ALLEIN ZUSAMMEN

■ Cecil Taylor und Han Bennink

Wird's nicht langsam langweilig? Jedes Wochenende zweimal Genie. Einmal mit Bratkartoffeln, einmal mit Salatplatte, einmal mit Pommes Frites. Ausgehungert die Kongreßhalle umkreisend, sucht man vergeblich den Eingang. Wer einmal falsch läuft, sich von Treppen täuschen läßt, kommt lange nicht hinein. Hermetisch abgeschlossen, Irrwege, die in Keller oder in der Spree enden. Unter der großen Freitreppe ist der Zugang. Die im dumpfen Betonsaal sitzen, wissen schon lange, warum sie hier sind. Wieder Cecil Taylor, wieder, wieder, diesmal mit Han Bennink am Schlagzeug.

Kein größerer Gegensatz ist denkbar. Bennink, ein störrisch geratenes Kind, mit halblangem, weißem Spielhöschen, sitzt in seinem Zimmer und macht sein Spielzeug kaputt. Er schlägt das Parkett, rudert mit den Stöcken und verkratzt es, dreht seine Plastiktüte um und schüttelt seine Rasseln und Ratschen auf den Boden, verheddert sich in der Tüte und zieht sie endlich über den Kopf. Cecil Taylor in Gelb, unsichtbar hinter dem Flügel, trommelt, singt, stöhnt, als Moriskentänzer erscheint er schließlich, betanzt den Flügel, beschwört ihn mit Gesängen, die Magie des musikalischen Opfers. Han Bennink schleudert trotzig seine Stöcke ins Eck, rennt im Saal umher, versteckt sich hinter dem Vorhang: Kling, da bin ich wieder. Zieht mit der Ratsche durchs Publikum, schlägt auf Stühle. Man hat ihm ein kleines, ordentliches Schlagzeug gekauft, und jetzt macht er damit, was er will. Cecil Taylor lauert über den Tasten, blitzschnelle Ausfälle, Zurückweichen, Stillstand. Taylor hört aus den Augenwinkeln auf Bennink, beobachtet, reagiert. Zwei Züge, die nebeneinander fahren, gleichschnell, der eine schiebt sich Meter um Meter nach vorne, fällt dann zurück, zieht wieder gleich. Ein kurzer Schlag, Zurücknehmen, Luft schöpfen.

Vielen ist Benninks Humor zu aufdringlich, zu beherrschend. Sie passen kaum zueinander, und Taylors Humor ist zu tiefgründig, als daß ihn irgendjemand erkennen könnte. Aber Bennink hat ein Klanggefühl wie kaum ein anderer. Wenn er die kleinen Becken nach dem Schlag öffnet, saugt er Luft ab, ein Vakuum entsteht, in dem Taylor einen Ton schweben läßt. Wenn er seine großatmigen Schläge setzt, zieht er dicke Taktstriche, genau an der Stelle, wo man hochkommen muß, um wieder untertauchen zu können. Wenn er durch den Saal wandert, steckt er präzise den Raum ab, in dem Taylors Tontrauben niederfallen können. Man muß nur wegsehen, um ihn hören zu können. Taylors Musik ist beschreibbar und doch unbeschreiblich. Sie bleibt sich gleich, wiederholt sich und erscheint doch, wie das Licht, in immer anderen Brechungen. Manchmal ein einziger Ton, der aus hundert Einzeltönen besteht, manchmal ein großer schwebender Rhythmus aus zerhackten Metren und manchmal starrt man nur abwesend auf die Finger und kann dieser Energie nichts mehr entgegensetzen.

Tanz der Sprache: Schreien, Stöhnen, die Worte zerplatzen im Mund und werden als Rhythmus ausgespuckt. Improvisation als Gespräch mit sich selbst. Hohes, keifendes Geschnatter mit dunklem Gebrummel, geifernde Giftigkeiten über ruhigen Kommentaren, unartikuliertes Gestotter zu zärtlichem Geflüster. Ein Stück mit 88 Personen. Die Fäden laufen über zehn Finger. Sie sind Harmonie, sie sind Rhythmus, sie sind Melodie. Vielleicht braucht er die anderen Musiker nur, um noch den Boden unter den Füßen zu spüren. Am Samstag spielt Cecil Taylor allein. Wie man reinkommt, steht oben.

Konrad Heidkamp