HERZEN UND STRAHLEN

■ Fleetwood Mac in der Waldbühne

HERZEN UND STRAHLEN

Fleetwood Mac in der Waldbühne

Die Waldbühne bei Dauerregen, das ist schon ein trauriges Spektakel. Jede andere Veranstaltung würde abgesagt. Aber die unter dem zeltartigen Dach bekommen Zehntausende, und die im Regen haben ein Viertel bis das Dreifache eines Tageslohns (46 Mark) aufgebracht. Da heißt es durchhalten.

Die Frisuren sind akkurat. Die unter dem Dach, natürlich. Die Herren an den Lead- und Rhythmus-Gitarren haben sich ihre Löckchen brav hinter die Ohren kämmen lassen. Die beiden Damen imponieren mit blonden Mähnen; die eine hat die Tasten vor sich, die andere gestikuliert mangels Gerät mystische Figuren in die Luft: Es ist die mit der etwas zu wohlbekannten Blechstimme.

Die Lackaffenfraktion tut mir ein bißchen leid. Das Rockpathos wirkt aufgesetzt; die arbeiten mit der verkrampften Gier mittlerer Manager, die irgendwann einmal aussteigen wollen, aber erst wenn die Villa am Strand bezahlt ist. Entspannt dagegen die ergraute Abteilung an Baß und Schlagzeug. Mick Fleetwood, Guru-Typ, schafft es wirklich, den Mund so zu verzerren, als wenn ihm das Durchprügeln des Uralt-Materials echte Lust verschaffe. Er sieht diese irgendwie doch traurigen Deutschen im Regen stehen und ist in Gedanken schon wieder in Californien. (Rat ich mal: rumors.)

Einen hätte ich fast vergessen, weil die Band ihn schlichtweg ignoriert. Er ist ein schwarzer Percussionist, der hinten rechts am äußersten Bühnenrand plaziert worden ist. Kaum jemals dringen die federnden hölzernen Schläge durch die Betonmauern der Harmonientürme. Der Alibi-Neger.

An einzelnen Songs ist noch zu hören, woher diese Musik mal kam; Anklänge an Jefferson Airplane und zwei, drei Einlagen deftiger Blues. Einer, karg und spröde dargeboten von den beiden Alt-Macs und dem neuen Gitarristen der Band, Rick DeVito, erinnert an die besten Tage von Cream. Wie der Blues locker springt, wie sich das musikalische Geflecht öffnet und transparent wird. Aber da bin ich vom bebenden Rasen schon hochgestiegen auf die patschnassen Ränge, um nach Hause zu gehen. Irgendwie haben die schweren akustischen Wellen mein Herz ein bißchen angegriffen; nicht übers Ohr, sondern frontal. Man wird älter.

Es ist dunkel geworden, oder wenigstens düster. Leere Bänke glänzen im Regen. Ein dürrer, dunkelhaariger Mann Ende 30 hat seiner weit volleren blonden Frau den Kopf seitwärts auf die Schulter gelegt und seine Augen geschlossen. Beide halten Kerzen in den Händen. Es geht eben nicht um Musik; es geht um Erinnerungen. Deshalb hat auch eine Vorgruppe keine Chance, deren Arrangements denen Fleetwood Macs an Plattheit um nichts nachstehen (und die uns, als der Regen noch spärlich fiel, mehr müde gespielt als in Stimmung gebracht hat).

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, am Ende noch eine häßliche Bemerkung zu machen: daß ein paar Tausend kostenlos verteilte April-Ausgaben des 'Wieners‘ - dachförmig über die Köpfe gehalten - völlig durchgeweicht seien, wäre doch ein positiver Aspekt des Dauerregens gewesen. Aber in meinem Exemplar (ich hatte einen Schirm) las ich in der U-Bahn einen Bericht über die Folgen von Tschernobyl für die bayerische Bevölkerung. Es ging hauptsächlich um Niedrigstrahlung; aber auch die „heißen Teilchen“, seit langem wieder in den Zeitungsschlund des Vergessens gerutscht, werden gründlich thematisiert.

Was hätte der Regen vor zwei Jahren bedeutet? Wie schnell man eine tödliche Gefährdung vergißt; wie lange die albernsten Melodien im Kopf bleiben.Ulf Erdmann Ziegler