Kopfgeld und der Mythos vom Neubeginn

■ Die D-Mark wird 40 Jahre / Stationen einer Karriere / Mit der Währungsreform nahm das Wirtschaftswunder seinen Lauf / Gewinner und Verlierer gab es von Anfang an / Rekonstruktion des bundesdeutschen

Kopfgeld und der Mythos vom Neubeginn

Die D-Mark wird 40 Jahre / Stationen einer Karriere / Mit

der Währungsreform nahm das „Wirtschaftswunder“ seinen Lauf / Gewinner und Verlierer gab es von Anfang an /

Rekonstruktion des bundesdeutschen Kapitalismus spiegelt

sich im Siegeszug der DM wider

Von Kurt Zausel

Am Anfang stand eine Proklamation. „Das erste Gesetz zur Neuordnung des deutschen Geldwesens ist von den Militärregierungen Großbritanniens, der Vereinigten Staaten und Frankreichs verkündet worden und tritt am 20.Juni in Kraft. Die bisher gültige deutsche Währung wird durch dieses Gesetz aus dem Verkehr gezogen. Das neue Geld heißt „Deutsche Mark“, jede Deutsche Mark hat 100 Deutsche Pfennige. Das alte Geld, die Reichsmark, die Rentenmark und die Alliierte Militärmark, ist vom 21.Juni an ungültig.“

Der „Tag X“ war gekommen. Die Westalliierten führten in ihren Zonen eine radikale Währungsreform durch. Die neuen Banknoten lagen bereits seit Oktober 1947 in den USA und waren bis April 1948 nach Frankfurt gebracht worden. 500 Tonnen bedrucktes Papier im Nennwert von 5,7 Milliarden D -Mark wurden in einer beeindruckenden logistischen Operation unter die Leute gebracht. Jeder Bewohner der Westzonen hatte Anspruch auf einen Kopfbetrag von 60 Mark im Tausch gegen Altgeld in gleicher Höhe. Gegen Vorlage einer Lebensmittelkarte wurden 40 Mark sofort ausbezahlt. Die restlichen 20 folgten zwei Monate später. Für Bankguthaben und frühere Reichsmarkforderungen erhielt man von 100 Reichsmark gerade noch 6,50 Mark gutgeschrieben. Ein gutes Geschäft für den, der hohe, auf Reichsmark lautende Schulden aufzuweisen hatte. Noch besser traf es aber die Besitzer von Sachwerten. Deren Vermögenswerte wurden von der Währungsumstellung erst gar nicht angetastet. Wer schlau genug war und die Möglichkeit hatte, sein Vermögen in Grundstücken, Häusern, Maschinen oder auch einen Perserteppich anzulegen, gehörte bereits am Anfang zu den Gewinnern.

Weit mehr als 90 Prozent der alten Reichsmarkbestände wurden aus dem Verkehr gezogen. Waren, die bislang nur zu horrenden Summen auf den Schwarzmärkten zu erhalten waren, lagen von heute auf morgen in den Schaufenstern. Selbst ein Volkswagen war innerhalb von einer Woche lieferbar - gegen 5.300 Mark. Das „Wirtschaftswunder“ nahm seinen Lauf.

Allerdings nicht, wie der Mythos glauben lassen will, infolge der Wunderdroge DM. Die Mark erlebte sogar schnell ihre ersten Krisen. Bereits im Spätsommer 1948 stiegen die Warenpreise steil an und machten sich erste Anzeichen einer Inflation bemerkbar. Im Jahre 1951 wurde die D-Mark mit einer jahresdurchschnittlichen Rate von 11 Prozent entwertet. Im September 1949 mußte sie wegen der stetigen Leistungsbilanzdefizite gegenüber dem US-Dollar abgewertet werden. Und im Herbst 1950 sah sich der Notenbanker Ottmar Emminger sogar gezwungen, bei der Europäischen Zahlungsunion neben den normalen Kreditlinien um einen Sonderkredit zu bitten, um eine ernsthafte Zahlungsbilanzkrise abwenden zu können. Wie heute im Falle der verschuldeten Länder der Dritten Welt, wurde dieser Kredit nur in Verbindung mit scharfen wirtschaftspolitischen Auflagen gewährt.

