Die verspätete Völkerwanderung

■ Dänemark - Spanien 2:3 / Trotz eines massiven Dänenaufgebots im Stadion keine Chance für die Nordländer

Die verspätete Völkerwanderung

Dänemark - Spanien 2:3 / Trotz eines massiven Dänenaufgebots im Stadion keine Chance für die Nordländer

Aus Hannover Matti Lieske

Als sich die Völker im 4. Jahrhundert auf ihre Wanderschaft begaben, war der Stamm der „Hooligans“ noch nicht dabei. Wohl aber die Vandalen. Sie hausten mal hier, mal da, und nun wurden sie zur Fußball-Europameisterschaft in der Bundesrepublik erwartet. Die Organisatoren hatten jedoch vorgesorgt. „Vandalen Buitenspel“ - Vandalen ins Abseits hieß eine Parole der Polizei u.a. im schönsten niederländisch, und die Angesprochenen waren beeindruckt. In Hannover zum Spiel Dänemark - Spanien ließen sie sich jedenfalls nicht blicken.

Dafür aber die Dänen, und das fast vollzählig. So glich die Gegend um den Maschsee bereits in den Mittagsstunden einem Heerlager Hamlets, mal vorausgesetzt, die Mannen des prinzlichen Grüblers und Geistersehers trugen weißrote Trikots und Mützchen, hatten ihre Gesichter weißrot bemalt, waren mit weißroten Fähnchen gespickt und tranken unablässig Bier. Auf dem Marktplatz der Stadt schwummerten Alkoholdünste, und der Gerstensaft floß so hurtig die nordischen Kehlen hinunter, daß man sich eingedenk der Promillekontrollen vom Eröffnungsspiel fragen mußte, ob es überhaupt ein Däne bis ins Stadion schaffen würde.

Die Furcht war unbegründet. Alle schafften es. Kurz vor Anpfiff war das Niedersachsenstadion ein Meer von Dänen, ein Traum in weißrot, der allerdings schon nach sieben Minuten abrupt beendet wurde. Da schoß Spaniens Michel ein Tor, und spätestens jetzt war klar, daß am vielbeschworenen „Danish Dynamite“ der Zahn der Zeit gehörig genagt hat. Das Pulver ist feucht, die Explosivität dahin. Elkjaer trägt nur noch seine Wucht spazieren, die morschen Gelenke des Libero -Veteranen Morten Olsen hört man bis auf die Tribüne knacken, Laudrup, schon bei Juventus Turin als Nachfolger von Frankreichs Michel gescheitert, spielt, als trage er zwei Platinis auf den Schultern, Lerby ist inzwischen im Veitstanz besser, und der grimme Recke Berggren, der einst die gegnerischen Stürmer gleich im Dutzend fällte, sitzt nicht mal mehr auf der Bank.

Die flinken, überfallartigen Angriffe der Spanier stürzten die dänische Abwehr jedenfalls in tiefe Verwirrung, so als spielten da lauter Hergets, und auch die einzig gelungene Aktion von Laudrup, die in der 26. Minute den Ausgleich brachte, konnte die spanische Überlegenheit nicht kaschieren. Ein Abseitstor Butraguenos und ein wunderhübscher 30-Meter-Freistoßheber Gordillos, bei dem Torwart Rasmussen allerdings Pate, weil zu weit vorn stand, brachten in der zweiten Halbzeit die Entscheidung. Und während der mikroskopisch winzige spanische Block angeregt zu schunkeln begann, machten sich Hamlets Untertanen bereits 20 Minuten vor Schluß scharenweise auf den Heimweg.

Die technisch brillanten Spanier, bei denen vor allem Michel, Victor und Gordillo glänzten, machten sich nun daran, die Dänen regelrecht vorzuführen, eine Überheblichkeit, die sich in der 80. Minute rächte: Povlsen erzielte per Kopfball den Anschlußtreffer. Das Spiel war jedoch gelaufen, auch wenn sich gegen Ende zeigte, daß es ein Vandale doch geschafft hatte. Sören Lerby tobte und wütete auf dem Spielfeld wie einst Geiserich in Rom, konnte beim stoischen Schiedsrichter Thomas (Niederlande) jedoch nicht mal eine gelbe Karte herausschlagen.

Zum drittenmal nach der EM 84 und der WM 86 waren die Dänen den Spaniern in einem wichtigen Spiel unterlegen, und Trainer Piontek knurrte nach dem Spiel aus vollstem Herzen: „Laßt mich in Zukunft mit den Spaniern zufrieden.“

DÄNEMARK: Rasmussen - Morten Olsen (65. Lars Olsen) Busk, Nielsen - Sivebaek, Laudrup, Helt (46. Jensen), Lerby, Heintze - Povlsen, Elkjaer.

SPANIEN: Zubizareta - Tomas, Andrinua, Sanchis, Camacho (46. Soler) - Michel, Victor, Gallego, Gordillo (87. Martin Vazquez) - Bakero, Butragueno.