Schwache Indizien, aber ein starker Wille zum Schuldspruch

■ Bisher ergingen fünf Urteile in Zusammenhang mit den Aktivitäten der „Revolutionären Zellen“ / Geständnisse gibt es kaum, Beweise selten

„Die genaue Struktur der Revolutionären Zelle/Zellen, die Anzahl ihrer Gruppen und Mitglieder haben sich nicht ermitteln lassen. Insbesondere konnte nicht festgestellt werden, daß jeder einzelne Anschlag auf einer zentralen Planung und Steuerung beruht“. Dieses, hier nach dem ersten Urteil gegen angebliche RZ-Mitglieder zitierte, Eingeständnis, nichts genaues über die Revolutionären Zellen zu wissen, fehlt in keinem der bisherigen fünf Richtersprüche gegen die wegen Mitgliedschaft in dieser als „terroristisch“ verfolgten Vereinigung Angeklagten. Und obwohl weder Mitgliederzahl noch Struktur und schon garnicht die internen Kommunikationsabläufe bekannt sind, kommen die Richter der urteilenden Staatsschutzsenate zu erstaunlich präzisen Feststellungen über innere Verfaßtheit und Gefühlslagen der RZ: „Zur Erreichung des gemeinsamen Zweckes mit bewußt und absichtlich vereinten Kräften kommt der Zeitschrift 'Revolutionärer Zorn‘ eine entscheidende Aufgabe und zentrale Bedeutung zu. Das geschieht dadurch, daß sie die Zwecke und Ziele der Revolutionären Zelle/Zellen verkündet oder allgemein festlegt, daß sie die Mitglieder oder Personen, die Mitglieder werden wollen, durch regelmäßige Veröffentlichungen ideologisch und praktisch schult und bei ihnen das Gefühl der Zusammengehörigkeit und des erfolgreichen Zusammenwirkens hervorruft und festigt. Lediglich das im Einzelfall sich anbietende Zielauszumachen und im Sinne des verlautbarten Gesamtwillens anzugreifen, bleibt der Eigeninitiative der einzelnen Mitglieder oder Gruppen überlassen; dies schließt allerdings gelegentliche Kritik und Tadel seitens des Verbandsorgans „Revolutionärer Zorn“ zu Einzelaktionen nicht aus“.

Das erste und bisher härteste Urteil gegen angebliche RZ -Mitglieder wurde 1979 gegen Gerd Albartus und Enno Schwall rechtskräftig. Albartus und Schwall, zu vier Jahren und neun Monaten bzw. zu sechs Jahren Haft verurteilt, wurde vor allem ein mißglückter Brandanschlag auf ein Kino in Aachen, in dem der Film „Entebbe“ lief, vorgehalten. Der Schuldspruch stützt sich auf Indizien: Schwall und Albartus bestanden bis zuletzt darauf, eine Flugblattaktion und Diskussion über den Film, aber keinen Anschlag geplant zu haben. „Für die Täterschaft der Angeklagten sprechen endlich auch folgende Umstände“, befinden die Richter des OLG Düsseldorf nach vorwiegend allgemeinen ÜÜerlegungen zur Organisation der RZ und einer ausführlichen Würdigung der bei Hausdurchsuchungen gefundenen Fotos, Flugblätter und Werkzeuge. „Beide Angeklagten besaßen die für eine solche Tat erforderliche Motivation. Sie haben aus ihrer Einstellung gegen den Film keinen Hehl gemacht, indem sie in der Hauptverhandlung erklärten, der Film zeige einen völkerrechtswidrigen Überfall der „Zionisten“, verherrliche imperialistische Gewalt und legitimiere rassistische Unterdrückung... Auch das konspirative Verhalten der Angeklagten, die getrennt ins Kino gingen, getrennt im Kino saßen und es getrennt wieder verließen, deutet nicht auf eine Flugblattaktion hin.“

Das hohe Strafmaß wäre aber mit einer versuchten Brandstiftung, schlimmstenfalls noch versuchter fahrlässiger Tötung kaum zu rechtfertigen gewesen. Dafür mußte die behauptete Aktion einer „terroristischen Vereinigung“ zugerechnet werden können. Da aber eine Vereinigung aus mindestens drei Personen bestehen muß, es jedoch auf einen unbekannten Dritten jedoch keinen Hinweis gab, wurde die angebliche Mitgliedschaft in der Vereinigung „Revolutionäre Zellen“ konstruiert. Um deren einheitliche Arbeitsweise und Zielsetzung wiederum behaupten zu können, mußte in dem Prozeß gegen Albartus/Schwall ein Zitatkonglomerat aus dem „Revolutionären Zorn“ herhalten, das wohl nur deswegen halbwegs ernst genommen werden konnte, weil die Anklage auch die, ihr Konstrukt stützenden, Einlassungen eines angeblichen Teilnehmers von Redaktionssitzungen anführen konnte: Hermann Feiling, dessen unter äußerst ungewöhnlichen Bedingungen zustande gekommenen Aussagen auch in den folgenden RZ-Prozessen jeweils eine erhebliche Rolle spielten.

