Märchenhafte Nachrichtenwelt

Weltspiegel, 5.Juni, ARD Ein Video-Film des WDR-Reporters Hermann Feldhoff dokumentiert den Kriegsschauplatz Eritrea/Nord-Äthiopien:

Afabet, ein Ort im eriträischen Hochland, etwa 10.000 Einwohner und noch vor Wochen Hauptquartier der „2.äthiopischen revolutionären Armee“, fällt am 19.April in die Hände der „E.P.L.F.“, der „eriträischen Volks -Befreiungsfront“. Die Hälfte der Bevölkerung ist schon Tage zuvor vor möglichen Bombenangriffen der äthiopischen Luftwaffe geflüchtet. Es ist der 19.Mai 1988. Den Tag über kreisen MIGs über der Stadt, die friedlich ihren Geschäften nachgeht. Afabet, kein militärisches Objekt, keine Massierung von militärischem Gerät ... Punkt 15.20 Uhr beginnen sechs MIGs mit dem Anflug, werfen Bomben ab. Die ersten Häuser brennen, Menschen schreien, Leichen werden aus rauchenden Trümmern geborgen.

Weltspiegel, 5.Juni, ARD. Ein Nachspann des Moderators Wolfgang Klein: „Wie das im Leben so ist. Da kommt doch heute nachmittag ein freier Mitarbeiter zufällig vorbei und bringt uns Bilder.“ Zwei Fotos werden eingeblendet, die beweisen sollen: Auch die Befreiungsfront zündet Getreide an, überfällt LKW-Nahrungsmittel-Transporte, benutzt den „Hunger als Waffe“.

Der Nachspann oder „Schwanz“, wie man im TV-Jargon sagt, erzählt den Zuschauern ein „Märchen“, in dem vieles schleierhaft bleibt, aber nicht ohne Wirkung ist. Dem Zuschauer, der die Bilder der brennenden Häuser und der zerfetzten Leichen gesehen hat, wird weisgemacht: Reg dich nicht auf, die Befreiungsfront ist genauso schlimm wie die Armee, beide haben Dreck am Stecken.

Wie kann das Weltspiegel-„Märchen“ aufgeklärt werden? Mit einer Erklärung hat Moderator Wolfgang Klein zur Aufklärung beigetragen. Er hat zugegeben, in dem „Schwanz“ so getan zu haben, als ob der Überfall auf die Nahrungsmittel-LKWs zeitlich parallel zum Luftangriff auf die Stadt Afabet gelaufen ist. Doch viele Fragen sind noch offen. Zum Beispiel: Wer ist der „freie“ Mitarbeiter, der „zufällig“ vorbeikam? Auf Nachfrage nennt der WDR den Namen des Mitarbeiters nicht, weil dieser mit einer Äthiopierin verheiratet sei. Fehlanzeige auch bei der Nachfrage, von wann die Fotos sind, wer sie geschossen hat, welche Interessen der „Zufällige“ vertritt. Fragen, die der WDR nicht beantwortet.

Rupert Neudeck