Deutsches Wesen in Südafrika

■ Das Deutschtum gedeiht unter Apartheid-Bedingungen wie in seinen besten Zeiten: Es bringt viele Mitläufer, zuviele Mittäter und sehr wenige Widerstände hervor / Ein Bericht über wahre Weiße, weise Unternehmer und gute Schwarze

Hans Brandt

„'Ne Currywurst, und für meinen Kumpel hier ein Schaschlik, aber zack zack.“ Die Betreiberin der „Wurstbude“ hat offenbar regelmäßig mit angetrunkenen Kunden zu tun. „Ganz oder in Stücke schneiden?“ fragt sie gelassen, während sie die Wurst vom Rost nimmt. Der schwankende Mann mit der schiefen Krawatte winkt nur wild ab, während er seiner Frau, die sich mit einem beschämten Lächeln für seine laute Unhöflichkeit zu entschuldigen versucht, einen bierdunstigen Kuß auf die Wange knallt. Dann stopft er sich die Wurst in den Mund und nimmt seinen Kumpel in den Arm. „Komm, wir gehen und trinken noch ein Bier.“

In der Kneipe „Alt-Heidelberg“ läuft gerade ein Video vom „Moulin Rouge“ in Paris. „Nackte Nixen“, wie der Kommtator die Frauen nennt, winden sich graziös in einem Schwimmbad mit Glaswänden. „Na, das ist doch was“, sagt der kleine Mann mit dem gelblichen Teint zu seinem Nachbarn. Der zuckt nur mit den Schultern, pult sich den schwarzen Öldreck unter den Nägeln weg, nimmt noch einen Schluck Bier und starrt auf die vergilbten Bundesliga-Wimpel, die über der Theke hängen. Gröhlend stimmen die Kumpel von der „Wurstbude“ ein anzügliches Trinkerlied an. Die Gäste im angrenzenden Restaurant scheint das nicht zu stören. Mit Hingabe widmen sie sich den gutbürgerlichen Gerichten, die ihnen serviert werden: Leberkäse und Bratkartoffeln, Eisbein und Sauerkraut, dazu schmuddelige Schwarzwald-Dekoration. Mitten im Satz bricht das Gegröhle ab. „Mann, der singt aber komisch“, macht sich der Wurstesser über seinen Kumpel lustig. „Fast wie ein Schwarzer.“ „Da hört der Spaß aber auf“, schimpft sein Freund zurück. „Seh ich denn schwarz aus? Ich bin doch kein Ausländer.“

Eben doch. Im Rausch mag das heimische Gemisch aus Wurst und Bier, Bundesliga und Trinkerliedern darüber hinwegtäuschen, mag es scheinen, als ob das „Alt-Heidelberg“ in der Nähe des Bahnhof Zoo in Berlin liegt. Doch die „Wurstbude“ ist in der Pretoria Street, das „Restaurant Alt -Heidelberg“ in der Kotze Street in Hillbrow, Johannesburg. Hier sind Deutsche, trotz der Privilegien, die ihnen ihre weiße Hautfarbe im Apartheid-Staat verschafft, Ausländer.

Hillbrow, kosmopolitischer Apartment-Bezirk am Rande der Johannesburger Innenstadt, bietet als erste Station für viele Einwanderer den Deutschen nicht nur die erste Wohnung im neuen Land, sondern auch eine Palette heimatlicher Produkte: jüngste Ausgaben von 'Spiegel‘, 'FAZ‘ oder 'Welt‘ zum teuren Luftfrachtpreis; den deutschen Videoklub („holen Sie sich Deutschland ins eigene Heim“) und den deutschen Metzger; und selbst die eigene Autowerkstatt. Die Deutschen bilden immerhin nach den Briten die zweitgrößte Zuwanderergruppe aus Europa. Noch 1984 ließen sich 1.173 Deutsche, vier Prozent der insgesamt 28.793 Einwanderer in dem Jahr für immer im Apartheid-Staat nieder. 41.000 deutschsprachige Weiße wurden 1980 unter den 4,5 Mio. Weißen in Südafrika gezählt.

