Die Seligsprechung der Schwester Blandine

■ Im Mitteilungsblatt des Blandinenarchivs Ahrweiler, Juni'88, fanden wir folgenden Bericht eines zur Seligsprechung der Schwester Blandine Merten eingeladenen Rom-Pilgers. Wir drucken den Text leicht gekürzt: Als Dokument von der anderen Seite der Republik - Pflichtlektüre für alle militanten Atheisten.

Peter Brucker

Am 1.November letzten Jahres wurde Schwester Blandine Merten in Rom seliggesprochen. Als Schulleiter der Schule, an der Blandine Merten viereinhalb Jahre gewirkt hat und die nun ihren Namen trägt, wurde ich vom Ursulinenorden Ahrweiler, dem Schwester Blandine nach ihrer Lehramtstätigkeit als Ordensfrau angehörte, eingeladen, den Feierlichkeiten beizuwohnen.

Erst nachdem ich meine Sprachlosigkeit ob dieser Überraschung verwunden hatte, wurde ich mir der Ehre bewußt, die mir da zuteil wurde - besonders, als mir Generaloberin Schwester Scholastika Rönneper kurze Zeit später zu meinem noch größeren Erstaunen mitteilte, daß ich dem Heiligen Vater ein Geschenk des Ordens überreichen solle: die Fürbittbücher aus St.Paulin in Trier, in die viele hilfesuchende Menschen ihre Bitten und ihren Dank an Schwester Blandine aufgeschrieben hatten.

Äußerst gespannt, aber doch irgendwie glücklich, fieberte ich nun den Dingen entgegen, die mich da erwarten sollten. Da war zunächst der Flug über die Alpen, dem ich, der noch nie in einem Flugzeug gesessen hatte, mit gemischten Gefühlen entgegensah.

Da war die Ewige Stadt Rom, die älteste Weltstadt des Abendlandes, die als „Wiege der westlichen Kultur“ jeden, der einmal dort war, mit ihren zahllosen historischen Kunstschätzen und ihrem Flair faszinierte.

Und da war - in diesem Fall das Allerwichtigste - das einmalige und großartige Ereignis der Seligsprechung einer bewunderswerten Frau, die vor 80 Jahren in unserer Pfarrei und an unserer Schule gewirkt hatte.

Wie einzigartig das bevorstehende Ereignis war, läßt sich wohl auch an der Tatsache ermessen, daß mit Blandine Merten nach mehr als 800 Jahren zum erstenmal wieder eine Frau aus dem Bistum Trier zur „Ehre der Altäre“ erhoben werden sollte - damals war es Hildegard von Bingen.

Auch der Himmel schien sich zu freuen, denn er überspannte die Ewige Stadt während der gesamten Zeit meines Aufenthaltes mit strahlendem Blau und bescherte ihr somit noch im November sommerliche Temperaturen. Das Ereignis rückt näher

Nach geglückter Landung und erster Übernachtung in einem riesigen Hotel, in dem weit über 1.000 Pilger untergebracht waren, begannen am Samstagvormittag die Vorbereitungen für die Seligsprechungsfeierlichkeiten. Da ich durch die Übergabe der Fürbittbücher aktiv an der Zeremonie beteiligt war, wurde ich zum Proben in den Petersdom bestellt.

Mit dem Beginn des Festhochamtes zur Seligsprechungsfeier in St.Peter nahte am Sonntagmorgen der Höhepunkt meiner Reise. 12.000 zählten die Pilger, die an diesem Allerheiligentag ab 8.00Uhr im riesigen Kirchenschiff der Petersbasilika, von den Ordnern je nach Farbe ihrer Eintrittskarten angewiesen, ihren Platz suchten. Als einer der Ehrengäste - ein sogenannter „Offerente“ -, für die rund um den Hochaltar die Plätze reserviert waren, wurde ich von Schweizer Gardisten durch das Mittelschiff geleitet. Wie anders präsentierte sich doch nun das Innere des Domes im Vergleich zum Vortag! Die vielen Menschen, der überreich mit Blumen geschmückte, lichtdurchflutete Raum deuteten auf das großartige Ereignis hin, das der End- und Höhepunkt eines Prozesses war, der das Leben und Wirken der Lehrerin und Ordensfrau Blandine Maria Merten erforscht hatte. Im Verlauf dieses Prozesses waren alle Fakten beleuchtet und begutachtet worden, die diese einem Angehörigen der katholischen Kirche äußerst selten widerfahrende Würdigung rechtfertigen.

