Viel Lärm um nichts

Keine konkreten Ergebnisse bei der Saar-Montankonferenz / Statt materieller Zugeständnisse atmosphärische Annäherungen  ■  Von Hans-Henning Krämer

Oskar Lafontaine ist moderat geworden. War der zukünftige Kanzlerkandidat der SPD noch vor wenigen Jahren bereit, den politischen Konflikt mit Bonn und der Atomwirtschaft zu suchen, so hat er sich mittlerweile darauf festgelegt, die Gemeinsamkeiten auch mit dem politischen Gegner zu suchen. Dieser Eindruck bestätigte sich in der letzten Woche, als eine saarländische Delegation, bestehend aus Vertretern der saarländischen Landesregierung, der Kammern und sonstiger Organisationen, unter der Führung des saarländischen Ministerpräsidenten in Bonn vorstellig wurde, um für das krisengeschüttelte Saarland materielle Unterstützung anzumahnen. Anstatt aber die unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Interessen gegenüber dem Bund offensiv aufzuzeigen, verharrten die saarländischen Vertreter in Demutsgesten vor der konservativ-liberalen Bundesregierung. Es wurden Erwartungen artikuliert und Bitten ausgesprochen.

Dabei eignet sich insbesondere die Regionalpolitik dazu, die Ignoranz der Bundesregierung gegenüber den Krisenprozessen in den Montanrevieren deutlich zu machen. Das Konzept der konservativ-liberalen Kräfte besteht gerade darin, den ökonomischen Anpassungsdruck in diesen Regionen zu forcieren und sie einer passiven Sanierung zu überlassen. Dies bedeutet: Abwanderung der qualifizierten Arbeitskräfte, Stillegung von Produktionsanlagen, Abzug von Kapital und nur noch eingeschränkte Handlungsfähigkeit der entsprechenden Kommunen. Anstatt auf den Ausgleich der Lebens-, Arbeits und Einkommensbedingungen, läuft die gegenwärtige Regionalpolitik somit auf eine Polarisierung der ökonomischen Situation zwischen an den Rand gedrängten Regionen und den Wachstumszentren in Süddeutschland hinaus. Mittel hierzu sind die Kürzung oder Streichung verschiedener regionalspezifischer Entwicklungsprogramme, Investititonszulagen, die Deregulierung und Liberalisierung in der Stahlbranche und verstärkte Anpassungsmaßnahmen im Steinkohlebergbau.

Im Saarland hat sich dieser strukturelle Wandel in seiner Intensität noch wesentlich massiver als im Ruhrgebiet niedergeschlagen. Allein im Bergbau wurden zwischen 1960 und 1970 mehr als 30.000 der ehemals 60.000 Beschäftigten entlassen, in der Stahlindustrie wurde die Belegschaft seit 1974 mehr als halbiert. Neben dem horrenden Schuldenstand von für Ende 1988 10,3 Milliarden DM - was quasi die Zahlungsunfähigkeit des Landes bedeutet - ist unter anderem die hohe Arbeitslosigkeit von über 13 Prozent das vordringliche Problem. Würde die Frauenerwerbstätigkeit im Saarland auf den Bundesdurchschnitt steigen, läge die Arbeitslosenquote bereits heute bei über 23 Prozent. Bis 1995 prognostiziert die Arbeitskammer des Saarlandes ein Arbeitsplatzdefizit von 80.000 bei gegenwärtig 55.000 Arbeitslosen.

Was hätte also für die saarländische Landesregierung näher gelegen, als die Verringerung der Massenarbeitslosigkeit und die Sicherung und Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Bevölkerung in den Mittelpunkt ihrer regionalwirtschaftlichen Überlegungen zu stellen? Oskar Lafontaine jedoch ging es vordringlich darum, alle im Saarland relevanten politischen Kräfte auf eine gemeinsame Linie gegenüber Bonn einzuschwören. Dementsprechend entstand ein Warenhauskatalog unterschiedlicher Forderungen, der auch nicht den Ansatz einer eigenständigen und konsistenten Strategie zur Eindämmung der regionalen Problemlagen erkennen läßt.

In wesentlichen Teilen wurden zunächst Forderungen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und der Industrie- und Handelskammer des Saarlandes von der sozialdemokratischen Landesregierung übernommen. Diese zielen auf verbesserte Verwertungsbedingungen für ansiedlungswillige Unternehmen: Steuererleichterungen, verbilligte Kredite, Sonderabschreibungen und Investitionszulagen.

Schwerer hatte es da schon die Arbeitskammer des Saarlandes, die erst nach massivem Drängen ihre Forderungen nach einem Qualifizierungsprogramm für langfristig arbeitslose Jugendliche unter 25 Jahren und einem Sonderprogramm der Bundesregierung für Problemgruppen am Arbeitsmarkt in einem gemeinsamen Forderungskatalog durchsetzen konnte.

So verbleibt allenfalls die Technologiepolitik, ein Steckenpferd Lafontaines, als Bereich, wo eine „eigene“ Handschrift der Landesregierung sichtbar wird. Durch verschiedene Institutsgründungen und durch den Ausbau der wirtschaftsnahen Forschungsschwerpunkte an den Hochschulen sowie einen verbesserten Technologietransfer gelte es, „die Wettbewerbsfähigkeit der Region zu verbessern und den wirtschaftlichen Strukturwandel zu beschleunigen“. Es ist allerdings mehr als fraglich, ob eine solche Strategie der Technologieförderung im Wettlauf mit wesentlich finanzkräftigeren Bundesländern den Verelendungsprozeß in der Region auch nur mittelfristig vermindern kann. Vielmehr werde - so der Vorsitzende der saarländischen Jungsozialisten, Peter Gillo, „einer extensiven, unreflektierte Nutzung von künstlicher Intelligenz und Computerlinguistik das Wort geredet“.

Gemessen an den ursprünglichen Forderungen, die Finanzhilfen in einer Größenordnung von 500 Millionen DM zwischen 1988 und 1992 vorgesehen hätten, sind die konkreten materiellen Zugeständnisse minimal. Konkrete Fördermaßnahmen wurden lediglich im Umweltschutzbereich in einer Größenordnung von 20 Millionen DM vereinbart. Aber nicht etwa deshalb, weil die saarländische Landesregierung mit besonderer Vehemenz auf diesen Maßnahmen insistiert hätte, sondern weil Umweltminister Töpfer, der als designierter Herausforderer von Lafontaine bei der nächsten Landtagswahl gehandelt wird, mit einigen vorweggenommenen Wahlgeschenken aufwarten will.

Ansonsten soll geprüft und ausgelotet werden, Hilfestellung geleistet und präzisiert sowie in einer interministeriellen Arbeitsgruppe das weitere Vorgehen sondiert werden. Angesichts dieser Verschleppungstaktik der Bundesregierung mutet es um so erstaunlicher an, wenn aus der saarländischen Staatskanzlei zu vernehmen ist, die Ergebnisse der Montankonferenz seien als zufriedenstellend zu werten. Aber diese Einschätzung ist wahrscheinlich Teil der neuen Bescheidenheit und Kompromißfähigkeit von Oskar Lafontaine auf seinem Weg nach Bonn.