Dem einsamen Einwanderer bieten sich in Hillbrow die exotischen schwarzen Frauen seiner Träume vom dunklen Kontinent an. Denn dies ist einer der wenigen Bezirke in Südafrika, wo den Apartheid-Gesetzen zum Trotz Schwarze und Weiße nebeneinander leben. Dabei ist nicht unbedingt der Besuch eines der einschlägigen Hotels notwendig. In Dutzenden von Diskotheken in Hillbrow ist ohne weiteres die Bekanntschaft alleinstehender schwarzer Frauen zu machen.

Deutsche Einwanderer, die die Nachtwelt von Hillbrow lieber vermeiden, können auf andere Weise langfristig Anschluß finden. Sowohl katholische als auch evangelische deutsche Kirchengemeinden in Johannesburg sind jederzeit bereit, neue Mitglieder willkommen zu heißen. Die „deutsche evangelisch -lutherische Gemeinde Johannesburg“, deren „Friedenskirche“ und Gemeindezentrum samt deutschem Konsulat in Hillbrow liegen, feiert dieses Jahr sogar ihr hundertjähriges Bestehen. Johannesburg selbst ist nur zwei Jahre älter. Frühreifes Deutschtum

Die steinerne Familiengruppe an der Strandpromende von East London schaut starren Blickes auf die Wellen des Indischen Ozeans. Vater hat seinen kräftigen Arm um Mutter gelegt, die wiederum Tochter umarmt, die selbst eine steinerne Puppe ans Herz drückt. „Den deutschen Einwanderern“ ist das hundert Jahre nach deren Ankunft errichtete Monument gewidmet.

Tatsächlich waren die Deutschen schon seit den ersten Stunden der weißen Geschichte in Südafrika mit von der Partie. 1652, als die holländische Ostindien Kompanie einen Versorgungsposten gründete, siedelten sich die ersten Deutschen im Schatten des Tafelbergs an. Bis 1806, als das Kap endgültig britische Kolonie wurde, waren 4.000 Deutsche eingewandert. Deutsche Missionarsgesellschaften sorgten weiterhin für einen ständigen Fluß von Einwanderern.

Es waren Soldaten, die sich 1857 in der unwirtlichen, als „Britisch Kaffraria“ bekannten Region in der östlichen Kapprovinz niederlassen sollten, um sie gleichzeitig gegen die aus dem Osten angreifenden Kämpfer des Xhosa-Stammes zu verteidigen. „Eine schnelle Zunahme in der Zahl der europäischen Bevölkerung wird innerhalb weniger Jahre dafür sorgen, daß Britisch Kaffraria für Großbritannien keine Sorge und Kosten mehr verursacht“, begründete Sir George Grey, Gouverneur der Kapprovinz, 1857 die Siedlungspolitik. Etwa 4.000 Deutsche, neben Soldaten vor allem Bauern aus Pommern, wurden von dem Versprechen, eigenes Land besitzen zu können, ans Kap gelockt. Sie gründeten Orte mit vertrauten Namen - Berlin, Potsdam, Hannover, Hamburg und König-Wilhelmsstadt -, in denen bis heute der Einfluß der Deutschen zu spüren ist.

Doch nur 40 Jahre später begann die britische Kolonialverwaltung mit der Deportation von Deutschen, weil diese im Krieg gegen die unabhängigen Burenrepubliken „Oranje-Freistaat“ und „Südafrikanische Republik“ den Feind unterstützten. Glaubt man dem Nazi-Autor Werner Schmidt -Pretoria, so ist der Ausbruch dieses „Freiheitskrieges“ selbst den Deutschen zu verdanken. Ihm zufolge war es „die über vergangene Generationen hörbare Stimme deutschen Blutes und der unwiderstehliche Drang deutscher Seelen, die jene Männer bewogen haben, Gefahren oder selbst Vernichtung zu bestehen, solange ein Leben und Schaffen als Freie winkte“.

Selbstbewußt meint Schmidt-Pretoria in seinem Buch „Der Kulturanteil des Deutschtums am Aufbau des Burenvolkes“ („meinem Gauleiter, dem Chef der Auslands-Organisation im Auswärtigen Amt, als Garanten eines im Dritten Reiche verankerten Auslandsdeutschtumes gewidmet“), daß der Einfluß des „deutschen Blutes“ dazu geführt hätte, „daß es ein Volk nordischen Charakters ist, welches es unternimmt, abendländische Kultur nach der entferntesten Spitze Afrikas zu verpflanzen und dort, vergangenen und kommenden Anstürmen trotzend, zu halten“.