Feiling war am 23.Juni 1978 beim Zusammenbauen eines Sprengkööpers in seiner Wohnung lebensgefährlich verletzt worden. In der Heidelberger UniKlinik mußten ihm sofort beide Beine amputiert und beide Augen operativ entfernt werden. Die Polizei nutzte die Situation aus und begann, kaum war Feiling wieder bei Bewußtsein, ihn zu vernehmen. Monatelang blieb Feiling völlig isoliert: nur Ärzte, Staatsanwälte und Vernehmer hatten Zugang zu ihm; um zu verhindern, daß FreundInnen von Feiling ihn besuchen können, wurde er sogar in ein Polizeilazarett verlegt. Die z.T. schon am Tage nach den Operationen, in einer Situation in der Feiling völlig hilflos und orientierungslos war und zudem unter erheblichem Medikamenteneinfluß stand, erzwungenen, 1.300 Seiten füllenden Aussagen wurden vor Gericht zu erheblichen Teilen verwendet.: Zwar wurden die am Tage nach der Operation gemachten Aussagen mit einem Verwertungsverbot belegt, die „vier Tage später, als es ihm besser ging“ (Urteil) gemachten im Verfahren gegen Schwall und Albartus allerdings zugelassen.

Die Mitgliedschaft bestimmt das Strafmaß

Gegen Feiling selber kam es - nachdem er als Beschuldigter vernommen worden war - nie zum Verfahren. Infolge der Detonation hatte er mehrfach gefährliche epileptische Anfälle und mußte deswegen, nach starkem öffentlichen Druck, für verhandlungsunfähig erklärt werden. Statt dessen versuchte die Bundesanwaltschaft dann Feilings damalige Freundin Sibylle Straub und die Frankfurterin Sylvia Herzinger in den Knast zu bringen. Das Verfahren fand aufgrund des bis in bürgerliche Kreise hinein als skandalös empfundenen Umgangs mit Hermann Feiling erhebliche öffentliche Beachtung. Sibylle Straub konnte aufgrund der in der Isolation erzwungenen Aussagen Feilings die Beteiligung an einem Brandanschlag aufs Heidelberger Schloß, mit dem auf die Altstadtsanierungspraxis des Oberbürgermeisters Zundel aufmerksam gemacht worden war, zur Last gelegt werden. Deswegen wurde sie zu 15 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

Die Diskrepanz zum Urteil gegen Albartus/Schwall ist auffällig. Sie resultiert daraus, daß Sylvia Straub die Mitgliedschaft in den RZ „nicht mit der für eine Verurteilung ausreichenden Sicherheit“ nachgewiesen werden konnte. Feiling selber hatte ausgesagt, daß Straub zwar bei Besprechungen seiner Gruppe anwesend gewesen, jedoch nie Mitglied geworden sei. Während der Vorbereitung des Brandanschlages auf das Heidelberger Schloß sei über andere Aktionen nicht gesprochen worden, so „daß die Angeklagte Straub also nicht erkannte, daß sie einer Revolutionären Zelle gegenüberstand“ (Urteil), sondern die Tat als Einzelaktion verstanden haben konnte.

Sylvia Herzinger sollte wegen Mitgliedschaft in den RZ verurteilt werden, weil die Bundesanwaltschaft annahm, daß sie mit der in Feilings Aussagen als eine Art Anleiterin der Frankfurter RZ charakterisierten „Friederike“ identisch sei. Da etliche Punkte gegen diese Identität sprachen, wurde die bereits mehrere Monate in Untersuchungshaft gehaltene Sylvia Herzinger in dem Verfahren freigesprochen.

Das Frankfurter Urteil gegen Straub und Herzinger zeigt die Probleme der Staatsschutzbehörden, die einerseits keine Interna über die RZ wissen, andererseits aber Wissen behaupten müssen, um Leute als Mitglieder der „terroristischen Vereinigung“ Revolutionäre Zellen verurteilen zu können. Das Bild einer RZ, die Nicht -Mitglieder an ihren Besprechungen teilnehmen läßt, sie sogar zur Durchführung von Anschlägen einsetzt, ihnen aber gleichzeitig suggeriert, diese seien Einzelaktionen und stünden in keinem übergreifenden Zusammenhang, ist mit dem Bild der RZ als einer Organisation, die streng abgeschottet arbeitet und deswegen nur Mitglieder zur Erkundung von Aktionsorten, zur Anschlagvorbereitung (Stichwort:Weckerkauf) und zur Durchführung einsetzt, alles andere als deckungsgleich.

