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A C H , T A P F E R E F R A U

■ V O N F R I T Z P F E M F E R T

1. In einer Rede, die sie vor ihren Parteigenossen in Frankfurt hielt, hat Frau Rosa Luxemburg versichert, die Proletarier von Frankreich und Deutschland würden der Zumutung, sich gegenseitig niederzumorden, energisch widerstehen. Am 20. Februar 1914 (in Klammer: 1914) haben preußisch-deutsche Richter (in Frankfurt am Main) Frau Rosa Luxemburg für diese stolze Zuversicht zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.

2. Frau Rosa Luxemburg ist eine unheilbare Optimistin. Sie kennt unsere militaristische Sozialdemokratie. Sie kennt die Noskes und Gesellen. Sie kennt das famose Parteiwort „Sozialdemokraten sind Mustersoldaten“. Sie weiß: nur Karl Liebknecht kommt neben ihr als ernsthafter sozialdemokratischer Antimilitarist in Betracht. Hofft Frau Luxemburg dennoch, im Ernstfalle eines Krieges würden auch nur tausend, würden auch nur hundert, würde auch nur ein „Genosse“ bereit sein, proletarische Brüderlichkeit zu üben gegenüber den französischen „Feinden“? Ach, tapfere Frau: Wenn es den Kriegslüstlingen diesseits und jenseits der Grenze gefallen sollte, morgen eine Mordorgie zu inszenieren, die Anhänger der deutschen Viermillionenpartei würden Ihrem Optimismus wenig Nahrung geben. Die unterschiedlichen Besucher der Zahlabende würden allenfalls noch wagen, flink eine Protestresolution gegen den brüdermordenden Krieg anzunehmen, aber dann würden sie stramm marschieren. Denn diese Arbeiter-Bourgeoisie, rein auf Phrase dressiert, ist alles andere als antimilitaristisch erzogen.

Frau Rosa Luxemburg ist somit zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden, weil sie einer Hoffnung Worte gab, die, wenn's nach den Führern der heutigen Sozialdemokratie geht, noch jahrzehntelang eine leere Hoffnung bleiben dürfte. Frau Rosa Luxemburg ist verurteilt worden, weil sie brutale Wirklichkeit so zu sehen wähnte, wie die Besten aller Zeiten sie forderten.

3. Dennoch wäre es falsch, wollte man die hohe Bedeutung des Frankfurter Gerichtsurteils bestreiten. Ideale haben noch immer den Zusammenstoß mit den harten Tatsächlichkeiten gut überstanden. Für die Idee des Antimilitarismus, des Völkerfriedens haben schon zu lange nur Teeschwestern gewirkt, als daß wir uns nicht freuen sollten, wenn die herrschende Macht uns durch ihre Vertreter zeigt, daß diese Idee trotz Haager Friedenspalast, trotz (Berta) Suttner und trotz Friedenszar ernst geblieben ist. Das Urteil gegen Rosa Luxemburg macht vieles gut, was die Tanten der „Friedenswarte“ verdorben haben. Ja es ist, seit Liebknechts Verurteilung, die erste wichtige antimilitaristische Agitation.

Ein Kommentar, den Fritz Pfemfert, Herausgeber der in Berlin herausgegebenen expressionistischen Zeitschrift 'Die Aktion‘, im Jahr 1914 drucken ließ. Überraschen tut heute das Datum: 7. März 1914; eine Weissagung also. Ausgewählt von

Michael Trabitzsch

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