Sonderrichter für sozialschädliches Verhalten

■ Die geheim tagende Gewaltkommission der Bundesregierung schreckt vor keiner Option zurück / Von Till Meyer

Sonderrichter für sozialschädliches Verhalten

Die geheim tagende Gewaltkommission der Bundesregierung

schreckt vor keiner Option zurück / Von Till Meyer

Seit Anfang des Jahres tagt unter Ausschluß der Öffentlichkeit eine sogenannte Gewaltkommission. Ziel: Gutachten für die Bundesregierung zu Konsequenzen aus „politisch motivierter Gewalt“. Das „Forschungsvorhaben“ geht auf eine Koalitionsabsprache zurück, durch die die FDP Gesetzesvorhaben im Bereich „Innere Sicherheit“ fundieren wollte. Der taz liegt ein Sitzungsprotokoll der Kommission vor, aus dem hervorgeht, in welche Richtung dort gedacht wird. Gewünscht ist der Polizeistaat auf Raten.

Unbemerkt von der Öffentlichkeit und selbstverständlich unter Ausschluß selbiger, tagte am 15. März 1988 die von der Koalition im letzten Herbst ins Leben gerufene Gewaltkommission auf dem Frankfurter Flughafen. Eingeladen hatte Flughafen-Chef Dr. Borst - und fast alle, die in dieser Republik in Sachen Recht und Ordnung einen Namen haben, kamen. Nach der Begrüßung durch Dr. Borst und einem kräftigen Mittagessen machten sich die 27 hohen Gäste aus Polizei, Justiz und Politik auf den Weg zur Sightseeing-Tour entlang der jahrelang erbittert umkämpften Starbahn 18 West. Die Entscheidung, eine Sitzung der Staatlichen Gewaltkommission gerade an diesem Ort durchzuführen, war keineswegs zufällig. Nach der Tatortbesichtigung konnten sich die Herren mittels Film- und Videoaufzeichnungen ein Kinobild über die Auseinandersetzungen an der Startbahn machen, um so eingestimmt über den Zweck ihres Zusammentreffens diskutieren zu können.

Sorgen bereitet der Kommission offenbar eine zu schlaffe Justiz. Die Verfolgung „politisch motivierter Gewalttäter“, so der Tenor der Diskussion, weist erhebliche Lücken auf. Eine der Lücken besteht darin, daß selbst „nicht vermummte Gewalttäter“ nur in den seltensten Fällen auch verurteilt werden. Denn die von den Tätern gemachten Videoaufnahmen lassen auch „bei nichtvermummten Tätern selten eine Identifizierung zu“. Um dem Abzuhelfen, schlägt der zu der Sitzung als Experte geladene Kriminalrat Krumb eine „verstärkte Öffentlichkeitsfahndung“ vor. Krumb schwebt vor, vielleicht im Anschluß an die 'Tagesschau‘ Fahndungsbilder über den Bildschirm zu schicken, eine Art 'XY‘ für „Demonstrationstäter“.

Helfen die technischen Beweismittel schon häufig nicht weiter, so ist die Mehrheit der Kommissionsmitglieder mit den Augenzeugen erst recht nicht zufrieden. Viele würden ihre Aussagen zurückziehen, weil sie Bedroht würden und von der Justiz keinen ausreichenden Schutz erhielten. Polizeidirektor Baderschneider, ebenfalls als Experte geladen, weiß aus seiner Praxis ein Lied zu singen. Baderschneider: Es gibt Fälle, wo ein Zeuge regelrechten „Terrormaßnahmen ausgesetzt ist“, die ihm unmißverständlich klarmachen sollen, daß es für ihn und seine Familie besser ist, die Anzeige zurückzunehmen. Professor Krey, reguläres Kommissionsmitglied, macht einen Vorschlag zur Abhilfe: Man müsse Zeugen unmittelbar nach Anzeigenerstattung sofort richterlich vernehmen. „Die einmal gemachte Aussage kann dann trotz eventuell erfolgtem Widerruf verwertet werden.“

Dem ehemaligen Polizeipräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Hans-Werner Hamacher, scheinen diese Vorschläge nicht ausreichend. „Man muß verstärkt mit Polizeizeugen arbeiten, das sei die einzige Chance.“ Mit dieser Methode wurden „schließlich bei der Bush-Demonstration in Krefeld 80 Personen festgenommen“. Denn schließlich war der Provokateur des Berliner Verfassungsschutzes, Tröber, bei der Demonstration in vorderster Front im Einsatz. Damit die Rechnung aber auch aufgeht, hält Hamacher „Seminare für die Polizei zum Verhalten vor Gericht für unbedingt notwendig“.

