Gemayels Präsidentenstuhl wird frei

Die Amtszeit des libanesischen Präsidenten läuft im Herbst aus / Weitere sechs Jahre Bürgerkrieg oder politische Reformen / Die Bevölkerung hofft auf einen „starken Mann“ / Die Weichen für die Kandidatenkür werden letzten Endes von Syriens Staatschef Assad und den USA gestellt / Balanceakt zwischen Christen und Moslems  ■  Aus Beirut Petra Groll

Wie das Kaninchen auf die Schlange, starrt die libanesische Bevölkerung auf die Präsidentschaftswahlen im Herbst. Volkes Stimme kann freilich nicht das geringste am Ausgang des Ereignisses ausrichten, weil die Entscheidung dem Parlament zusteht. Auch die politischen Positionen des künftigen Präsidenten zählen im Detail herzlich wenig, was nicht heißt, daß nicht jedes Detail ausführlichst und immer wieder in jedem beliebigen Zirkel diskutiert wird.

Das ideelle Gesamtvolk erwartet von seinem künftigen Präsidenten, der laut dem „Nationalpakt“ von 1943 ein Christ sein muß, nur eines: Stärke. Stärke, die zerrissene Nation wieder zusammenzuflicken, staatliche und halbstaatliche Institutionen wieder zu funktionsfähigen Apparaten zu machen, ein Minimum an Sicherheit für den Bürger zu schaffen. Und Stärke, sich nicht zwischen den vielen Fronten zerreißen zu lassen. Kurz und knapp: Die Wahlen stehen für die Weichenstellung zu weiteren sechs Jahren Chaos und Bürgerkrieg oder zu politischen Reformen und damit der Entwicklung demokratischer Strukturen.

Irgendwann zwischen dem 23.Juli und dem 23.August muß verfassungsgemäß die einzige Parlamentskammer den Nachfolger Sheikh Amin Gemayels bestimmen, dessen sechsjährige Amtszeit am 23.September abläuft. Drei Kandidaten stehen bislang offiziell zur Verfügung, etwa zwanzig weitere sollen mehr oder minder hinter den Kulissen auf ihre Präsidentschaftskarriere hinwirken.

Zwar wird das libanesische Parlament den künftigen Staatschef wählen, doch die Abngeordneten werden letztlich nur eine Entscheidung ausführen, die im Vorfeld von Syrien und den USA getroffen wird. Denn da seit mehr als zwei Jahren der Dialog zwischen den libanesischen Widersachern zum völligen Erliegen gekommen ist und die Funkstille sogar zum Boykott des derzeitigen Präsidenten Gemayel durch die oppositionellen Minister gesteigert wird, obliegt eine Kompromißfindung Syrien und den USA. Beide haben wiederholt erklärt, sie arbeiteten auf einen reibungslosen Ablauf der Präsidentschaftswahlen innerhalb der vorgesehenen Zeit hin, freilich unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Bedingungen. Beide galten als Rückenmächte der moslemischen Opposition beziehungsweise der christlichen Herrschaft. Syrien, das regionale Großmacht spielt, folgt zwar mehr oder minder dem US-Kurs, verfolgt jedoch in einem Punkt eine grundlegend andere Politik: es will verhindern, daß der Libanon aus der Riege der arabischen Staaten ausschert. Umgekehrt liegt es im Interesse der USA, gemäß der Strategie von US-Außenminister Henry Kissinger den Block der arabischen Staaten aufzubrechen. Sowohl an der Petrofront wie auch in der Palästinenserfrage widerspricht eine arabische Einheit den Interessen der USA. Nachdem 1983/84 Syrien erfolgreich einen libanesisch-israelischen Separatfrieden hatte torpedieren können, war es 1986 zum Bruch mit dem libanesischen Präsidenten und der herrschenden Maronitenminderheit gekommen. Ein von Syrien entworfenes Abkommen über Reformen der libanesischen Verfassung, Dreh und Angelpunkt des libanesischen Bürgerkrieges, platzte in jenem Frühjahr, weil der konservative, den USA und Israel verbundene Flügel der Maroniten und mit ihnen Präsident Gemayel sich weigerten, das „Drei-Personen-Abkommen“ zu unterschreiben.

Zwar haben auch die USA mittlerweile versichert, daß sie ein Reformprogramm für die Zukunft des Libanon als unabhängigen Nationalstaat für unabdingbar halten, doch scheint keine Einigkeit über die Modalitäten zu bestehen. Den libanesischen Maroniten muß jegliche Reform der Machtstruktur im libanesischen Herrschaftssystem eine Beschneidung ihrer Privilegien bedeuten. Die innenpolitische Probleme hängen eng mit der Frage der „Identität des Libanon“ im regionalen Gefüge zusammen. Während Syrien und damit die libanesische Opposition das Land als klaren Berstandteil der arabischen (moslemischen) Welt betrachten, kämpfen Libanons Maroniten verzweifelt um einen Sonderstatus des Landes, da sie sich als Nachfahren der nicht-arabischen Phoenizier sehen. Es muß also stark bezweifelt werden, ob innenpolitische Reformen möglich sind, wenn sie, wie im „Drei-Parteien-Abkommen“, unauflösbar mit der Festschreibung „besonderer Beziehungen“ zu Syrien verquickt sind. Und nicht nur das: Wie es nach der Begegnung von Gemayel und Syriens Präsident Assad auf dem arabischen Gipfel in Algier hieß, soll letzterer gefordert haben, daß der künftige libanesische Präsident die Anwesenheit der syrischen Truppen auf eine gesetzliche Grundlage stelle. Außerdem solle das Reformpaket eine gleiche Sitzverteilung von Christen und Moslems im Parlament enthalten. Der zukünftige libanesische Präsident wird sich der Tatsache nicht entziehen können, daß Syrien mit 35.000 Soldaten fast zwei Drittel libanesischen Territoriums kontrolliert.

Des weiteren hält Israel die sogenannte „Sicherheitszone“ im Süden des Landes besetzt. Libanon ist gefangen im Teufelskreis der Nahost-Krise, ohne deren Lösung eine unabhängige Politik schier unmöglich scheint.