Was Wunder, daß gerade die Nazis eine besondere Zuneigung zu den Buren hatten. „Hitler liebte die Buren“, sagt Erik Holm, ehemaliger Radiopropagandist im Goebbels-Ministerium. Der 81jährige Holm lebt heute zurückgezogen auf einem kleinen Landgut außerhalb von Pretoria, umgeben von den „völkischen“ Kunstprodukten seiner Frau Elly, einer in Südafrika bekannten Porträtistin von burischen Politikern. Eines ihrer Subjekte, der spätere Premierminister und Staatspräsident John Vorster, verbrachte als Mitglied einer militanten burischen Organisation, die Hitler unterstützte, den zweiten Weltkrieg in einem Internierungslager.

Einflußreiche Buren studierten in den dreißiger Jahren in Deutschland, darunter der spätere südafrikanische Finanzminister und Staatspräsident Nico Diederichs. Hinzu kamen besonders auch führende Theologen. „Die Theologie von Blut und Boden und der Reinheit des Blutes der Nation wurde von Kirchenführern hierher übertragen“, sagt Professor Johan Heyns, Leiter der Niederländisch-Reformierten Kirche, der größten burischen Kirche. Die Buren hatten Angst, so Heyns, daß sie im „Treibsand des Afrikablutes“ verschwinden würden. So formulierten burische Ideologen in den dreißiger Jahren unter dem Einfluß der Nazi-Ideologie von Volks- und Rassenreinheit ihr geschlossenes System der Rassentrennung, der „Apartheid“. Enklave Kroondal

Deutsche Immigranten und ihre Nachfahren verteidigen diese Politik bis heute mit Verbissenheit. Da wird jede Kritik als „anti-südafrikanisch“ verurteilt, jede Neugierde mit der scharfen Gegenfrage: „Wo stehen Sie eigentlich politisch?“ beantwortet. Wer diese erste Hürde allerdings passieren kann, dem werden vertrauensvoll abgegriffene Weisheiten über die „südafrikanische Situation“ mitgeteilt. „Ich habe auch mal eine Fabrik hier gehabt“, sagt beispielsweise ein Unternehmer. „Aber die habe ich schnell abgestoßen. Den Schwarzen kann man keine Maschinen überlassen. Die machen alles kaputt.“ Die Apartheid ist den deutschen Immigranten offenbar ans Herz und an die Geldbörse gewachsen. Das verhindert allerdings nicht, daß es auch in Südafrika deutschstämmige Enklaven gibt, die noch nach Generationen „deutsche Traditionen“ pflegen.

„Unsere Feste sind weit und breit berühmt“, prahlt Herbert Meyer. „Wenn wir hier Basar haben oder einen Tanz veranstalten, kommen Tausende nach Kroondal.“ Meyer ist Vorsitzender des Kirchenvorstandes des hundert Kilometer nordwestlich von Johannesburg gelegenen Ortes. Damit ist er quasi Bürgermeister des Ortes. Denn obwohl die deutschen Bauern hier über Jahrzehnte hinweg eine eigenständige Gemeinde aufrecht erhalten haben, gibt es keine offizielle Verwaltung in Kroondal. Verwaltungstechnisch existiert Kroondal gar nicht. Deshalb dreht sich das Leben des Dorfes um die Kirche. Dementsprechend groß ist das repräsentative Backsteingebäude: Beweis, daß deutscher Fleiß sich lohnt.

