Steuerreform bringt Mieter in Bewegung

Im Rahmen der Steuerreform wurde beiläufig die Steuerfreiheit für gemeinnützige Wohnungsunternehmen abgeschafft / Damit entfallen auch die bisherigen Auflagen: Kostenmiete und besserer Mieterschutz / Mietsteigerungen bis 40 Prozent befürchtet  ■  Von Eva Schweitzer

Berlin (taz) - Die Steuerfreiheit für gemeinnützige Wohnungsunternehmen, seit über 50 Jahren Gesetz, wurde letzten Freitag im Rahmen der Steuerreform aufgehoben - fast unbemerkt im lauten Streit um Flugbenzin, Jahreswagen und Tabaksteuer, aber mit sehr viel schwerwiegenderen Konsequenzen für circa acht Millionen Mieter in der Bundesrepublik. Denn die ehemals gemeinnützigen Unternehmen sind nun nicht mehr gezwungen, sich an die mit der Gemeinnützigkeit einhergehenden Auflagen zu halten: die Kostenmiete, die Pflicht, Gewinne bis auf vier Prozent in den Wohnungsbau zu investieren sowie der weitergehende Mieterschutz. Mieterhöhungen bis zu 40 Prozent befürchtet der Berliner Mieterverein, aber auch in westdeutschen Großstädten wie München, Stuttgart und im Ruhrgebiet, wo gut eine Million der Wohnungen ehemals Gemeinnützigen gehören, werden Mietsprünge um 50 bis 100 Mark ebenso befürchtet wie Massenverkäufe von Wohnungen. Der deutsche Mieterbund wies als neuestes Beispiel auf den bevorstehenden Verkauf von 20.000 Wohnungen eines gemeinnützigen Unternehmens in Salzgitter hin.

Von den 3,4 Mio. Wohnungen der Gemeinnützigen sind eine Mio. Altbauwohnungen sofort nach Inkrafttreten der Steuerreform am 1.1.1990 betroffen. Weitere 1,2 Mio. Sozialwohnungen fallen bis 1995 aus der Sozialbindung. Kein Wunder, daß selbst Christdemokraten von Anfang an ein schlechtes Gefühl bei der Sache hatten: Die Ministerpräsidenten von Bayern und Baden-Württemberg versprachen, im Bundesrat dagegen zu halten, CDU -Bürgermeister wie Stuttgarts OB Rommel appellierten an Kohl, die Gemeinnützigkeit beizubehalten, um „einkommensschwächere Schichten und Aussiedler“ mit Wohnraum zu versorgen. Allein, im Bundesrat fielen die Länderchefs genauso um wie Bundesbauminister Schneider schon zuvor. Gleichzeitig präsentierte die Bonner CDU eine Ausgleichsregelung: Bundesländer, in denen „Gebiete mit erhöhtem Wohnungsbedarf“ liegen, können per Landesgesetzgebung Mieterhöhungen von ehemals Gemeinnützigen auf fünf Prozent pro Jahr beschränken - bis 31.12.1995 und nur für bestehende Mietverhältnisse. „Weiße Salbe“, urteilt die Bonner SDP darüber, „eine Kann-Bestimmung, die vielleicht in ein, zwei Städten vorübergehend greift.“ Für „vermutlich nicht verfassungsgemäß“ hält sie der Sprecher des Gesamtverbandes der Gemeinnützigen, Jüttner. Es ist nicht einzusehen, warum für ihre Mitglieder eine andere Regelung gelten soll als für freie Wohnungsunternehmen, denen sie inzwischen ja gleichgestellt seien. Der Verband ist ansonsten nicht ganz unzufrieden. Auf seine Anregung hin sei der vormalige Gesetzentwurf nochmal überarbeitet worden. Vermietergenossenschaften, die mehr als 90 Prozent ihres Gewinns nur durch Vermietung erzielen, bleiben weiterhin steuerbefreit. Außerdem seien nun als Wert der Häuser die sogenannten „Teilwerte“ angesetzt worden, und nicht, wie zunächst vorgesehen, die Buchwerte, womit die von den Unternehmen befürchtete Nachversteuerung entfalle. Auch habe man dadurch bessere Möglichkeiten, Steuern abzuschreiben.

Die freien Wohnungsunternehmen haben davon bisher schon kräftig Gebrauch gemacht. Die Gemeinnützigen wollen es ihnen gleichtun. „Wir gehen davon aus, daß Stoltenberg in den nächsten acht bis zehn Jahren nichts kriegt“, sagt Jüttner. So sieht das auch die Bundesregierung. „Die Frage der Steuermehreinnahme hat keine Rolle gespielt“, meint der Referent der CDU-Fraktion, Dornseifer. Es sei darum gegangen, neue Bedingungen für die Unternehmen zu schaffen.

„Ideologische Gründe“, meint dazu Hartmann Vetter vom Berliner Mieterverein, hätten zur Abschaffung der Gemeinnützigkeit geführt. Berlin, wo ein Viertel der Wohnungen Gemeinnützigen gehören, ist besonders betroffen. Die Berliner Gemeinnützigen allerdings gehören zum größten Teil dem Land selbst. Und das wird deshalb Verordnungen erlassen, um die Folgen der Aufhebung aufzufangen: Die fünfprozentige Mieterhöhungsgrenze soll eingeführt werden, auch der besondere mietrechtliche Schutz soll bleiben, erklärte Bausenator Wittwer (CDU). Auch an eine Mieterhöhungsgrenze für Neuvermietungen von zehn Prozent sei gedacht. Aber diese Landesregelung ist auf andere Bundesländer nicht anwendbar. So gehören im Ruhrgebiet die Wohnungsunternehmen meist privaten Stahl- und Kohletöchtern, nicht dem Land oder den Kommunen. Und ob die notleidende Ruhrindustrie der Versuchung widerstehen kann, den Grundbesitz zu versilbern, darf bezweifelt werden.