechs junge Komponisten ihre Versuche, bei denen der Maestro eine Tutor-Funktion übernahm und - im Kontrast zum herkömmlichen Starbetrieb der Opernhäuser - eine nachdrückliche Förderung der Ensemblearbeit meist junger Nachwuchskräfte durchsetzte. Man spielte im Gasteig, suchte neue Spielstätten, fungierte Räume wie den Kongreßsaal und die Alte Astronomie des Deutschen Museums zur Opernarena um mit Hilfe des Wiener Bühnenbildners Hans Hoffer, der eine „Theatermaschine“, eine mobile Bühnenkonstruktion, erfand, die sich beliebig in jedem größeren Saal auf- und abbauen läßt. Alles sehr vielversprechend. Und sehr kostspielig. (Siehe Kasten.)

Zunächst das Eröffnungskonzert mit den Münchner Philharmonikern, die mit vier Programmen die Hauptlast der flankierenden Konzertveranstaltungen tragen: ein wackliges Unternehmen - trotz des Engagements eines hervorragenden Dirigenten (Bolschoi-Theater-Dirigent Alexander Lazarew). Daß Hans Jürgen von Boses „Symbolum für Orgel und großes orchester„, bereits für die Gasteig-Eröffnung 1985 in Auftrag gegeben, einst abgelehnt und erst auf Drängen Henzes nun uraufgeführt wurde, steht auf einem anderen Blatt. Daß aber die Uraufführung zu einer miserabel geprobten Mogelpartie durch eine akribisch notierte Partitur mit subtilen Verschmelzungen differenzierter, rhythmisch aufgebrochener Klangfelder wurde, kam fast einer zweiten Ablehnung gleich.

Danach folgten Harmlosigkeiten, neoklassizistische bzw. neoromantische Aufgüsse tonalen Materials: „Ecstatic orange“ des Amerikaners Michael Torke und ein Cellokonzert des Dänen Hans Abrahamsen. Erst die zweite Uraufführung des Abends bot wieder mehr Substanz: „Sempre Tutti“ des sowjetischen Komponisten Nikolaj Korndorf; ein eigenwilliges Werk, das den Klangrahmen einer durchgängigen Streicher- und Bläseroktave zunehmend mit quertreibenden Dissonanzen, hartnäckigen Ostinati und schließlich bruitistischen Bläser und Schlagzeugattacken auffüllt.

Einige der jungen Komponisten probierten Fluchtversuche aus: raus aus dem genormten, pflegeleichten Sound, rein ins Vergnügen des Unstimmigen. Ort des Aufstands: eine Kirche. Angesagt war eine „Apocalipsis sine figuris“ von Karl -Wieland Kurz, der in seine Partitur Texte und Performance -Elemente montierte, die sich um das Komponieren heute, um Apokalyptisches, als Zerstörungsphänomene der Außen- und Innenwelt, und um nicht angepaßte, anarchistische Denkmodelle bewegen. Das Werk ist eine Montage aus deformierten Streicher- und Bläserklängen. Alles verwischt, ausgefranst, unordentlich, aus den Fugen. Die geräuschhaften Attacken der Solisten, Sprachbrocken werden schrill verfremdet, in gegensätzliche, verschreckte, jaulende oder krächzende Ausdruckscharaktere umgestülpt.

Nach der ersten Woche sah es so aus, als habe das Münchener Märchen von der anderen Oper noch nicht so recht Wirklichkeit werden können. Zunächst ein hochästhetisiertes Märchenspiel um ein Liebespaar aus dem persischen Mittelalter, soft, elegisch, blaß: „Leyla und Medjnun“ von Detlev Glanert (Musik) und dem deutsch/türkischen Librettisten-Gespann Peter Schneider/Aras Ören, ausgestattet von der Henze-Entdeckung Rosalie. Sie, Leyla, verzehrt sich; er, Medjnun, der Dichter, ist - nicht ganz von dieser Welt verliebt in die Liebe, und das heißt hier: in seine eigenen Verse.

Also spielte man statuarisches Oratorium mit steifer Gruppenchoreographie, hüllte sich in eine phantastische Ausstattungsoper, die farbenreich das beschwören soll, was man als epigonalen, faden Aufguß eines symbolistischen Musiktheaters anbot.

Zum Glück hatten die Biennale-Manager einen neuen Nebenspielort entdeckt, die alte Sternwarte im Deutschen Museum, einen reizvollen ovalen Raum. Einziges Handicap: zu wenig Sitzplätze für Karl Amadeus Hartmanns wieder aufgefundene „Fünf kleinen Opern“ (Wachsfigurenkabinett), die, nach Skizzen vervollständigt, unter der musikalischen Leitung von Georg Schmöhe gespielt wurden. Komponiert Ende der zwanziger Jahre, sind diese Kurzopern im Stil der Neuen Sachlichkeit reizvolle Genrestücke zwischen Revue, Moritat und Slapstickkomödie, pfiffige Parodien auf den bürgerlichen Zeitgeist, dem es vor den Kommunisten und der Revolution ebenso grauste, wie er dem Amerikanismus frönte, sich an den Commedian Harmonists freute, Autos anbetete oder sich im Theater Schauergeschichten über Rasputin ansah.