(...) Die Seligsprechung

Unter dem Beifall der Gläubigen zog um 9.30Uhr der Heilige Vater Papst Johannes Paul II. durch das Mittelschiff von St.Peter zum Hochaltar über dem Petrusgrab - mit ihm zwölf Konzelebranten, unter ihnen der Bischof von Trier, Dr.Hermann Josef Spital, der nach dem Kyrie dem Papst die Bitte um die Seligsprechung der Dienerin Gottes Schwester Blandine Merten vortrug. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, als mit der Zeremonie der Seligsprechung durch den Papst und dem aufbrandenden Beifall der 12.000 Pilger als Zeichen der Erhebung der Ordensschwester Blandine ihr Bild an einem der mächtigen Vierungspfeiler des Domes enthüllt wurde. Als ich das Gesicht von Schwester Blandine in dieser Größe über mir sah, fiel mir spontan ein Gebet ein, das sie an die von ihr über alles verehrte Gottesmutter gerichtet hatte:

„Ein Bild ist mir ins Herz gegraben,

ein Bild so schön und wundermild,

ein Sinnbild aller guter Gaben ...“ Aus dem Leben

Blandine Mertens

Die Darstellung, die von dem Trierer Maler Rudi Schillings geschaffen wurde, zeigt Blandine mit segnender Gebärde zwischen den Marksteinen ihres Lebensweges:

1883 als neuntes von zehn Geschwistern in Düppenweiler/Saar geboren, besuchte Maria Magdalena Merten von 1899 bis 1902 die Lehrerinnenbildungsanstalt Marienau bei Vallendar und war anschließend bis April 1908 als Lehrerin tätig. Mit Stolz und tiefer Freude möchte ich an dieser Stelle festhalten, daß Maria Merten von ihrer nur fünfeinhalb Jahre dauernden Lehramtstätigkeit die meiste Zeit - nämlich viereinhalb Jahre - in Morscheid gewirkt hat. Heute noch lebende Schülerinnen und Schüler erinnern sich: Sie war nicht nur eine von allen geachtete und geliebte, vorbildliche Lehrerin, sondern auch eine beständige Helferin in Notlagen - und Notlagen gab es viele in den damals sehr armen Dörfern der Pfarrei Morscheid. Wie ernst es ihr selbst neben ihrer Berufstätigkeit mit ihrer „sozialen Aufgabe“ war, drückte sie später einmal in folgenden Worten aus:

„Was ist es doch Großes, wenn man so ganz ein Werkzeug in der Hand Gottes wird, um anderen zu helfen und sie zu erfreuen.“

Vorbildhaft auf ihre Schüler und Mitmenschen wirkten auch ihre tiefe Frömmigkeit und ihr Glaube, der der Beweggrund ihres Handelns war:

„Der Glaube ist die übernatürliche Atmosphäre, die mich in allen Dingen und Geschöpfen Gott sehen läßt.“

Wohl aus gesundheitlichen Gründen - sie hatte eine feuchte und kalte Zwei-Zimmer-Wohnung im Dachgeschoß der heutigen „Alten Schule“ - stellte sie im Juni 1907 einen Versetzungsantrag und kam daraufhin nach Großrosseln, wo sie allerdings nur noch neun Monate unterrichtete, um im April 1908 in die Kongregation der Ursulinen von Calvarienberg bei Ahrweiler einzutreten. Im November 1910 wurde sie nach Saarbrücken und sechs Monate später nach Trier versetzt, wo sie am 18.Mai 1918 an Tuberkulose starb. Dieser Tag wurde vom Papst bei der Seligsprechung als der ihr zuerkannte Namensfesttag genannt.

(...) Darbringung der Gaben

Nach Credo und Fürbitten nahte der Zeitpunkt, wo ich mich in die Feierlichkeiten mit einbringen durfte. In der Gabenprozession, die sich in dieser Form über die Jahrhunderte nur für die Feiern der Selig- und Heiligsprechungen erhalten hat, überbrachten zunächst eine Ursulinenschwester vom Kloster Calvarienberg Ahrburgunder aus dem Weinberg des Klosters und eine Schülerin aus der Ursulinenschule in Trier eine handgearbeitete Stola. Zusammen mit einem Bergmann aus Blandines Geburtsgemeinde Düppenweiler, der eine Grubenlampe als ein Wahrzeichen für menschliche Arbeit und Erwerb dieser Gegend mitbrachte, trat ich vor den Heiligen Vater - in der Hand zwei Hefte, gefüllt mit Anliegen und Dank von Menschen, die sich am Grab von Schwester Blandine ihr anvertraut hatten.

