Eine Stadt verliert die Fassung: Agentenfilm aus Duisburg

(Agentenfilm aus Duisburg, So., WDR III, 23.05 Uhr) Der ehemalige Kiosk gegenüber Tor 1 des Rheinhausener Kruppwerks ist außen gekachelt und hat die Unscheinbarkeit einer stillgelegten öffentlichen Toilette. Ein Schild im Fenster: Agentenkollektiv Duisburg. Innen ein Holztisch, ein paar Stühle und eine Sitzbank, in einer Ecke Kronkorken. Ein Projektor wirft einen Film an die gegenüberliegende Wand, die Tonspur scheppert über einen kleinen Lautsprecher Marke uralt, und wir sitzen mit Halbliterkannen Pottpils in der Hand und Superachtflimmern in den Augen, konzentriert das Duisburger Treiben verfolgend, das sich da in aller Fülle über uns ergießt. Denn: „Jede zufällige soziale Bewegung muß in ihrem glasharten Kern als Teil der gesamten Duisburger Lebensgewohnheit erkannt werden... Entlang den Abfällen der Warenwelt nähern sich die Forscher den örtlichen Eingeborenen, welche sich in sogenannten 'Gewerkschaften‘ gruppieren... Die Hoffnung der organisierten Arbeiterbewegung ist, ihre Mitglieder kollektiv in den Status des Sozialrentners zu überführen.“

Auf der Suche nach dem revolutionären Subjekt geraten die Forscher in eine sportliche Massenveranstaltung, ins berüchtigte Duisburger Arbeitslosenrennen. „Tausende Leerläufer im Wettbewerb um Stellung und Anerkennung, markiert mit Schildchen vor dem Bauch - der Nummer ihrer Personalakte und der Firma, aus der sie entlassen sind.“ Es folgt ein codiertes O-Ton-Interview. Interviewer: „Darf ich ganz kurz mal fragen? Wie läuft's denn so?“ Marathonläufer: „Klasse. Man kann schön gucken rechts und links, tolle Verpflegungsstände und viele Läufer.“ Interviewer: „Was sieht man rechts und links?“ Marathonläufer: „Die schönen Häuser, Publikum, alle freuen sich, schönes Wetter hier, ideal.“ Interviewer: „Danke schön, guten Lauf noch.“

Inwieweit der Interviewte im Zusammenhang mit dem Anschlag auf die Duisburger Energiezentrale ein paar Tage später stehen könnte, bleibt uns überlassen. Moderne revolutionäre Energie verbirgt sich möglicherweise hinter Masken aus skurriler Normalität und in Namenlosigkeit. „In der Gelassenheit, mit der man hier Masse ist, liegt die Kraft zum utopischen Denken.“ Der Film geht 54 Minuten und ist prallvoll mit Geschichten, Bildern und spinnerten Ideen. Die Komik der Klasse. Ein wahrer, schöner und guter Film.

stein