Vollends unglaubwürdig werden die in bisherigen Urteilen, aber auch in den aktuellen Haftbefehlen behaupteten „Erkenntnisse“ über die RZ, läßt man das Verfahren gegen Leyla Ayse Beyerle Revue passieren. Leyla Beyerle wurde 1980 ebenfalls vom Oberlandesgericht Frankfurt wegen Unterstützung einer „terroristischen Vereinigung“ zu zwei Jahren Haft verurteilt. Sie hat als einzige der bisher Angeklagten auch gestanden. Ein ihr unbekannter Mann namens „Ulli“ habe im Juli 1978 konspirativ Kontakt mit ihr aufgenommen: er kommen von den Revolutionären Zellen und sie bräuchten dringend Hilfe. Man habe sie politisch überprüft und sei zu dem Schluß gekommen, sie sei politisch o.k. Im Taunus luden Beyerle und „Ulli“ dann 18 Behältnisse mit Waffen, Sprengstoff und Munition auf, die versteckt werden sollten. Als Versteck hatte Beyerle die Wohnung einer Bekannten, die mehrere Monate verreist war, ausgesucht. Als diese vorzeitig zurückkam, alarmierte sie die Polizei.

Verurteilungen um jeden Preis

Rudolf Raabe, der zeitweilig aus der BRD geflohen war, dann aber freiwillig zurückkehrte, wurde im Juni 1982 wegen Mitgliedschaft in den RZ verhaftet. Wesentliches Belastungsmaterial gegen ihn waren Aussagen von Feiling, in denen er allerdings nie namentlich erwähnt wurde, sowie die Tatsache, daß in seiner Wohnung Elektrobauteile und „radikale, politische Schriften“ gefunden worden waren. Für eine Verurteilung reichte das nicht aus: „Der Senat hat in seiner Gesamtschau alle gegen den Angeklagten sprechenden Beweisanzeichen zusammenfassend gewürdigt. Er ist sich dabei bewußt gewesen, daß an die zur Verurteilung erforderliche Gewißheit keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden dürfen. Denoch ist der Senat nicht zu der Überzeugung gelangt....“ Damit der Prozeß nicht ganz ergebnislos blieb, wurde Raabe wegen Fälschung seines Passes vor der Flucht zu 1.800 Mark Geldstrafe verurteilt.

Der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf, Arnd, vor dem auch die Verhandlung gegen Ingrid Strobl und Ulla Penselin stattfinden soll, ließ sich leichter üßberzeugen. Er verurteilte Friedhelm Beine 1985 wegen „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ zu sechs Monaten Haft: Beine soll einem Freund, von den RZ gefälschte Fahrausweise des Verkehrsverbundes Rhein Ruhr zur Benutzung und den Bekennerbrief der RZ zur Information gegeben haben.

Die Justiz, das zeigen die bisherigen Verfahren, tut sich mit derVerurteilung angeblicher RZ-Mitglieder schwer: Bedarf es schon erheblicher Mühe, die RZ als einheitliche Organisation darzustellen, um Leute wegen Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung“ überhaupt verurteilen zu können, so sind die Indizien, die für die Mitgliedschaft sprechen, und zumeist auch die Fakten, die eine Beteiligung an bestimmten Taten belegen, äußerst dürftig. Daß die Angeklagten sich meist nur zur Person einlassen, ihre Zugehörigkeit weder dementieren noch offensiv vertreten, macht es den Staatsschutzsenaten nochschwerer. Der große RZ-Prozeß, in dem sich der Staat als Herr des Verfahrens gerieren und „Erfolg“ durch hartes Durchgreifen signalisieren kann, hat u.a. deswegen noch nicht stattgefunden. Die an sich durch nichts zu begründende Zusammenlegung der Verfahren von Ingrid Strobl und Ulla Penselin und die Informationspolitik der Bundesanwaltschaft deuten indes darauf hin, daß das jetzt nachgeholt werden soll. Die Dürftigkeit - um nicht zu sagen Nichtigkeit - der bisher vorgelegten Indizien und „Beweise“ spricht eher dagegen, daß der Prozeß, so er von einer Öffentlichkeit kritisch begleitet wird, den intendierten symbolischen Sieg des Apparates ermöglichen wird.