Der amtierende Landespolizeichef von Baden-Württemberg, Alfred Stümper, kann seinem Kollegen da nur beipflichten. Allzu häufig käme es vor, daß die Verteidiger in solchen Verfahren „zum Angriff übergehen und die Polizeizeugen unglaubwürdig erscheinen lassen“. Stümpers Fazit: Notwendig seien Gesetzesänderungen, die „Tatbestände des Strafgesetzbuches handhabbarer machen, und Formalien, die die Strafprozeßordnung unnötig belasten, auf ihre Notwendigkeit (zu) überprüfen“. Das Kommissionsmitglied Professor Schmidt-Jortzig möchte dagegen gleich aufs Ganze gehen. Um die „Beweisschwierigkeiten ein für allemal in den Griff zu bekommen, schlägt er die Einführung von „Sonderrichtern“ für Demonstrationsstraftäter vor. Um die Beweisführung zu erleichtern, möchte er einen zusätzlichen Straftatbestand einführen, mit dem die Probleme auf einen Schlag zu lösen wären. „Sozialschädliches Verhalten“, was immer darunter zu verstehen ist, müsse unter Strafe gestellt werden. Demonstrationsteilnehmer als Volksschädlinge?

Der Vorsitzende der „Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen“ in Berlin, Wolfgang Schomburg, ist nach einem Einblick in das Sitzungsprotokoll jedenfalls hell entsetzt. Er fühle sich, so teilte er der taz mit, nach der Lektüre an eine „besonders schlimme historische Tradition erinnert“. „Der Weg zu Ausnahme- bzw. Sondergerichten ist offenbar nicht mehr weit.“ Die Verfassungstreue der Autoren dieser Gedanken, so Schomburg, ist ernsthaft zu bezweifeln. „Es ist höchste Zeit, daß die Kommission aufgelöst wird.“

FDP wurde reingelegt

Dabei hatte die Gewaltkommission ursprünglich eine ganz andere Intention. In der Gründungsphase gab es zunächst einmal Gerangel in der Koalition. „Eigentlich ist die Einsetzung einer solchen Forschungskommission bei den letzten Koalitionsverhandlungen auf Drängen der FDP vereinbart worden in der Hoffnung, Zimmermann zu bremsen. Aber das personelle Vorschlagsrecht hatte der Innenminister“, klagt der stellvertretende Kommissionsvorsitzende, der FDP-Rechtsexperte und ehemalige Berliner Justizsenator Professor Jürgen Baumann, gegenüber der taz. Zimmermann hatte zunächst nur einen Vorsitzenden geplant und hievte auf diesen Posten seinen Parteifreund, den ehemaligen CDU-Justizminister von Niedersachsen Schwind.

Die konservative Riege, die Zimmermann und Schwind dann zusammenstellten, war für die FDP offensichtlich so rechtslastig, daß man auf personellen Änderungen bestand. Sowohl die Fraktion der FDP als auch das Bundesjustizministerium, so Baumann, erhoben massiven Einspruch. Um des Friedens willen plazierte man nun FDP-Mann Baumann als Vize („Ich hatte keine Chance, das abzulehnen“) und setzte in jede der acht Unterkommissionen einen der FDP genehmen Experten hinzu. So zusammengesetzt, konnte dann im Januar 1988 die Kommission ihre erste Plenarsitzung abhalten.

Der Abschlußbericht der Kommission soll spätestens 1989/90 der Regierung in Form von Gutachten vorliegen und bei der Einführung neuer Gesetze sowohl im präventiven wie im repressiven Bereich praktische Hilfe leisten.

Offenbar drängt man in Bonn auf schnelle Ergebnisse. Stellvertreter Baumann zufolge findet in den Arbeitsgruppen Sitzung auf Sitzung statt. Demnächst wieder in Frankfurt, dann in der Polizeiführungsakademie in Hiltrup, also am laufenden Band. Daß bislang trotz permanenter Treffen nur wenig über Inhalte und Kommissionen bekannt ist, verwundert nicht. Vize-Chef Jürgen Baumann: „Wenn Sie meinen Namen nennen, schreiben Sie, daß ich mich ausdrücklich geweigert habe, inhaltliche Stellungnahmen abzugeben. Ich kann Ihnen nur formale Auskunft geben. Denn Herr Schwind und ich, wier haben vereinbart, daß wir nicht laaufend divergierende Presseerkrlärungen abgeben.“