Eine notorische Schürzenjägerin

In deutscher Erstausgabe erschien gerade ein Jugendwerk der amerikanischen Schriftstellerin Natalie Clifford Barney, eine schillernde Figur der literischen Szene im Paris der 20er Jahre  ■  Von Regina Keichel

Obwohl Natalie Clifford Barney in den zwanziger Jahren eine der bekanntesten und schillernsten Figuren der Pariser Gesellschaft, besonders ihrer literarischen Szene war, hatte sie, wie sie ihrer langjährigen Freundin und Konkurrentin Djuna Barnes gestand, nie den Ehrgeiz, selbst eine literarische Karriere zu machen. Mit diesem Geständnis baute sie of

fenbar Kritiken vor, die kein Blatt vor den Mund nahmen, als das erste ihrer kleinen Prosa-und Aphorismenbändchen erschien.

Die Ergebnisse ihrer „Schubladenaufräumungsaktion“, wie Barney selbst diese Veröffentlichungen bezeichnete, waren in der Tat eher ungelenke Versuche, tiefsinnige Hirnwindungen zu Versen oder Aphorismen gebrochen, aufs Bütten-Papier zu bringen, mit denen sie sich, wie sie zu Recht befürchtete, selbst bei den eng befreundeten Schriftstellern ein Naserümpfen einhandelte.

Verse wie „Ziehen wir in die Liebe, wie sie in den Krieg ziehen“, purzelten als feministische Standortbestimmung aus ihrer Schublade, oder ein Liebesgedicht, das, inspiriert durch eine Liaison mit der englischen Dichterin Rennee Vivien und einer gemeinsamen Reise nach Lesbos, sich an der griechischen Dicherin Sappho messen lassen wollte:

„Romanie, Künstlerin von einsam eigener Art/ Dank unsrer Freundschaft ist Vergang'nes/ Gegenwart./ Flamme, die mich

verzehrt und/ dann zum Licht mir ward./“

Eine begnadete Schriftstellerin war Natalie Clifford Barney, diesen Produkten nach zu urteilen nicht, es waren andere Qualitäten, mit denen sie sich in Paris einen Namen machte: Die Schriftsteller und Künstler, die jeden Freitagabend in ihrer Villa, Rue Jacob, aus- und eingingen,

-Marcel Proust, Jean Cocteau, Anatole France, Louis Aragon, Rainer Maria Rilke, Ezra Pound, Greta Garbo, Truman Capote, u.a. - schätzten ihre gastgeberischen Qualitäten, ihre Redegewandtheit, ihre Belesenheit, und auch den Mut, allen spitzen Zungen zum Trotz, aus ihren vielen Affären mit Frauen keinen Hehl zu machen. Sie war, so bemerkt Brigitte Siebrasse im Nachwort zu Djuna Barnes „Ladies Almanach“ (Wagenbach, 1985) „zeitlebens eine notorische Schürzenjägerin, die ihre polygamen Bedürfnisse radikal auslebte und ihre letzte große Liebe im Alter von 77 Jahren begann“.

Barneys Heiterkeit, und ihre nach außen hin völlig unbeschwerte Gelassenheit, mit der

sie auch ihre Beziehungen zu Frauen einzugehen pflegte, hatten aber auch ihre Schattenseiten, von denen nur die intimsten Freunde Kenntnis besaßen. Ihr gerade ins Deutsche übersetzte Jugendwerk „My Mistress“ (Meine Geliebte), ein kleine Novelle, die sie mit 28 Jahren schrieb, bevor sie als millionenschwere Erbin aus den USA nach Paris übersiedelte, erzählt von einer gleichermaßen aussichtslosen wie unglücklichen Liebe der Erzählerin zu einer jugendlichen Schönheit. „Sie kam zu mir, weil ihr Leben zerbrochen war und nichts mehr zählte“. Das Problem, das Barney auf wenigen Seiten entfaltet: Die junge Schönheit will nichts von der sie begehrenden Frau wissen, lehnt sich zwar an sie, teilt den Alltag mit ihr, trauert aber um ihren Ehemann, mit dem ein Leben ebensowenig möglich scheint wie eins mit der Frau, die sie im Moment höchster Verzweiflung aufsucht.

Ein tragischer Auftakt für eine Story, die, nachdem sie gerade begonnen hat, schon wieder enden muß. Nur sieben gedruckte

Seiten lang ist das jugendliche Werk der Barney, in einem Ton geschrieben, der auch Marguerite Duras eigen ist: Kurze, prägnante Sätze, die sich ins Gehirn winden, keine überflüssigen Adjektive, der Versuch, sich aufs Wesentliche zu beschränken und trotzdem viel zu sagen. Die Geschichte ist völlig losgelöst von Zeit und Ort, wirkt oft wie ein Liebesbrief, der geschrieben wird, als alles schon vorbei ist. Eine Art Rückblende auf vergangene Sehnsüchte und Versagungen, auch der verzweifelte Versuch, das Unmögliche noch möglich zu machen.

Madame Barney hätte bei der Prosa ihrer Jugend bleiben sollen, anstatt sich in lyrischen Expertisen zu vergehen. Diese wenigen Zeilen reichen ihrer berühmten Freundin Djuna Barnes, die Barney als Vorbild für die Heldin ihres „Ladies Almanach“ wählte, durchaus das Wasser.

N.C. Barney, Meine Geliebte. Aus dem Englischen von Brigitte Siebrasse; Verlag Bettina Wassmann, Am Wall 164, 28 Bremen; 20 Mark