Die Wochen im Sommerloch

■ Linke Presse und linke Politik im alternativen Sommerlager an der Mauer

Fotoapparate klicken, Videokameras surren (Seit wann das denn? d.S.), Bleistifte rasen eifrig über Papier, und Mikrofone drängen sich neugierig vor den Mund des Kubax -Medienwartes und AL-Pressesprechers in spe. Stephan Noe hüstelt mit etwas heiserer Stimme (ja, auch er hat Gas geschluckt) seitengescheitelte Weisheiten von wegen Autobahn -pfui, Polizei-pfui, Senat-pfui undsoweiter-pfui. Die Meinungsmultiplikatoren der Nation greifen gierig nach der inkarnierten Moral der Republik, ja, eigentlich sind wir ja alle auf eurer Seite.

Pittoresk schweben einige vermummte „Chaoten„köpfe über dem Szenario, das der Besetzung erst ihren Sinn zu geben scheint: Pressekonferenz auf dem besetzten Kubat-Dreieck.

Über fünf Wochen Gräben schaufeln, Barrikaden bauen, Gaspatronen sammeln und „selbstbestimmt“ leben - das heißt, über fünf Wochen nur für die Presse leben. Denn das einzige, was in diesen fünf Wochen zählte, waren die Pressekonferenzen. Das Ereignis „Besetzung“ war keines, das „Ereignis“ Besetzung war nicht mehr als ein für die Presse inszeniertes Sommerloch-Spektakel.

Endlich wieder eine Gelegenheit, sich wichtig zu fühlen! taz-Reporter harren im Gasnebel aus, taz-Reporter schleichen sich an den bösenbösen Polizeischlägern vorbei, taz-Reporter übernächtigen unter Lebensgefahr auf dem Gelände, taz -Reporter schreiben 367 Zeilen über volxkücheneigene Eierkochgewohnheiten, taz-Reporter würden sogar mit über die Mauer springen. Worüber wir die ganze Zeit geschrieben haben? Na, über uns selbst, über wen denn sonst?

Das Drehbuch war sowieso schon allen bekannt, die Rollen waren verteilt, und die Chronik der laufenden Ereignisse konnte schon vorher niedergeschrieben werden. Den Epilog überließ man Kewenig, der dann öffentlich-rechtlich seine Lügen von der „Behutsamkeit“ verbreiten durfte.

Gemeinsam durfte sich die bundesrepublikanische „linke“ Presse über die Ungerechtigkeit der Welt im allgemeinen und die Lügen der Springer-Presse im besonderen empören, durfte sie ihr eigenes Gewissen beweihräuchern, durfte sie den Zustand der bundesrepublikanischen Demokratie beklagen.

Die BesetzerInnen spielten brav mit im Spiel der pluralistischen Konsenssuche. „Das gibt gute Presse“, galt als Hauptargument für das „Ja“ oder „Nein“ zu werbeträchtigen Aktionen. Die Touristen delektierten sich an viersprachigen Flugblättern, und die Pressemenschen wurden freundlichst im „Infozelt“ empfangen. Stephan Noe lädt zur „Mauermalaktion“, entschuldigt sich bei den Fotografen höflich für die zehnminütige Verspätung („Die sind von gestern nacht noch alle geschafft“), ein paar fotogene Revoluzzer kritzeln irgendeinen Schwachsinn an die Wand, auch Noe hat einen blöden Spruch parat. Hinter den Barrikaden beäugen diejenigen, die für diese AL-Public -Relation-Kampagne die Kulisse hergeben, mißtrauisch die Aktion. „Dieser AL-Typ, immer so freundlich und entgegenkommend“, lautet der Kommentar.

Irgendwo zwischen den Touristenscharen, den Meinungsmachern und den Public-Relation-geilen Anhängern einer Koalition zwischen der SPD und den Grünen gibt es sie also doch noch, diejenigen, die besetzen, um zu besetzen, die hier leben, um hier zu leben, die ihre Meinung nicht im pluralistischen Kompromiß absaufen lassen. Chancen, ihre Ideen durchzusetzen, haben sie keine, das wissen sie zu gut; sie sind nur hier, um die vorläufige Utopie aufrechtzuerhalten.

Auf den Pressekonferenzen recken sie zuweilen ihre Köpfe, um die rührige Eloquenz ihres Pressewartes mit einigen „Laßt Nils frei„- und „Die Bullenschweine haben Nils eingebuchtet“ -Rufen zu unterbrechen. Etwas pikiert blicken die anwesenden Realos und Pressemenschen auf den Boden - so etwas macht man doch nicht, das gehört sich nun wirklich nicht.

Wieder in ihren Redaktionen lassen die Pressemenschen dann ihr demokratisches Gewissen heraushängen und tun so, als ob sie nicht mitschuldig an der Indifferenz und der politischen Lethargie dieser Republik wären. „Am Spielort Berlin ist an Überraschungen nichts zu erwarten“, stellte diese Zeitung am Freitag fest. Nicht nur in Berlin, sondern in der gesamten Republik ist an Überraschungen nichts zu erwarten. Dafür gibt es ja schließlich die AL und die Grünen, die Presse und autonome Kulissenschieber.

Thomas Langhoff.