Diese Startschwierigkeiten waren allerdings schnell überwunden. Dank der politischen und ökonomischen Unterstützung der USA bei der Rekonstruktion kapitalistischer Marktverhältnisse und der trotz Kriegszerstörungen günstigen Produktionsvoraussetzungen der deutschen Industrie kam der Akkumulationsprozeß in Fahrt. Niedrige Löhne förderten die Verwertungsbedingungen und der von den USA geführte Korea-Krieg sorgte für eine hohe internationale Nachfrage, von der insbesondere die traditionellen deutschen Exportsektoren profitierten.

Die Preissteigerungsrate reduzierte sich zwischen 1952 und 1960 auf weniger als ein Prozent im Jahresdurchschnitt. Außenwirtschaftlich entwickelte sich die BRD zu einem strukturellen Überschußland. Die erfolgreiche Rekonstruktion des bundesdeutschen Kapitalismus spiegelt sich im Siegeszug der D-Mark wider.

Die Stabilitätserfolge der BRD sind erstaunlich. In dem 40jährigen Bestehen der DM ist der Preisindex der privaten Lebenshaltung um nur jährlich 2,7 Prozent angestiegen. Selbst in der Stabilitätshochburg Schweiz fiel der Anstieg höher aus. Dennoch: Mit einer Mark aus dem Jahr 1948 könnte heute gerade noch eine 30-Pfennig-Briefmarke erstanden werden. Ganz anders verhält es sich mit dem Außenwert der DM. Alle wichtigen Währungen der Welt kosten heute im Durchschnitt 60 Prozent weniger als im Jahr 1950. Dieser Wertzuwachs erst macht es erst möglich, daß Kreti und Pleti sich all over the world ihre Sonnenbrände einfangen können.

Stetige Handels- und Leistungsbilanzüberschüsse haben die Kassen der Deutschen Bundesbank so weit gefüllt, daß bis vor kurzem sogar Obersparer Stoltenberg an den daraus resultierenden Zinsgewinnen hat profitieren können. Die DM wird entsprechend der ökonomischen Leistungsfähigkeit deshalb auch gerne von ausländischen Vermögensbesitzern in ihr Portefeuille genommen. In der Hitparade der Weltreservewährungen nimmt sie hinter dem US-Dollar seit geraumer Zeit noch weit vor dem japanischen Yen den zweiten Rang ein. Die gesammte Summe aller von Gebietesfremden gehaltenen Finanzanlagen belief sich Ende des Jahres 1987 auf 650 Mrd. D-Mark - immerhin ein Drittel des Wertes des Bruttosozialproduktes.

Und auch für die Abwicklung des Werthandels spielt die deutsche Mark eine wichtige Rolle. Mehr als 15 Prozent der internationalen Warentransaktionen werden in D-Mark fakturiert. Im Europäischen Währungssystem schließlich ist die Mark die Hegemonialwährung, die den Partnerländern die Spielräume für ihre nationalen Wirtschaftspolitiken diktiert. Der seit Mitte der siebziger Jahre eingeschlagene harte anti-inflationäre Kurs hat auch die anderen EWS-Länder nolens volens zur Sparsamkeit getrieben. Die Rolle der D -Mark als zweitwichtigste internationale Reservewährung wird allerdings von der „Währungshüterin“ der Nation, der in Frankfurt ansässigen Deutschen Bundesbank nicht gerne gesehen. Grund des Mißbehagens sind die ständigen Konflikte zwischen der internationalen und der binnenwirtschaftlichen Funktion der D-Mark. Angesichts der seit Jahren währenden spekulativen Grundstimmung auf den internationalen Geld- und Finanzmärkten kommt es regelmäßig innerhalb kürzester Frist zu hohen Geldzu- und -abflüssen in Größenordnungen von bis zu 40 Mrd. Mark. Zur Austarierung der Wechselkursschwankungen muß die Bundesbank entsprechend auf den Devisenmärkten intervenieren. Das seit 1975 geltende Ziel, ein stetiges Wachstum der Geldmenge zu gewährleisten, droht deshalb ständig zu scheitern. Der enorme Stabilitätsvorsprung der D-Mark gegenüber den europäischen Partnerländern ist der Grund, warum Bundesbanker abwinken, wenn es um die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Währung und Notenbank geht. „Gutes Geld wie die D-Mark“, so die Bundesbank in ihrem Jubelartikel zum 40. Geburtstag der D-Mark, „sollte nur gegen ebenso gutes europäisches Geld eingetauscht werden.“