Lang lebe die Moskauer Juli-Resolution!

Trotz Ende der Allunionskonferenz und stürmischer Zustimmung zu allen sechs Resolutionen will der Kreml mit dem Wichtigsten bis morgen warten: der Abschlußresolution / 'Prawda': 20 Millionen Parteimitglieder überprüfen / Ligatschow mußte Posten an Jakowlew abgeben  ■ Von Alexander Smoltczyk

Berlin (taz) – Längst sind die Delegierten der Moskauer Parteikonferenz abgereist, da wird hinter den Kremlmauern noch um das wichtigste jeder Konferenz gestritten: die Schlußresolution. Obwohl die Delegierten bereits in der Nacht zum Samstag den sechs Resolutionen nach teilweise stürmischen Debatten zugestimmt hatten, konnte sich das Politbüro offenbar lange nicht auf die endgültige Fassung des Textes einigen. Erst am morgigen Dienstag ist mit der Bekanntgabe des Dokuments zu rechnen.

Mit 209 Gegenstimmen gab es den meisten Widerstand der knapp 5.000 Delegierten gegen Gorbatschows Vorschlag, die Ämter der Parteichefs auf allen Ebenen mit den Posten der Vorsitzenden der Sowjets zu verbinden und über die Kandidaten in geheimer Wahl abzustimmen. Gleichzeitig wurde in dieser Resolution eine Begrenzung der Amtszeit für alle Staats- und Parteiposten auf zehn Jahre beschlossen.

Bis zum April nächsten Jahres soll das Präsidialsystem, das Gorbatschow am Dienstag vorgeschlagen hatte, eingerichtet werden. Dann soll ein „Rat der Volksbeauftragten“ aus Delegierten von Partei und Gewerkschaften gewählt werden, der wiederum ein ständig tagendes Parlament ernennt. Der gewählte Präsident dieses neuen „Obersten Sowjet“ wird zweifellos Michail Gorbatschow heißen. Damit hat sich der Generalsekretär ein zweites parlamentarisches Standbein wachsen lassen und muß nicht, wie noch Chruschtschow, fürchten, durch einen einfachen ZK-Beschluß der Partei abgesetzt zu werden.

In seiner Schlußrede sprach Gorbatschow von einem „neuen

menschlichen und demokratischen Bild des Sozialismus“, den man in der Sowjetunion erreichen werde, und kündigte die

Errichtung eines Denkmals für die Opfer Stalins an, wie es ein Gesuch

an die Parteikonferenz gefordert hatte, das auch von Andrej Sacharow unterzeichnet worden war.

Die Prawda berichtete, daß als erste Konsequenz der Konferenz alle 20 Millionen Parteimitglieder noch in diesem Jahr überprüft werden sollen. Ziel sei eine Selbstreinigung und Stärkung der Partei. Gorbatschow ordnete an, daß die Überprüfung „offen“ stattfinde und nicht in kleinen Geheimausschüssen.

Gleichzeitig wurde bestätigt, daß der konservative Jegor Ligatschow den wichtigen Posten für Ideologiefragen an Gorbatschows Vertrauten Alexander Jakowlew hat abgeben müssen. Ligatschow war am Freitag von dem radikalen Reformer Boris Jelzin indirekt vorgeworfen worden, in der Vergangenheit Stalin gewürdigt zu haben. Jelzin forderte, daß Mitglieder des Politbüros wegen ihrer Fehler in der Vergangenheit entlassen werden müßten und spielte unter Applaus auf die Entstalinisierung an: „Das ist humaner als Kritik nach dem Tode und eine Umbettung der Leichen.“ Die Rede Jelzins wurde von der Prawda veröffentlicht.

Über den Inhalt der weiteren Resolutionen zur Justiz-, Wirtschafts- und Gesellschaftsreform sowie zur zukünftigen Medien- und Nationalitätenpolitik ist noch nichts bekannt geworden.