Vergangenheitsbewältigung-betr.: Deutsch/amerikanische Aufklärungspflichten gegenüber der Nachwelt

betr.: Deutsch/amerikanische Aufklärungspflichten gegenüber der Nachwelt

Mitten in der Hauptstadt der USA erfolgt in diesen Tagen der erste Spatenstich für ein neues Museum in Erinnerung an die mehr als sechs Millionen im Dritten Reich fabrikmäßig ermordeten „lebensunwerten“ Menschen - an erster Stelle Juden, aber auch Geistesbehinderte, Homosexuelle, Zeugen Jehovas und Sintis. Der einen ganzen Häuserblock neben dem Washington Monument umfassende und mit einem Gesamtkostenaufwand von 160 Millionen Dollar dotierte Museumskomplex soll für die geschichtliche Forschung und die Informierung der Öffentlichkeit in gleicher Weise da sein. Nach Jad Vaschem in Jerusalem wird das Holocaust Memorial Museum erst das zweite auf der ganzen Welt sein.

Es ist nicht klar, warum die Amerikaner sich zu der Errichtung dieses Museums über eine deutsche Schandtat verpflichtet fühlen. Bekanntlich fehlt es drüben weitgehend an Dauermuseen (im Gegensatz zu gelegentlichen Ausstellungen) über solche nationalen Blamagen wie u.a. die KZ-Internierung von sämtlichen Mitbürgern japanischer Herkunft während des Krieges, die Versklavung der Neger, das Eingehen der Urbevölkerung bei fast jedem Kontakt mit den zwar technisch, aber nicht moralisch überlegenen Weißen.

Na ja, so wie es uns Menschen immer leicht fällt, das Leid der Nächsten zu ertragen, so fällt es auch Nationen offensichtlich leichter, Empörung für die Verbrechen anderer Nationen aufrichtig zu empfinden. Wohl die einzige (im übrigen auch von den Russen und Engländern mitgetragene) amerikanische Schuld an der Endlösung war das Versäumnis ihrer Kriegsführung, durch gezielte Luftangriffe die Vernichtungsfabriken und Eisenbahnverbindungen permament betriebsunfähig zu halten, obwohl sie genauestens Bescheid wußten, worauf die „Produktion“ hinzielte.

Die Frage drängt sich auf, warum haben die viel direkter belasteten heutigen Deutschen, in deren Namen und für deren vermeintliches Wohl ihr grausamer Führer diese Untat durchführen lassen hat, nicht selbst ein ähnliches Museum gebaut, und zwar aus eigenem Antrieb als freiwillig gesetztes Mahnmal der abgründigsten Stunde ihrer ganzen Geschichte? Dies wäre Vergangenheitsbewältigung großen Stils, in seinem selbstbefreienden Mut für die deutsche Nation, mit dem Kniefall Brandts im Warschauer Ghetto durchaus vergleichbar. (...) Aber allein schon diese Frage zu stellen, ruft die Antwort sogleich hervor: es ist zuviel zu erwarten, daß die in der bonnerseits gepriesenen Gnade der späten Geburt stehende, ja hierin sogar fast schwelgende Mehrheit der heutigen Deutschen das geringste Interesse für so ein Projekt aufbringen würde. Sie weiß, daß die Endlösung endlich zu einem rein geschichtlichen Ereignis geworden ist und daß sie somit gar nichts mehr mit ihr zu tun hat, ebensowenig wie die Hexenverbrennung.

Nein, rückblickend ist es klar, es hätte mehr Mut und Verantwortungsbereitschaft, mehr Feingefühl für das Moralisch-Richtige erfordert, als man realistisch von diesem wohlstandssüchtigen, vergeßlichen deutschen Volk von heute verlangen kann, dem es nach behäbigem Kanzlerwort „noch nie so gut ging“. Vielleicht hätte ein solches Projekt das Ohr eines Richard von Weizsäcker gefunden, der eine Fähigkeit für den über die Tagesgeschäfte hinausgehenden Weitblick und für wertorientierte Alleingänge oft bewiesen hat - das des Fußballiebhabers Kohl nie, der eher das moralische Mittelfeld beherrscht. Viel lieber läßt dieser in Berlin ein Museum der (zu verherrlichenden?) deutschen Geschichte bauen. Einmal wieder also weicht man der peinlichen Erinnerungsarbeit aus und vergißt dabei, daß neben Schweigen auch das Ausweichen beredt sein kann.

Vorschlag und Fazit: Jetzt, wo die Amerikaner deutsche Aufklärungspflichten gegenüber der Nachwelt übernommen haben, können vielleicht die Deutschen ein Museum über das Ethnozid an den amerikanischen Indianern bauen, das für die Amerikaner selbst ein noch viel zu heißes Eisen zu sein scheint. Ich biete als Spiegelbild für die Drückebergerei der Deutschen in puncto Vergangenheitsbewältigung folgenden Vers aus der dramatischen Literatur der englischen Renaissance. Er ist der zynischte, den ich kenne: Thou hast committed fornication:

But it was in another country, and besides

The wench is dead. (sinngemäß übersetzt: Du hast unerlaubten außerehelichen Geschlechtsverkehr verübt, aber das war in einem anderen Land und außerdem: das Weibsbild ist tot. d.red.)

Bruce Allen, Tübingen