Die Deutschen in Kroondal sind selber Nachfahren Herrmannsburger Missionare, die im 19. Jahrhundert in die Gegend kamen, um den Angehörigen des Tswana-Stammes das Wort Gottes zu verkündigen. Am Pfingstsonntag ist die Kirche voll. Trotz glühender Hitze haben die Obst- und Baumwollbauern ihre an kurze Hosen und leichte Hemden gewöhnten Körper in enge Anzüge gezwängt. Die Frauen haben es da, mit luftigen Kreationen in rosa, hellblau und weiß, angenehmer. Herbert Meyer ist ein großer Mann, sein Gesicht von der Sonne braun gebrannt und wegen der festgezogenen Krawatte etwas errötet. Mit afrikaansem Akzent verliest er die Ankündigungen. Es geht der Gemeinde gut. Mehrere Taufen und Trauungen haben stattgefunden. Da fällt die politische Predigt des deutsche Missionars aus einer benachbarten schwarzen Gemeinde, der heute zur Versöhnung mit den schwarzen Brüdern aufruft, nicht schwer ins Gewicht. „Der ist eben so“, sagt Frau Meyer nach dem Gottesdienst. „Das sind wir schon gewöhnt. Dadurch lassen wir uns nicht aus der Ruhe bringen.“ Die Gemeinde Kroondal leistet sich noch immer eine eigene deutsche Schule. Das ist in den letzten Jahren schwieriger geworden, nachdem die Zuschüße aus der Bundesrepublik gestrichen wurden. „Die wollten erzwingen, daß wir hier auch farbige Schüler aufnehmen“, erzählt Frau Meyer. „Aber das ist ja Unsinn. Wir haben ja nur zwei Lehrer und eine Handvoll Schüler. Außerdem unterstützen wir die schwarze Schule hier am Ortsrand.“

„Sie sollten Mal zu unserem Basar kommen“, fordert Herbert Meyer mich auf, als wir später auf der Veranda seines Hauses mit Blick auf den gepflegten Garten sitzen. Er hat sich schon umgezogen und trägt wieder die gewohnte kurze Hose. „Da werden mehr als ein Dutzend Schweine geschlachtet. Die Leute reißen sich um unsere Wurst.“

Tatsächlich überschattet Kroondal in mancher Hinsicht die benachbarte Stadt Rustenburg. „Bevor die in Rustenburg was planen, fragen sie erst nach, ob wir hier was vorhaben“, sagt Meyer. „Gegen ein Fest in Kroondal kann niemand konkurrieren.“ Wenn die Leute von Kroondal so hoch angesehen sind, müssen sie doch auch politisch einflußreich sein, frage ich. „Das ist richtig“, bestätigt Meyer. „Ich bin hier auch Vorsitzender der Nationalen Partei von Staatspräsident P.W. Botha.“ Das nationalistische Festhalten an deutschen Traditionen und das Engagement für eine südafrikanische „Nationale Partei“ stehen für ihn offenbar nicht im Widerspruch zueinander. Die Identifizierung mit der neuen Heimat, unter Immigranten und deren Nachfahren in aller Welt zu beobachten, ist hier bis zu ihrem logischen Schluß durchgezogen worden. Zuverlässig, pünktlich und gewissenhaft

Für die deutschen Immigranten, die heute in den Apartheid -Staat kommen, stehen politische Überlegungen an letzter Stelle. Sie haben andere Probleme. Am Ende des leeren, verstaubten Ganges im ersten Stock des „Highpoint Centre“ winkt das Schild mit dem vierblättrigen Kleebatt des Glücks. „DAV - Deutsche Arbeitsvermittlung“ steht auf der Tür. Dem Eintretenden offenbart sich eine vertraute Welt deutscher Leitz-Ordner Ordnung. Adrett, dynamisch, mit flinkem Lächeln empfängt mich Ingrid Kast, Inhaberin der DAV.

„Jeder, der kam, konnte vermittelt werden“, erinnert sie sich an die goldenen Anfangszeit ihrer Arbeit Mitte der siebziger Jahre. Damals konnte Sie jährlich bis zu 100 Immigranten in kaufmännischen und handwerklichen Stellungen unterbringen. Doch die anhaltende Rezession hat zu einer restriktiven Immigrationspolitik der Südafrikaner geführt, sodaß heute höchstens noch ein Deutscher monatlich auf eine Anstellung hoffen kann. Beliebt sind die als zuverlässig, gründlich, pünktlich und gewissenhaft bekannten Deutschen allerdings immer noch. „Eine BMW Werkstatt will lieber einen deutschen KfZ-Mechaniker haben“, erzählt Frau Kast. „Immerhin wollen die Leute ihr 70.000 Mark Auto nicht 'nem Schwarzen anvertrauen.“ Als ich stutze, fügt sie schnell noch hinzu, daß die Schwarzen eben schlechter ausgebildet seien.

