: Verwirrspiel über Überfall
■ Polizei hält den Überfall in der Neustadt für einen Routinefall, für Jugendbanden-Kriminalität und gleichzeitig für eine Racheaktion innerhalb rechtsradikaler Kreise
Auch drei Tage nach dem organisierten Sturm rechtsradikaler Jugendlicher auf eine Wohnung in der Bremer Neustadt (vgl. taz 11.7.) behandelt die Polizei die Angelegenheit mit gewohnter Routine. Die Spurensicherung beschränkte sich auf acht Fotoaufnahmen von den hinterlassenen Zerstörungen vor dem Haus und in der Wohnung. Den zusammengeschlagenen Sozialhilfeempfänger B., der in der Nacht zum Samstag direkt ins Krankenhaus eingeliefert worden war, hat bis Montag abend kein Kripobeamter für eventuelle Nachfragen besucht. In den Pressemitteilungen der Polizei fehlte der Fall auch noch am gestrigen Montag.
Daß die Spurensicherung der Kripo am Samstag im Hausflur einen Zettel hinterlassen hatte, auf dem sie den Mann per Formblatt aufforderte, „sich mit der angegebenen Dienststelle wegen eines neuen Termins in Verbindung zu setzen“, entschuldigte die Pressestelle der Polizei gestern so: Die Kollegen der Spurensicherung hätten nicht wissen können, daß der Mann im Krankenhaus liegt - mehr, als daß es
sich um einen Fall „gefährlicher Körperverletzung“ handele, habe zur Erläuterung nicht auf ihrem Auftrag gestanden.
Der Überfall wird von dem 3. Kommissariat „jugendliche Gewalttäter“ bearbeitet, da als Hintergrund eher die Lust an der Randale, wie sie bei Jugendbanden üblich sei, gesehen wird. Gleichzeitig wird aber unter den Beamten im Polizeihaus eine ganz andere Version weitererzählt: Der Sozialhilfeempfänger sei selber ein „Rechtsradikaler“ oder ein ehemaliger, die Gewaltaktion also möglicherweise eine Begleichung alter Rechnungen. Dies hat allerdings nicht dazu geführt, daß das für Rechtsradikalismus zuständige Kommissariat die Ermittlungen übernommen hat.
Für B. ist seine rechtsradikale Vergangenheit eine „peinliche Sache“, auf die er nicht gern angesprochen wird, und „lange her“. Für ihn scheidet eine solche „Rache“ deshalb weitgehend aus, eher vermutet er eine Verärgerung der Neustädter Szene rechtsradikaler Jugendlicher darüber, daß er auch auf eigene Faust sich offen und sehr deutlich antifa
schistisch engagiert hat - beim Prozeß gegen den früheren FAP-Anführer Privenau war er vor dem Gericht unter der Gruppe der Demonstranten, manche Wandparole in der Neustadt stammt von ihm, seit einigen Monaten ist er auch beim Antifa -Treffen der Neustädter Friedensgruppe.
Der Polizei dürfte der Zusammengeschlagene noch aus einem anderen Grund kein Unbekannter sein: In dem Haus wohnte vor vier
Monaten ein Jugendlicher, gegen den wegen Diebstählen ermittelt wird. Der, so berichtet B., habe eines Tages nach einem Verhör erzählt, die Kripo habe ihm Nachsicht angedeutet, wenn er Informationen über B. weitergebe - was der Jugendliche getan habe. Der jetzt zusammengeschlagene Sozialhilfeempfänger hatte daraufhin den Jugendlichen als „Spitzel“ aus seiner Wohnung herausgeschmissen.
K.W.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen