XX.Arrondissement, Paris

Paris, XX. Arrondissement. Der Bezirk mit dem höchsten Ausländeranteil. Die Bruchlinie zwischen verfallenen Alt und häßlichen Neubauten wandert von Norden nach Süden. Die Bar auf der Ecke Rue d'Avron – Boulevard de Charonne hat eine Tabak-Lizenz und ist Wettannahmestelle. Draußen vor den Glasscheiben stehen Tische mit gelben Plastikstühlen.

Aus einem Kiosk auf demselben Trottoir, dick und rund wie eine Litfaßsäule, verkauft ein Schwarzer Zeitungen. Die algerische liegt obenauf. Autos drängeln sich an der Kreuzung zusammen, lösen sich wieder und stinken. In der Mitte des Boulevards zwischen den Fahrbahnen ein Jugendstilloch der Metro. Passagiere tauchen einzeln ab oder im Zugtakt in Gruppen auf. Die Sommerabendsonne schiebt verbrauchte Hitze zwischen den Häusern durch. Im Asphalt frische schwarzweiche Macken von Reifen, Absätzen und Stuhlbeinen.

Ich sitze an der Ecke auf einem niedrigen Betonpoller, der Kraftwagen das Trottoir verwehrt. Neben mir quillt Wasser aus einem Loch und spült die Gosse. Ein Autotransporter hat sich vor der Ampel an den Bordstein gedrängt. Der Fahrer ist allein und schwitzt. Er hebelt, hantiert mit Böcken, Klötzen und Stiften, verschwindet. Mit einem blauen Lada kommt er aus einer Gasse zurück. Fährt ihn hoch auf das obere Deck direkt hinter das Führerhaus. Er hebelt, hydraulisiert, stellt wieder die rotweißen Gummihüte hinter der Rampe auf und holt den nächsten blauen Lada.

Zwischen LKW und Cafe Passantinnen und Passanten in Feierabendeile. Die ohne Arbeit gehen langsamer. Manche wenden kurz den Kopf zu einem jungen Mann im Unterhemd. Der sitzt mit dem Rücken zur Straße an einem Tisch abseits von den anderen vor der Bar. Er klebt ein Foto in ein Album auf dem Tisch. Die Fotoecken drückt er sorgfältig mit dem Daumen an. Er steht auf und prüft mit senkrechtem Blick Sitz und Wirkung. Dann blättert er um. Reißt das Bild auf der nächsten Seite heraus. Zerreißt es und steckt die Schnipsel sorgfältig in seinen Rucksack. Aus dem holt er auch ein neues Foto. Das plaziert er sorgfältig auf der freigewordenen Seite, klebt es fest. Stellt sich hin, begutachtet, blättert um. Die nächste Seite. Am Ende schaut er eilig ein letztes Mal stehend und mit wiegendem Kopf das Buch mit den neuen Bildern durch. Portraits eines nackten Manns. Er stürzt seinen bis dahin unberührten Expresskaffee ab, bezahlt drinnen und ist weg, bevor ich meine Frage weiß.

Der Fahrer des Autotransporters rollt polternd einen blauen Lada auf das Unterdeck direkt hinter dem Führerhaus. Blockiert ihn und stellt die rotweißen Gummihüte wieder hinter die Rampe, bevor er den nächsten Lada holt. Text und Fotos: Christoph Busch