Aber dagegen sei ein immigrierter Mechaniker eher bereit, seinen schwarzen Handlanger auszubilden. Deshalb glaubt Frau Kast, daß die Immigranten dem Apartheid-Staat nur gut tun können. „Der Immigrant ist der Typ, der unheimlich pro -schwarz ist“, sagt sie. „Die wenigen, die gegen die Schwarzen sind, das sind Spinner.“ Sie selbst ist stolz, vor kurzem auch einem deutschsprachigen Schwarzen einen Job vermittelt zu haben. „Das schöne bei den Schwarzen ist, die sind sehr loyal“, freut sie sich. „Die wechseln nicht kurzfristig für ein paar Mark mehr im Monat den Job.“

Das gelte aber nur für besser ausgebildete Schwarze, räumt sie dann ein. Sie hat mehr als 2.000 Firmen, entweder deutsche Tochterunternehmen oder Firmen mit deutschstämmigem Management, auf ihrer Kundenliste. Die gestreßten Personalchefs kommen des öfteren zu ihr, um über die Schwierigkeiten mit den schwarzen Angestellten zu klagen.

Dave Kirby, für Personalfragen zuständiges Vorstandsmitglied bei BMW-Südafrika, findet auf andere Weise neue Kraft. Er ist gläubiger Anglikaner und setzt auf die direkte Intervention Gottes im täglichen Leben. „Als die Gewerkschaft in den späten siebziger Jahren hier anfing, war das ein sehr aggressiver Haufen“, erzählt Kirby. „Doch Christus fordert, daß wir uns in die Position unseres Gegenübers versetzen, daß wir den Anderen lieben sollen.“ So erklärt Kirby sich seinen Erfolg im Umgang mit den Gewerkschaften. In der Zusammenarbeit mit den Arbeitern gilt BMW heute als vorbildlich unter deutschen Firmen in Südafrika. Gewerkschafter sind maßgeblich an der Verwaltung der Rentenversicherung der Arbeiter beteiligt, und der Konzern plant den Bau einer Tagesstätte für die Kinder der Arbeiter. Output: gute Gewerkschafter

„Wir haben immer gesagt, daß es uns egal ist, wie militant die Gewerkschaften sind, solange sie ihre Mitglieder effektiv vertreten“, erklärt Kirby die BMW-Philosophie. „Deshalb bilden wir diese Leute aus wie jeden Manager: mit Management-Training und Kursen, die Eigenständigkeit, Durchsetzungsvermögen und Führungskraft entwickeln.“ Allerdings beschwert er sich, daß die Gewerkschaftsführer zu oft ausgewechselt werden: „Da bleibt noch viel zu wünschen übrig.“

Tatsächlich hat die BMW-Strategie, durch gezielte Schulung die passenden Gewerkschafter heranzuzüchten, den gewünschten Erfolg gebracht. Professor Nic Wiehahn, Architekt der Gesetzgebung, die 1979 schwarze Gewerkschaften legalisierte, kann das als Mitglied des BMW-Aufsichtsrates auch seinen Freunden in der südafrikanischen Regierung bestätigen. „Was wir hier machen, ist in Regierungskreisen bekannt. Kabinettsmitglieder, die uns besucht haben, haben sehr positiv reagiert“, erzählt Dave Kirby. „Sie haben uns gesagt: 'Ihr schafft hier ein Versuchsmodell, wo man beobachten kann, was funktioniert und was nicht‘.“

BMW als südafrikanisches Labor für Gewerkschaftsbeziehungen, mit Wiehahn als regierungsamtlichem Beobachter? Kirby winkt ab. „Viele Dinge, die wir hier machen, haben andere lange vor uns eingeführt“, sagt er. Jedenfalls war das Experiment zweifellos erfolgreich. Seit Anfang 1984 hat es keinen Streik mehr gegeben.

