Mozartkugeln gegen die Plutoniumküche

■ Gestern war Österreich-Tag auf dem Erörterungstermin zur WAA / Von Oliver Lehmann und Bernd Siegler

Fast die Hälfte der 881.000 Einwendungen gegen die WAA in Wackersdorf kam aus Österreich, und so gab es gestern einen Extra-Termin für die Nachbarn im Süden. Vor allem auf die radioaktive Verseuchung und auf mangelnde Erdbebensicherheit gründen die Österreicher ihr Votum: Die WAA ist völkerrechtswidrig. Und Umweltministerin Flemming kündigte an, notfalls vors Karlsruher Verfassungsgericht zu ziehen.

„Die haben wohl was zu verbergen“, tönt es zu Beginn in der nur halb gefüllten Stadthalle in Neunburg vorm Wald. Wer für eine Sache eintritt, sollte sein Gesicht nicht verbergen, meinen die rund 500 ZuhörerInnen.

Was der Staat von vermummten Demonstranten hält, scheint für die Vertreter der WAA-Betreiberfirma DWK in der Pfalzgrafenstadt nicht zu gelten. „Je mehr Fernsehen da war, um so unmöglicher ist es in diesem Raum zugegangen“, begründet DWK-Mann Harms seinen förmlichen Antrag, das Fernsehen von dieser Veranstaltung auszuschließen, und sorgt damit für anhaltende Mißfallenskundgebungen. Das bayerische Umweltministerium lehnt das Ansinnen ab, gesteht aber den DWK-Mannen zu, daß sie selber nicht mehr gefilmt werden dürfen. Erst dann kann der Österreich-Tag beginnen. Fast die Hälfte der insgesamt 881.000 Einwendungen gegen den Sicherheitsbericht zur zweiten atomaren Teilerrichtungsgenehmigung der WAA war aus Österreich gekommen.

In einer einzigartigen Kampagne, die von allenn Parteien SPÖ, ÖVP, FPÖ und Grüne - sowie von der katholischen Kirche unterstützt wurde, sammelte man 410.000 Einwendungen in der Alpenrepublik. Selbst das Boulevardblatt 'Kronenzeitung‘ hatte die „EinWAAndsformulare“ abgedruckt. Sechs der neun österreichischen Bundesländer haben ihre Bedenken gegen die WAA formuliert, allein 100.000 Einwendungen stammen aus Salzburg, wo sich selbst Erzbischof Karl Berg der Kampagne anschloß. Für den „Tag der Östereicher“ in Neunburg hatten im Bundesland Salzburg die Parteien SPÖ, ÖVP und FPÖ die ihnen im Hörfunk und Fernsehen entsprechend ihren Wählerprozenten zugeteilten festen Sendezeiten der Salzburger überparteilichen Plattform gegen die WAA“ zur Verfügung gestellt. Die 'Salzburger Nachrichten‘, größte Tageszeitung in der Region, hatte gar eine „Leserreise“ nach Neunburg vorm Wald organisiert.

Doch der große Ansturm aus der Alpenrepublik bleibt zunächst aus. Die Meldungen, wonach die Busse aus Salzburg an „künstlichen Bauzäunen“, sprich bayerischen Grenzkontrollstellen, aufgehalten werden, bestätigen sich nicht. Eher scheint der Urlaubsverkehr schuld zu sein, daß Marilies Flemming, Ministerin für Umwelt, Jugend und Familie, mit überraschend wenig Publikum auskommen muß.

Mit geringen Kompetenzen im Heimatland ausgestattet, fand die Ministerin, die der konservativen Österreichischen Volkspartei angehört, im schicken roten Kostüm starke Worte. Nach charmanter Begrüßung durch Versammlungsleiter Mauker kommt sie schnell zur Sache und kündigt an, „alle Möglichkeiten zu ergreifen und auszuschöpfen, um zu verhindern, daß die WAA gebaut oder in Betrieb gehen wird“. Einschließlich einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Bayerischen Verwaltungsgericht. Allein schon der Routinebetrieb der WAA sorge für „ständige nukleare Kollektivdosen“ für die österreichische Bevölkerung.

Hinter ihr ziehen derweil Transparente auf. Die Junge ÖVP Oberösterreich fordert den sofortigen Baustopp, andere schicken „Liebesgrüße aus Salzburg“. Die Umweltministerin redet sich immer mehr in Form. Wir alle hätten bei den neuen Technologien viele Fehler gemacht. „Werden es dann in Zukunft nur die Wälder sein, die sterben, sondern werden es unsere Kinder sein?“ Ihre Schlußworte reißen die Halle zu rhytmischem Klatschen und minutenlangen Ovationen hin: „Wir sind die erste Generation, die mit einer Schamlosigkeit sondergleichen ihren Wohlstand von kommenden Generationen bezahlen lassen möchte.“ Trotz ihrer starken Worte läßt es sich die ÖVP-Ministerin in der Mittagspause nicht nehmen, Erörterungsleiter Mauker als Gastpräsent eine Schachtel Mozartkugeln, frisch aus Salzburg, zu überreichen.

Während anschließend Salzburgs Bürgermeister Josef Reschen die zusätzlich errichteten „Bauzäune“ in Form von Behinderungen des Verfahrens, die Auswahl von Ort und Sachverständigen oder die Ablehnung von Erörterungsterminen in Grenznähe zu Österreich anspricht, kommen die ersten Salzburger Busse an. Gemeinsam ziehen die EinwenderInnen in die Halle ein und stapeln 47 mitgebrachte Kartons und drei Papiersäcke mit den 100.000 Fotokopien der Einwendungen aus Salzburg (das entspricht 40 Prozent der Wahlberechtigten in der Stadt) vor dem Rednerpodium auf. Die privaten Wachmannschaften sind auf dem Sprung, Versammlungsleiter Mauker reagiert sichtlich überrascht: „Bitte schichten sie nicht so hoch.“

Angesichts des langanhaltenden Beifalls setzt Mauker noch die Drohung drauf, die Erörterung abzubrechen. Nur mühsam können die ZuhörerInnen beruhigt werden, bevor Reschen fortfahren kann und die WAA mit atomwaffenfähigem Plutonium in Verbindung bringen. Umweltschutzstadtrat Ackerl aus der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz nimmt kein Blatt vor den Mund. Zunächst spricht er den „Machthabern in der BRD und Bayern“ sein Mißtrauen aus und wirft den Behörden „Atomfaschismus“ vor. Die Stadt Linz werde alle Anstrengungen unternehmen, daß „aus Wackersdorf das Zwentendorf Bayerns wird“. Österreichs einziges AKW in Zwentendorf wurde nicht in Betrieb genommen, nachdem am 5.November 1978 eine Volksabstimmung mit einem deutlichen Nein geendet hatte.

Schwandorfs Symbolfigur des WAA-Widerstands, SPD-Landrat Hanns Schuierer, begrüßt nach der Erörterung die Gäste aus Österreich persönlich. „Wenn der Widerstand nicht anhält, werden die Leute von der Atom-Mafia und der Politik keine Minute zögern, die Anlage in Betrieb zu nehmen.“ Bei einer ähnlichen Volksabstimmung wie um Zwentendorf würde, so Schuierer in der Mittagspause, Bau und Inbetriebnahme der WAA eindeutig abgelehnt werden. Nach dem Österreich-Tag in Neunburg werden die Oberpfälzer BIs gemeinsam mit den Österreichern ein Widerstandsfest feiern.