In einem kurzen persönlichen Gespräch erkundigte sich der Papst nach meiner Person und meinen Gaben. Er gab mir Grüße an meine Kollegen und alle Schüler sowie den Wunsch mit auf den Weg, unser Erziehen und Unterrichten am Geist der seligen Schwester Blandine zu orientieren, die sich ihrerseits auf den Beistand des Heiligen Geistes verlassen hat:

„Niemandem tut der Beistand des Heiligen Geistes so not wie den Führern der Kinder. Ein Mißgriff in der Erziehung kann bedenkliche Folgen haben. Der Heilige Geist wird uns und unsere Kinder davor bewahren.“

Die weitere Meßfeier verlief bei aller Feierlichkeit des Anlasses schlicht und voller Andacht, wobei dem Heiligen Vater immer wieder seine tiefe Ergriffenheit und die Last der Verantwortung seines hohen Amtes anzumerken war.

Die heilige Messe und die Seligsprechungsfeier waren für mich so beeindruckend, daß mir heute noch die Worte fehlen, um alles zu beschreiben. Tausende von Menschen hatten sich hier eingefunden, um dieses einmalige Ereignis mitzufeiern: Eine einfache, in ihrer ruhigen, stillen Art zu ihren Lebzeiten eigentlich unbekannte und unbeachtete Lehrerin und Ordensfrau wird eine Heilige.

„Er (Gott) läßt sein Wort nicht im Lärm der Straßen ertönen, sondern er sucht Stille.“ Dankamt in

Santa Maria Maggiore

Mit diesem Höhepunkt der Pilgerreise waren die Feierlichkeiten in Rom jedoch noch nicht beendet. Es folgte das sogenannte Triduum, die bei Seligsprechungen üblichen Dankesgottesdienste in drei der Hauptkirchen Roms. Überall neue Eindrücke, neue Sichten von Blandine Mertens Bedeutung für uns.

Stellvertretend für die beiden Feiern im Petersdom am 3. und in St.Johannes im Lateran am 4.November sei an dieser Stelle das von Diözesanbischof Dr.Hermann Josef Spital zelebrierte Dankamt an Allerseelen in Santa Maria Maggiore erwähnt, das bei mir den tiefsten Eindruck hinterlassen hat.

Santa Maria Maggiore, die in ihrem Ursprung bis in die Mitte des 4.Jahrhunderts zurückgeht, ist die bedeutendste und prachtvollste Marienkirche Roms. Sie fesselt den Besucher durch den Reichtum des Marmors und ihre glanzvollen Mosaiken.

In seiner Festansprache betonte der Bischof, daß, wer einen Heiligen verstehen wolle, ihn zunächst als Menschen verstehen müsse. „Denn Heiligkeit löscht unser Menschsein ja nicht etwa aus, sondern vollendet es. Der Heilige ist der durch das Licht und die Lebenskraft Gottes voll entfaltete Mensch. Nach allen Zeugnissen, die wir besitzen, war Schwester Blandine ein liebenswerter Mensch. Liebenswert nicht im Sinne eines oberflächlichen Charmes“, sondern „weil man sich bei ihr wohlfühlte“. Er - der Bischof - glaube, „daß deshalb so viele Menschen Schwester Blandine verehren, weil sie eben auch menschlich überzeugend und menschlich gewinnend war“. Ferner könne man das Pauluswort „Unsere Heimat ist im Himmel“ über das Leben unserer Seligen schreiben.

„Alles ist mir Himmel“ war tatsächlich schon zu Lebzeiten ihr Wahlspruch und bedeutete nichts anderes, als daß sie in aller Kreatur Gottes Werk sah, entsprechend handelte und somit den Himmel als ihre Heimat schon auf Erden gefunden hatte.

„Wenn wir uns am Beispiel und an der Botschaft ihres Lebens ausrichten, dann finden wir in aller Heimatlosigkeit dieser Welt die Heimat, die niemand uns nehmen kann.“ Sehenswertes Rom

Von den zahllosen Eindrücken, die sowohl durch die Seligsprechungsfeierlichkeiten als auch durch kunst- und kulturhistorische Begegnungen in den wenigen Tagen meines Rom-Aufenthaltes auf mich einstürmten, ist einer besonderer Erwähnung wert, da er mich auf die Spuren eines bedeutenden Mannes unserer nächsten Heimat führte: der Besuch in San Pietro in Vincoli.

