Sanfte Geburt in Heidelberg unerwünscht

■ Die Heidelberger Universität will eine Hebamme loswerden, die in einem Gebärzimmer die sanfte Geburt praktiziert / Eltern unterstützen die Hebamme / Gericht entscheidet heute / Fadenscheinige Begrün

Sanfte Geburt in Heidelberg unerwünscht

Die Heidelberger Universität will eine Hebamme loswerden,

die in einem Gebärzimmer die sanfte Geburt praktiziert /

Eltern unterstützen die Hebamme / Gericht entscheidet heute / Fadenscheinige Begründung für die vorgesehene Kündigung

Von Felix Kurz

Heidelberg (taz) - Pia Keßler-Städtler, 29, Ehemann Thomas, 31, und die Hebamme Mechthild Zarth kennen sich aus dem Geburtsvorbereitungskurs. Gegen 22.30 Uhr fahren sie gemeinsam in die Frauenklinik der Heidelberger Universitätskliniken. Sie haben keine Eile, denn die Fahrt geht nicht in eines jener Krankenhäuser, in denen Kinder nur zur Dienstzeit das Licht der Welt erblicken, sondern in ein in der Bundesrepublik bislang einmaliges Gebärzimmer. Geleitet wird dies seit 1984 von der in Heidelberg niedergelassenen Geburtshelferin Mechthild Zarth in der Universitäts-Frauenklinik.

Die Prunkstücke des Zimmers, das große Bett und eine runde Badewanne, schaffen zusammen mit der hölzernen Wickelkommode, ein paar Sesseln, zahlreichen Bilder und ein paar Blumen den äußeren Rahmen für eine sanfte Geburt. Bis auf ein CTG, dem Cardiotokogramm, mit dem man die kindlichen Herztöne überwacht, fehlt jegliche Apparatur.

Knapp sechs Stunden später begießen Pia und Thomas Keßler -Städtler noch an Ort und Stelle mit der Hebamme und einem Arzt das freudige Ereignis, die Geburt des Töchterchens Camilla, mit einer Flasche Sekt. Pünktlich zum Frühstück sind sie wieder zu Hause.

Mit fadenscheiniger Begründung will die Heidelberger Universität jetzt den „alternativen“ Kreißsaal schließen. Zurück aus ihrem Jahresurlaub fand die Hebamme gleich zwei Kündigungsschreiben in ihrem Briefkasten. Ex -Verwaltungsdirektor Rüdiger Technau führte „einige Kritik“ an dem Modell an, und fühlte sich „verpflichtet“, die Maßnahme einzustellen. Kündigung Nummer zwei kam von Professor Hartmut Rummel, dem aktuellen kommissarischen Direktor der Frauenklinik: Grund für den Rausschmiß sei „die vollkommen unklare, juristische Situation“. Darüber hinaus hätten „grundsätzliche Überlegungen eine Rolle gespielt“. Zudem habe der designierte Chef der Frauenklinik erklärt, er wolle ein „derartiges Experiment“ nicht fortsetzen. Freundlich setzte der kommisarische Direktor hinzu, daß damit selbstverständlich „keine Kritik“ mit der bisherigen Arbeit der Hebamme verbunden sei.

Weniger höflich wurde er allerdings gegenüber der Sprecherin der Elterninitiative, die sich spontan gebildet hatte und für die Fortsetzung des Modells einsetzt. Die „unkontrollierte Hebammengeburt“ gehöre „ins 19.Jahrhundert“, zudem würden nur Chaoten bei Frau Zarth entbinden. Zu des Gynäkologen „Chaoten“ gehören zahlreiche AkademikerInnen, RechtsanwältInnen und selbst ÄrztInnen der Heidelberger Universitätskliniken. Mehr als 200 Kinder starteten bislang im Gebärzimmer den sanften Weg ins Leben.

Der Protest gegen die Technik im Kreißsaal hat viele Ursachen. „Es gibt heute noch Kliniken, da kommt kein Kind nach Feierabend oder am Wochenende zur Welt“, weiß Eberhard Krickhahn vom Arbeitskreis Kunstfehler in der Geburtshilfe (AKG) zu berichten. Für ihn hat die „Misere in der Geburtshilfe“ erst begonnen, „als sich die Mediziner in den Vordergrund geschoben haben“. Der Ethnomediziner Wulf Scheivenhöfel beklagt, daß Hebammen, die wichtigsten Bezugspersonen für die Gebärenden, in Krankenhäusern wie „Postkutschenpferde wechseln“, und schlimmer als die Rückenlage bei der Geburt - für die Ärzte bequem, niemand braucht sich zu bücken, sei für die Frauen nur der Kopfstand.

Die Zahl der ambulanten Geburten bei niedergelassenen Ärzten steigt ebenso wie die der Hausgeburten, wenngleich letztere nicht einmal ein Prozent aller Geburten in der BRD (laut Stat. Bundesamt 588.569 im Jahre 1985) ausmachen.

Doch gerade weil Hausgeburten nach wie vor die höchsten Risiken für Kind und Mutter bergen, konzipierten Mechthild Zarth und der inzwischen verstorbene Chef der Heidelberger Universitäts-Frauenklinik, Professor Fred Kubli, das „Gebärzimmer“.

Das Modell der „Hausgeburt in der Klinik“ bringt gleich mehrere Vorteile mit sich. Verläuft die Geburt ohne Komplikationen, können die Eltern nach wenigen Stunden wieder nach Hause. Treten Schwierigkeiten auf, sind die Ärzte sofort über den internen Notruf zur Stelle. Heidelbergs niedergelassene Frauenärzte und Kinderärzte beurteilen das Gebärzimmer als „sehr positiv“. Für den AKG ist es ein „Idealfall“, und auch Pro Familia unterstützt das Modell. Der künftige Nachfolger von Fred Kubli, der Ordinarius der Homburger Universitäts-Frauenklinik, der Gynäkologe Günther Bastert, ist über den ganzen Wirbel nicht erfreut. Er sei von seinem Kollegen Rummel „vorgeschoben“ worden. Auch er sähe in dem Gebärzimmer einen „Idealfall für eine individuelle Geburt“. Bastert geht davon aus, daß „konkrete Vorstellungen“ entwickelt werden, wie das Heidelberger Gebärzimmer „seine Arbeit fortsetzen kann“.

Die Universität versucht dagegen, die Kündigungen gerichtlich festzuklopfen. Allenfalls wolle man der Geburtshelferin den Verbleib bis zum 30. Juni gestatten. Mechthild Zarths Rechtsanwalt, Jürgen Brückner, lehnte Derartiges als „unzumutbar“ ab, zumal seine Mandantin längst Anmeldungen bis in den Herbst abgenommen habe.

Eines kann er aber überhaupt nicht nachvollziehen: Während die Universität gegenüber Mechthild Zarth die juristisch unklare Situation angibt, halten Ärzte der Frauenklinik Vorträge über die Vorzüge des „alternativen“ Gebärzimmers wie beispielsweise auf einer Tagung der Südwestdeutschen Vereinigung für Gynäkologie und Geburtshilfe am 7.Mai in Bad Soden. Am 16.Juni will das Landgericht Heidelberg über die Kündigungen entscheiden.