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Sozialhilfe verspätet

■ DPWV rät, gegen dreimonatigeVerzögerung der Regelsatz-Anhebung vor Gericht zu gehen

Einen zinslosen Kredit in beträchtlicher Höhe gewähren in diesem Sommer - unfreiwillig - Bremens rund 40.000 Sozialhilfe-EmpfängerInnen ihrer Stadt: Anstatt die Regelsätze, wie gesetzlich vorgeschrieben, gleichzeitig mit den jährlichen Rentenanpassungen zum 1. Juli anzuheben, haben Senat und Deputation für Soziales unter Sozialsenator Scherf so lange mit Beschlüssen gezögert, daß mit der Umstellung in der Verwaltung frühestens drei Monate zu spät, zum 1. Oktober, zu rechnen ist. Scherf hatte in der Deputationssitzung vom Juni - nachdem der Tagesordnungspunkt Regelsätze erst mühsam durchgesetzt werden mußte - die Deputierten förmlich beschworen, dem späten Oktober-Termin für die Anhebung der Hilfesätze zuzustimmen: Bremen könne bei seiner Finanzlage nicht Vorreiter bei Erhöhungen sein und gleichzeitig die Albrecht-Pläne zur Umverteilung der Lasten unterstützen. In die Hand versprach der Senator allerdings, im Oktober rückwirkend ab Juli zu erstatten.

Der Arbeitskreis Sozialhilfe im Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband (DPWV) hält „diese Hinhaltetaktik gegenüber den Ärmsten der Armen für ungeheuerlich und zynisch“, erklärte Jens Schröter vom DPWV, als „sozial erfahrene Person“ Mitglied der Deputation, gestern vor JournalistInnen. Ein Bremer

„Haushaltsvorstand“ bekommt derzeit müde 404 Mark Sozialhilfe pro Monat: Damit liegt Bremen hinten auf Platz sieben in der Reihe der elf Bundesländer - oder, wie Scherf es nach der letztjährigen Erhöhung beschönigend ausdrückte, „an oberster Stelle im unteren Drittel“.

Neben der jährlich üblichen geringfügigen Anhebung der Regelsätze um zwei oder drei Prozent dringen die freien Wohlfahrtsverbände darauf, daß endlich das neue Bedarfsbemessungs-System den alten Warenkorb ablösen und damit einmalig fast 11 Prozent nachgezahlt werden. Seit Jahren werden die Betroffenen hingehalten, weil angeblich noch Zahlenmaterial oder Detailuntersuchungen zum Lebensbedarf fehlen: „Das hat ja das Gutachten der Bundesregierung ergeben, daß die Hilfeempfänger um diesen Betrag richtig beschissen wurden in den letzten Jahren“, so Jens Schröter. Der Arbeitskreis Sozialhilfe des DPWV ruft daher wie die Bundes-Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege die Sozialhilfe-EmpfängerInnen auf, sich mit dem niedrigen Regelsätzen nicht mehr zufriedenzugeben und vor die Gerichte zu gehen, um gegen die gesetzwidrigen niedrigen Regelsätze zu klagen. Über den DPWV können Anwälte vermittelt und Argumentationen ausgearbeitet werden. S.P

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