Obwohl der eigentliche Anziehungspunkt dieser bis ins 5.Jahrhundert zurückreichenden, von außen eher unscheinbar anmutenden Kirche die weltberühmte Mosesstatue von Michelangelo ist, dürfte ein anderes Denkmal für einen Pilger aus unserer Gegend fast noch bedeutender sein, nämlich das Grabmal des Nikolaus Cusanus, des berühmten Kardinals aus Kues, der durch seine Lehre die Wende vom Mittelalter zur Neuzeit entscheidend mitprägte. Nach seiner achtjährigen Amtszeit als Bischof von Brixen kam er 1458 als Kurienkardinal nach Rom, wo er nach seinem Tod im Jahre 1464 in seiner Stammkirche San Pietro in Vincoli beigesetzt wurde.

Das weitere Besichtigungsprogramm, daß sowohl Einblicke in die Kultur der Antike als auch in die Welt der früheren Christenheit bot, wurde abgerundet durch einen Ausflug in die Albaner Berge zur Sommerresidenz des Papstes Castelgandolfo und in das Weinstädtchen Frascati.

Eine offizielle Einladung in die deutsche Botschaft des Vatikanes ermöglichte unserer „Morbacher Delegation“, Herrn Bürgermeister Erwin Lieser, Herrn Ortsvorsteher Valentin Schuh und mir, interessante und aufschlußreiche Gespräche mit weltlichen und kirchlichen Würdenträgern und Vertretern aller drei seliggesprochenen Personen. Schwester Blandine

mit uns im Alltag

„Hab auf der Lippe stets bereit ein freundliches Wort. Das findet ja zu jeder Zeit auch einen guten Ort.“

Sollten die Pilger dieses Wort von Schwester Blandine für die Tage in Rom auf ihre Fahne geschrieben haben? Denn wie herzlich sich das Verhältnis der Pilger untereinander gestaltet hatte, kam besonders zum Ausdruck, als es am Mittwoch Abschied nehmen hieß: Abschied voneinander und Abschied vom Ewigen Rom mit allem, was man hier an Wunderbarem erlebt hatte.

Ich glaube aber im Namen aller Pilger sagen zu dürfen, daß die vielen Eindrücke, Erlebnisse und alles Positive, vor allem aber die Freude der Seligsprechung in den Herzen mit nach Hause in den Freundes- und Bekanntenkreis, in den Alltag genommen wurden. So hat sich auch in mir das „komische Gefühl“, die Ungewißheit am Anfang der Reise, in die Gewißheit verwandelt: Schwester Blandine ist mit uns in unserem Alltag. Dies um so gewisser, als sich unsere Schule nun nach ihr benennen darf.

„Hätte ich geahnt, daß die Leute so anhänglich sind, so wäre ich geblieben“, sagte Maria Merten seinerzeit bei ihrem Abschied von Morscheid am Hoxeler Bahnhof, als sich dort überraschend viele Leute eingefunden hatten, um „ihrer“ Lehrerin Lebewohl zu sagen.

Wir - meine Kollegen, die Schüler der Grundschule Blandine Merten und ich - wollen uns nach Kräften bemühen, dafür Sorge zu tragen, daß Blandine hier in Morscheid bleibt. Nicht nur nach außen hin wollen wir ihren Namen tragen, sondern ihr Vorbild soll das schulische Miteinander prägen. Denn - um mit Schwester Scholastikas Worten zu sprechen „wir brauchen ihr Beispiel, das sie als Lehrerin und Erzieherin gab. Von ihr lernen wir, daß es darauf ankommt, den jungen Menschen eine ganzheitliche Erziehung und Bildung zu vermitteln, die sich an einem christlichen Menschen- und Weltbild orientiert“.

Daß Blandine nach dem Vorbild ihres Heilandes gerade die Ärmsten und Schwächsten am Herzen lagen, soll uns Ansporn sein, es ihr gleichzutun.

Möge die selige Schwester Blandine unserer Schule und unserer Pfarrei, wo sie vor 80 Jahren selbst so segensreich gewirkt hat, allezeit eine gütige Fürsprecherin bei Gott sein!

Peter Brucker