: Karol Wojtylas Kinder
■ Ein polnischer Gottesdienst in St. Johann: Kein Wort verstehen, um Gottes Wort zu hören
O Herr, wie groß ist Deine Macht über uns und unsere Leiber. Denn auch dort, wo wir trügerisch Herr über uns zu sein vermeinen, offenbarst Du unverhofft Deine Macht. Führe Deine Zweifler in Deine Kirche und besetze sie mit lauter polnischen Spätaussiedlern, auf daß wir kein Wort verstehen und also Dein Wort hören! Gib uns ein Zeichen, wie Du dem S., Deinem ungläubigen Sohn, eines gabst. Denn Deine Wege sind unerforschlich und führen auch durch die leichtfertigen taz-Redaktionsbeschlüsse. Denn ein solcher war es, der dem S. aufgab, sich in der polnischen Mette der Propsteikirche St. Johann zu tummeln.
Und keinerlei sonderliche Vorkehr hatten die allda Versammelten getroffen, die Alten wie ihre Nachkommen, und kamen, wie sie waren, und hatten Brot und Rinderbraten liegen lassen und hatten mitgebracht ihre Liebe zu Pflegeleichtem, ihre Blöße zu bedecken, und ihre Liebe zu Dir, Herr. Denn anders als wir, die wir uns demütig in Schale schmeißen, wenn wir an seltenen Sonn- und hohen Feiertagen uns in Dein Haus stehlen, sind sie angezogen, als wollten Sie Dir allzeit vors Angesicht treten - alltäglich und würdig, reinlich und bügelfrei. Und anders auch als wir, die wir unsere heimischen Lasterhöhlen heuchlerisch zum Gottesdienst verlassen, sind sie in Deiner Kirche ebenso und mehr zu Haus als in ihren noch fremden Wohnungen. Denn in Deinem Haus sind sie mit Dir und untereinander und mit ein paar Erinnerungen an eine Heimat, aus der sie auszogen in ein von falschen Zungen gelobtes Land.
Die Kleinsten schon legen Malbüchlein und Kinderrassel aus der Hand, wenn sie sich auf der Brust umherfuhrpatschen, artig die vielfach abverlangte Bekreuzigung von Säuglingsbeinchen an übend. Und die Größeren schon werfen unterhalb der Haarschleifchen die dick geflochtenen Pferdeschwänze in den Nacken, ehe sie auf die Knie fallen und die gläubigen Stupsnäschen in die artig vorm Gesicht gefalteten Händchen quetschen.
Nein, weiß Gott, da ist kein Platz für kritikasternden Geist zwischen ihnen und dem da vorne und seiner Rede, durch den Dein Wort donnernd auf sie herniederfährt als das Wort eines zornigen Rachegottes, denn so klingt es für den der Ohren hat zu hören und kein Wort zu verstehen, zwischen den beschwörend erhobenen Händen: Dräuend, Buße fordernd und Höllentorturen verheißend. Bis er die Hände aufhebt vor dem Kelch mit Deinem Blute und dem Schälchen mit den Scheiben Deines Leibes, auf daß ein Wunder geschehe unter seinen Händen und der Kelch sich in die Lüfte erhebe, geführt wie von der Geisterhand einer Fünf-Kanal-Fernsteuerung. Und wer da gekostet, der geht demütig von dannen mit zum Gebet gefalteten Händen, ein jeglicher auf seinen Platz.
Und als der Segen gesprochen ist und S., Dein verlorenes Schaf, denkt, nun sei es aus, und stehet schon und will hinaus, da erhebt wie auf ein unverhofftes Zeichen sich plötzlich ein Donnern und Murmeln, und aus ihren Sitzen ist die Gemeinde in die Knie gesunken, als wollten sie um seine Seele bitten. Da beuget auch der Verlorene die Knie und betet. So peinlich ist ihm.
K.S.
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