Der andere bundesdeutsche Hersteller von Nobelautos bietet da ein krasses Gegenbeispiel. Bei „Mercedes Benz of South Africa“ (MBSA), der südafrikanischen Daimler Tochter, will die Streikwelle nicht abreißen. Im September 1987 wurde gar die gesamte Belegschaft von 2.800 schwarzen Arbeitern im Daimler-Werk in der Hafenstadt East London gefeuert. Die Polizei wurde zur Hilfe gerufen, um das Werksgelände zu räumen. Wochenlang wurde ein Ultimatum nach dem anderen an die Streikenden gestellt. Aber nach neun Wochen des verbitterten Kampfes und nach erheblichem Druck auf die Stuttgarter Zentrale mußten alle wieder eingestellt werden. Als führender Hersteller von Luxuswagen in Südafrika und konkurrenzloser Führer im Bereich der Nutzfahrzeuge mußte MBSA Produktionsverluste um die 270 Mio. Mark einstecken.

Über die unbeholfene Art, wie die Daimler-Manager mit dem Konflikt umgingen, waren die anderen Autokonzerne empört. „Wir sind hingefahren, um mit unseren dortigen Kollegen zu sprechen“, erzählt Kirby. „Das war wirklich für die gesamte Branche nicht gerade vorteilhaft.“

Doch auch in diesem Jahr schwelt der Arbeitskonflikt in East London weiter. Erneut hat es Arbeitsniederlegungen gegeben. Dabei betonte der Vorstandsvorsitzende der Daimler AG, Edzard Reuter, erst Anfang Juli erneut, daß der Konzern auch in Zukunft in Südafrika aktiv bleiben werde. „In Südafrika werden wir solange wie möglich daran festhalten, durch unsere Einlußnahme zur friedlichen Veränderung beizutragen“, sagte Reuter vor der Hauptversammlung des Unternehmens. „Wir wollen uns nicht in einer entfernten Zuschauerloge die Hände in bequemer Unschuld waschen.“ Im Umgang mit den eigenen Arbeitern sind diese Hände allerdings nach wie vor erheblich verschmutzt. Vorposten Handelskammer

Das Engagement deutscher Unternehmen in Südafrika hat eine lange Geschichte. „Siemens hat etwa 1892 die erste Telegrafenverbindung gelegt“, erzählt Herbert Weike von der der Deutsch-Südafrikanischen Handelskammer in Johannesburg. Die südafrikanische ist eine der ältesten deutschen Handelskammern der Welt. Sie wurde schon 1949 gegründet, 1952 offiziell anerkannt. Inzwischen ist die Bundesrepublik wichtigster Handelspartner des Apartheid-Staates. Siemens beispielsweise hat auf den frühen Start aufgebaut und setzt heute als einer der größten Lieferanten von Telefon- und Signaltechnik an die staatlichen südafrikanischen Eisenbahn und Postbehörden Hunderte von Millionen Mark jährlich um.

Die Rolle der Kammer geht allerdings weit über die Föderung von Außenhandelskontakten hinaus. „Die Kammer hat in der Satzung, daß wir unpolitisch sind“, sagt Weike. Doch spätestens seit den Soweto-Aufständen 1976 wird das Engagement ausländischer Unternehmen im Apartheid-Staat international nicht automatisch gebilligt. Es gilt, im Umgang mit den Schwarzen für Imageverbesserung zu sorgen. Da spielt die Kammer eine Schlüsselrolle. So werden Farbige von der Kammer nach bundesdeutschem Muster kaufmännisch ausgebildet, und in Soweto wird die Weiterbildung naturwissenschaftlicher Lehrer finanziert. „Man hat gesehen, daß man auch aus eigenem Interesse einen Beitrag leisten muß“, meint Weike.

Ein großer Teil der Kammermitglieder unterstützt solche Initiativen allerdings nicht. „Wir haben auch Geschäftsleute, die ultrakonservativ sind“, gibt Wike zu. „Die haben politische Entwicklungen in der Bundesrepublik gar nicht mitgemacht.“ Diese sogenannten deutschen Geschäftsleute sind inzwischen höchstens noch deutsche Paßinhaber. Dem Gefühl nach sind sie weiße Südafrikaner. So schreibt der derzeitige Präsident der Handelskammer, Rudolf Kreher, der im Apartheid-Staat durch den Verkauf von Mercedes-Wagen reich geworden ist: „Ich bin zwar noch deutscher Staatsbürger. Aber nach 37 Jahren betrachte ich mich als Südafrikaner in meinen Gewohnheiten und Ansichten. Ich halte Südafrika für das beste Land, in dem und für das man leben kann.“

