E L S E L A S K E R - S C H Ü L E R

■ P R I N Z V O N T H E B E N

Wenn mein Herz gesund wäre, spräng ich zuerst aus dem Fenster; dann ging ich in den Kientopp und käm nie wieder heraus. Es ist mir genau so, als ob ich das große Los gewonnen hab und noch nicht ausbezahlt bin, oder auf einer Pferdelotterie einen Gaul gewonnen hab und keinen Stall „umsonst“ auftreiben kann. Das Leben ist doch eigentlich ein Wendeltreppendrama, immer so rund herauf und wieder hinunter, immer um sich selber, wie bei den Sternen. Ich bin in freudiger Verzweiflung, in verzweifelter Freudigkeit; am liebsten machte ich einen Todessprung oder einen Jux. Meine Feundin Laurentina zecht wie ein Fuchs, sie studiert die Sprache der alten Herren, ich meine Griechisch und Lateinisch und macht gute Fortschritte. Aber was geht mich das alles an; ich will nichts wissen, nichts. Wenn es nicht klopfen würde!

Das Gehirn wird rein aufgewühlt, es klopft nicht allein unten jeden Freitag und Sonnabend, jedes Stäubchen wird aufgewirbelt, es klopft auch an den anderen Wochentagen, denn ich wohne zwischen Haus und Haus und muß die Brutalität der Höfe ertragen. Ich sitze immer bei geschlossenen Fenstern und werde gar nichts von dem Sommer haben; ausgehen kann ich nicht, ich schreibe Geistergeschichten; ich habe Schulden. Dabei zieht's, wenn ich die Türe rechts und links und hinter mir auflasse. Ich habe gar kein Lust zum Leben mehr, wenn noch die Menschen gerne meine Lyrik lesen wollten; wer sie gerne liest, der soll mir doch mal einen netten Brief schreiben...

Die Leute in Berlin sagen, ich habe eine fixe Idee. fixe Idee ist was Natürliches: Natur, die das Gesetz zum Sklaven macht. Ich bin der Prinz von Theben. Nur Kaiser Wilhelm kann mir in Deutschland nachfühlen, was Regieren heißt. Ich habe dabei ein bunt Volk. Nachts liege ich auf dem Dach, und bei Tage sitze ich unter meiner Palme und regiere. Ich bin für alles verantwortlich, mein Volk schielt noch vor Ungewißheit (...). Ich bevorzuge nichts - nur Menschen (...). Ich bin am tolerantesten gegen mich. Ich bin gnädig gegen mich, ich bin einig mit mir, aus Diplomatie, weil sich mein Volk am mich halten muß. Ich denke nur viel, sehr arg, unmittelbar, ich lasse alle meine Gedanken ganz nah an mich herankommen, damit sie das Fürchten verlernen... Seitdem ich als regierender Prinz in Theben gewählt bin, bewegen sich viele Ehrgeizige in derselben Tracht und Gebärde in den Straßen der Stadt, die mir zu gleichen trachten. Meine Epigonen! Denn Regieren ist auch eine Kunst, eine Eigenschaft wie die Malerei, die Dichtkunst und die Musik. (...) Heute nacht, da meine Neger schliefen, erbrachen die Paschas gewaltsam die Pforte, die zu meinem Dache führt, wegen der Freimarken. Ich wurde in der Nacht noch im Profil (Seite steht mir besser als en face), im Turban und Regierungsmantel photographiert in allen Farben; auf allen Posten meiner Stadt verbreitete man Mich Allerhöchst.

Ein 1912 in der Zeitschrift „Der Sturm“ erschienener Text von Else Lasker-Schüler, dem sie den Titel gab: „Kinematographisches“.

ausgewählt von Michael Trabitzsch