BETTWÄSCHE-SEIL WAR ZU KURZ

■ NACH FLUCHTVERSUCH SCHWERVERLETZTE BLIEBEN IM HOF LIEGEN

Am Mittwoch, den 1.6.88, versuchten zwei jugoslawische Mit -Untersuchungs-Gefangene, einer wurde aufgrund seiner politischen Betätigung gegen die jugoslawische Regierung von dieser „angefordert“, sich ihren Weg in die ihnen vorenthaltene Freiheit zu sägen.

Aus den Gittern einer Gemeinschaftszelle im dritten Stock sägten sie, womit auch immer, zwei der dortigen Menschen -festhalte-Stäbe heraus und versuchten, sich an der zusammengeknoteten Bettwäsche in den Vorhof abzuseilen. Trotz Gemeinschaftszelle war zu wenig Bettzeug vorhanden, denn ihr Bettwäsche-Seil endete ca. sechs Meter über dem Betonboden. Dem Ruf der Freiheit folgend, ließen sie sich trotzdem aus dieser Höhe auf den besagten Betonboden des Innenhofs fallen. Leider fiel einer der beiden mit dem Rücken auf den Rand eines Blumenkübels, der ebenfalls aus Beton bestand (für Teile der hiesigen Schließerschaft ist es wohl sehr bedauerlich, daß es nicht auch noch Beton-Blumen gibt). Sein Freund klatschte neben ihm auf den Boden.

Der Erste war sofort bewußtlos, während sich der Zweite vor Schmerzen auf dem Boden krümmte. Sofort stürmte eine Horde von Schließern und Wärtern mit gezogenen Pistolen auf diese beiden Schwerverletzten zu. (...) Doch auf die Idee, sofort einen Arzt zu holen, kam keiner. Zuerst beehrte der stellvertretende Anstaltsleiter, ORR Paffrath, dies Gefängnis mit seiner Anwesenheit und betrachtete sich die beiden Schwerverletzten, ebenfalls ohne einen Krankenwagen zu verständigen. Dann kamen die unvermeidlichen Kollegen von der Kripo, die, ohne sich im mindesten um die Verletzten zu kümmern, jede Menge Filme verknipsten, als wären sie auf den Festspielen in Cannes. Während dieser ganzen Zeit stöhnte mein Mit-Gefangener vor Schmerzen vor sich hin, sein Freund war immer noch bewußtlos. (...)

Nach ca. 25 Minuten kam dann der endlich herbeigerufene Anstaltsarzt aus der JVA Willich, der nach einem kurzen Blick sofort den Tansport ins Krankenhaus anordnete, das fünf Minuten vom hiesigen Gefängnis entfernt liegt. Wieder dauerte es zehn Minuten, bis ein Krankenwagen eintraf. Wie wir Gefangenen am anderen Tag aus „sicherer Quelle“ erfuhren, wurde beim einen ein Bruch der Wirbelsäule diagnostiziert, was sehr wahrscheinlich Querschnittlähmung bedeutet; beim anderen mehrere Brüche der Arme und Beine.

Zusätzlich kamen aus der festgeschlossenen Reihe unserer treu-deutschen Wärter hämische Formulierungen wie „Die beiden hätten sich eben Flügel anschaffen sollen“, und „Schade, daß sie nicht ganz kaputt sind“, sowie „Denen hätte ich gerne noch eine verpaßt“. (...)

Was soll's also, daß hier unter meinen Augen, vor meinem Zellenfenster, zwei meiner Mitgefangenen bald jämmerlich krepiert wären und über eine halbe Stunde ohne ärztliche Versorgung blieben, während drei dieser Dorf-Sheriffs mit blitzendem Auge und todesmutigem Blick diesen Häufchen Leben gerne mit ihren 9-mm-Geschenken bedacht hätten, jedoch nicht einer diesen drei-Viertel-Toten geholfen hat? Hauptsache, die „Stückzahl“ stimmt in den Büchern. Es wäre für diese selbstlosen Diener des deutschen Staates wohl denkbar gewesen, daß diese beiden armen Schweine noch bewußtlos, mit gebrochener Wirbelsäule und gebrochenen Armen und Beinen „Widerstand leisten“, oder mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen die weiteren Gitter durchbeißen bzw. über die ca. sechs Meter hohe Mauer springen. So haben die Schließer einen „gefährlichen“ Ausbruch verhindert. Eine Belobigung von oben sehe ich schon winken. (...)

Meine beiden jugoslawischen Mit-Gefangenen liegen indessen mehr tot als lebendig auf der Intensiv-Station irgendeines Krankenhauses. Schon den alten Römern war bekannt: Wehe dem Besiegten! In menschlicher Trauer

A.S., Mönchengladbach