Bis jedoch diese Hartmann-Funde ins Repertoire eingemeindet werden können, müßte eine weniger platte Regie als die des Amerikaners Ian Strasvogel her. Was bissig, sarkastisch im Brecht/Weillschen Songstil, mit Hindemithscher Marschfrechheit oder parodistisch als Operettenpersiflage szenisch auf Trab gebracht werden mußte, verkam zur schlecht kopierten Stummfilmklamotte, hüllte sich in eine biedere Zwanziger-Jahre-Nostalgie.

Erst am Ende der zweiten Biennale-Woche durfte Henzes Mannschaft den ersten wirklich großen Publikumserfolg verbuchen, mit Gerd Kührs Kroetz-Oper „Stallerhof“, hervorragenden Sänger-Schauspielern und dem brillanten Ensemble Modern (Leitung: Ulf Schirmer), inszeniert von Jaroslav Chundela. Ein bäuerliches, karges Figurenmonument vor kahler, weißgetünchter Bühne (Ausstattung: Johannes Leiacker). Ein schöner Erfolg, aber ein bedenklicher.

„Kunst ist dazu da, um zu verschärfen, zu exemplifizieren, um Modelle zu schaffen“, sagt Franz Xaver Kroetz, der sein Erfolgsstück „Stallerhof“ dem österreichischen Komponisten und Henze-Schüler Gerd Kühr zur Veroperung freigab. Aber es ist schon ein Kreuz mit der Oper: Gute literarische Stoffe zu vertonen, ist noch lange keine Garantie für gelungenes Musiktheater. Sollte die Kroetz-Vertonung als Muster eines realistischen Musiktheaters vorgeführt werden, so gelang dies nur selten, auf dem schwankenden Boden einer zu glatten, kaum aufgerauhten Musik.

Was F.X.Kroetz an seinem großen Vorbild Horvath schätzte und in seinen Theaterstücken realisierte, nämlich die „Kenntlichmachung der zwingenden Struktur durch Aussparung“, hier wurde sie von einer Musik aufgesogen, die von Beginn an alles, was in der Geschichte der Beppi so hart aufstößt, in einen chromatischen Klanggrund hineinzog, als Sinnbild der Natur, des immergleichen Alltags auf einem Einödhöf. Worte, so barsch wie die des Stallerhof-Ehepaares, können da nicht mehr kantig und unbehauen herausfallen. Die ganze sozialpsychologische Zwangslogik, die Einsilbigkeit dieser Kroetz-Figuren fällt zusammen, treibt dahin auf einem raffiniert instrumentierten Klangwasserbett, das zuweilen blubbert, kleine oder größere Wellen schlägt und heftige Schlagzeugwogen emporpeitscht.

Gerd Kühr ist da in eine typische Falle des zeitgenössischen literarischen Musiktheates getappt: Wenn das Vertrauen in die Sprache, in den Dialog als Kommunikation geschwunden, Sprache vom Schweigen durchlöchert ist, wie im „Stallerhof“, dann kann die Musik als Darstellungssprache nicht mehr in Wagnerscher Manier als „zum Tönen gebrachtes Schweigen“ einspringen. Kührs Musik tat es - und sentimentalisierte.

Erkennbares Vorbild für Kühr war Alban Bergs „Wozzek“. Besonders die Behandlung der Stimmen, der abrupte Umschlag von emotional gespannter Kantilene in Sprechgesang, die rhytmische Umsetzung des Sprechduktus sind dem „Wozzeck“ abgelauscht, ebenso die Art und Weise, wie Schlagzeugpassagen als Symbol für Aggression und Unterwerfung von der Sprache abgelöst werden.

Doch während Berg kompositorisch vielschichtig, mehrdeutig seine Semanteme in absolute musikalische Strukturen als Nachvollzug der sozialen Verhältnisse übersetzte, bleibt Kühr unverhüllt plakativ, auch im Einsatz verschiedener musikalischer Idiome, die als heimelige Hackbrettklänge, Bachchoral oder als modaler Drei-Gesang von Bibelsprüchen dastehen wie tönende Marterlbilder am Wege. Servus Kroetz!

Keine musikalischen Marterlbilder bot die Komponistin Adriana Hölszky mit ihrer Fassbinder-Oper „Bremer Freiheit“, ein mutiges, unangepaßtes und unglaublich phantasievolles Stück. Darüber mehr im nächsten Bericht.