Auch der als Nestor der deutschen Wirtschaft in Südafrika bekannte 76jährige Geschäftsmann Hellmut Bischoff gibt zu, daß er „südafrikanisch fühlt“. Seit 35 Jahren ist Bischoff, ehemaliger Präsident der deutschen Handelskammer und einziges lebendes Ehrenmitglied, in Südafrika aktiv. Er leitet seine Firma „Bischoff International“ von einer Zentrale in vier kleinen, schmuddeligen Bürozimmern in einem obskuren Gebäude in Johannesburg. Einer verschnörkelten Urkunde, die dort hängt, ist zu entnehmen, daß Bischoff Ehrenmitglied der Rotarier in Südafrika ist. Und daß sein Sohn als Leistungsschwimmer „Springbok“, also Mitglied der südafrikanischen Nationalmannschaft war und für den Apartheid-Staat ins Wasser sprang.

Doch der Schein des kleinen Büros täuscht. Bischoff macht auch Geschäfte mit der südafrikanischen Regierung. Südafrikanische Regierungsminister gehen in seinem Haus aus und ein. Für seine Tätigkeit wurde ihm neben dem Großen Bundesverdienstkreuz auch der südafrikanische „Good Hope“ Orden verliehen. Allerdings ist über die Geschäfte, die zu solch guten Beziehungen und solch hohen Ehren geführt haben, wenig bekannt. Gerüchte über Rüstungsgeschäfte tauchen allerdings immer wieder auf. Im „Wer ist Wer“ wird Bischoff lapidar als „Kaufmann, Industrieberater“ beschrieben.

Wie weit verbreitet die Identifikation mit der Apartheid auch unter den Geschäftsleuten reicht, erfuhr Fritz Ziefer, Geschäftsträger der Bonner Botschaft in Pretoria, beim Jahresbankett der Kammer Ende Oktober 1987. Als er einen Standardtext verlas, in dem das Auswärtige Amt die 700 versammelten Manager und ihre Gäste an ihre „Pflicht“ erinnerte, „die unhaltbaren wirtschaftlichen und politischen Realitäten in Südafrika zu ändern“, wurde er durch ungezügelte Buh-Rufe und Pfiffe überstimmt. Der burische Zigarettenfürst Anton Rupert ging als nächster Redner gleich zum Gegenangriff über. Er beschwerte sich über die „Einmischung“ und machte die Deutschen auch gleich noch für den Tod von 28.000 Buren im Burenkrieg Anfang des Jahrhunderts verantwortlich.

Inzwischen hat die Handelskammer sich offiziell, wenn auch in aller Stille, bei der Bundesregierung für den Vorfall entschuldigt. Das ändert an der reaktionären Politik zahlreicher Kammermitglieder aber nichts. Dabei klingt die Sorge, mit der die Unternehmner in letzter Zeit über das Wohl ihrer schwarzen Arbeiter sprechen, nur noch heuchlerisch. Erst der Druck der letzten Jahre hat überhaupt dazu geführt, daß schwarzen Arbeitern gewerkschaftliche Rechte eingeräumt wurden. Auch die Einstellung schwarzer Manager oder die Finanzierung von Ausbildungsmaßnahmen für Schwarze ist erst seit wenigen Jahren zu beobachten. Diese Maßnahmen reichen bisher offenbar aus, um das anhaltende Engagement im Apartheid-Staat zu rechtfertigen. Der Versuch politischer Einflußnahme auf das Apartheid-Regime bleibt nach wie vor aus.

Unter den Geschäftsleuten, unter den Deutschen in Südafrika im allgemeinen, machen die Mittäter und Mitläufer der Apartheid eine erdrückende Mehrheit aus. Man muß schon intensiv suchen, um aktive Apartheid-Gegner unter den Deutschen zu finden. Neben dem Mitarbeiter des südafrikanischen Kirchenrates Wolfram Kistner tauchen im Oppositionsspektrum höchstens eine Handvoll deutscher Namen auf.

Viele Mitläufer, zu viele Mittäter und sehr wenige Kritiker - auch in Südafrika zerteilt sich das deutsche Wesen in den bekannten deutschen Proportionen.

Hans Brandt