Jackson Fan-tasie

■ Der „ganz normale“ Michael als Schwarm von Millionen

„Wenn du in der Mitte stehst, hast du keine Chance, das kannst du echt vergessen. Aber ganz vorne an der Bühne hab ich das Gefühl, ich stehe vor ihm, vor ihm als Person, und kann ihm guten Tag sagen.“ Um „ihm“ guten Tag zu sagen, hat die 16jährige Raule Hoffmann schon im Dezember 52 Mark an der Vorverkaufskasse gezahlt und ist am Sonntag morgen, 12 Stunden vor Konzertbeginn, mit einem Picknickkorb ausgerüstet auf das Gelände vor dem Reichstag gezogen. Seit September ist sie „Michael„-Fan („Das reißt einen einfach so mit, plötzlich ist man Fan“), und seit Anfang des Monats hat sie jeden Tag bis zum großen Ereignis auf einem eigens angefertigten Kalender ausgestrichen, denn Michael Jackson live ist „besser als Weihnachten“.

Ihr Zimmer hält Multi-Millionär Jackson schon seit langem besetzt. Rund dreißigmal schaut er von allen Zimmerecken herunter, steht lebensgroß als Pappfigur vor dem Bett, liegt als Kopfkissen auf der Matratze und als Biographie auf dem Nachttisch. Wenn „er“ beim Konzert in natura auf sie runterguckt, wär das für Raule Hoffman „echt das geilste, dann raste ich aus.“ Die Überlegung, bei seinem Anblick tot umzufallen oder ohnmächtig zu werden, hat sie jedoch aus ganz pragmatischen Gründen verworfen. „Dann krieg ich den Rest des Konzerts ja nicht mehr mit, und das wär ja nur doof.“ Doch warum gerade Michael Jackson? Das hat sich Raule auch gefragt und glaubt, daß es vor allem „sein Tanzen“ ist, „seine irre Ausstrahlung“. Schön findet sie ihn auch, „aber da gibt es sicher hübschere Typen“.

Das Zweit-Tollste aber an Michael ist, „daß er ein ganz normaler Mensch ist“. So steht es jedenfalls in seiner Autobiographie - „und die stimmt. Diese Gerüchte in der Presse über seine Schönheitsoperationen das ist ja so miserabel! Am Anfang, als ich so viel Scheiß über ihn gelesen habe, hab ich echt Mitleid mit ihm gekriegt. Wenn du seine Biographie gelesen hast, ändert sich das Bild total. Hier auf den Fotos, da sieht er ganz normal aus, und wie er da guckt! Er hat so ein gewinnendes nettes Lächeln, so jemand kann kein schlechter Mensch sein.“

Daß so viel Rummel um „ihn“ gemacht wird, sieht Michael-Fan Raule unter ganz praktischen Gesichtspunkten: „Ohne den Rummel hätte ich ihn gar nicht erst kennengelernt.“ Am liebsten würde sie sich einmal mit ihm unterhalten. „Ich würde ganz normal mit ihm reden und versuchen, ihn zu verstehen. Ich kann mir echt vorstellen, daß ich als Fan eine Freundin von ihm sein könnte. Ich mein‘, ein wirklicher Kumpel.“ Da ihr die Begegnung mit dem leibhaftigen Star bisher verwehrt war, hat Raule ihm wenigstens schon mal einen Brief geschrieben, „aber nicht so einen hysterischen mit: Ich liebe dich, ich kann ohne dich nicht mehr leben.“ Das findet sie grausam. Sie hat ihm einfach viel Glück gewünscht „und eine Micky Maus gemalt, weil er doch Micky -Mäuse so liebt.“ Irgendwann, meint Raule, wenn man nichts mehr von „ihm“ hört, werden sich auch ihre Fan-Gefühle verflüchtigen. Aber bis dahin gilt: „Fan-Sein heißt vor allem Treu- sein“.

Vera Gaserow