Rauch über Hadamar

■ Bilder zum Krankenmord Dienstag, 26.7., ARD, 23Uhr

Vor Jahren begann Ernst Klee mit dem - „Behinderten-Report“, Pfeffer in die Pestbeulen Deutscher Tabuverdrängung zu reiben. Mit der diesem Thema eigenen stetigen Verbitterung stieß er logischerweise nun bis zu jener Sozial-Neurose vor, die neben Kommunisten- und Juden-„Endlösungen“ unser tiefstes Erbe darstellt: Die Ermordung der „Geisteskranken“ unter führender Beteiligung kirchlicher Heilanstalten. „Alles Kranke ist Last“, zitiert der Filmtitel einen Prälaten. Klee und Dietrich reihen Bild an Bild, Aussage an Aussage, bis jenes haarsträubende Pandämonium entsteht, in dem Gottesmänner Mord begründen und Pflegerinnen ihre Schützlinge im Kachelbad „abgespritzt“ haben.

Erster Mai 1933: Von Bodelschwingh, der angebliche Widerständler, erster evangelischer Reichsbischof, übt mit seinen Kranken Hitlergruß; auch er wird „im Gehorsam gegen Gott die Eliminierung an fremden Körpern vollziehen“. (v.B.) Er fordert nur ein „geordnetes Verfahren“.

Bereits 1927 gibt er „Imprimatur“ (kirchl. Druckerlaubnis) für das Buch des Moraltheologen Joseph Mayer aus Freiburg, Hauptschriftleiter der Caritas“, der die „gesetzliche Unfruchtbarmachung Geisteskranker“ empfiehlt. Das „Standardwerk“. Sterilisiert werden „Erbkranke“, „Schwachsinnige“, das heißt vor allem politische Systemgegner und Alkoholiker. Wie unsere heutige sportgeilen Öffentlichkeit galt den Nazis „Gesundheit als höchstes Gut“, der Behinderte als „Untermensch“, der die „Herrschaft über die Gesunden antreten“ würde, und so begann man in Bethel (bei Bielefeld), noch heute die größte „Irrenanstalt“) mit „Sterilisation aus Überzeugung“. Der dortige Kirchenangestellte Dr. Villinger wird später Reichs -„Euthanasie„-Gutachter.

Es sind sprachgewaltige Priester, die diese Worte erfunden haben: „Lebensunwertes Leben“, „Ballastexistenz“, „Gnadentod“. „Idiotie hat nicht mehr mit Gottes Ebenbild zu tun“, sie müßten „dem Schöpfer zurückgegeben werden“.

Als einer der wenigen Gegner enthüllt Bischof Galen in Münster am 3.8.41 in einer Predigt, worum es den faschistischen „Zeitgeist“ in Wahrheit ging: „Unproduktive Mitmenschen töten.“

1941 geht das erst richtig los: Scheuern, Hadamar, Grafeneck.Busse der Reichspost mit weißverhängten Fenstern holen die Kranken ab. So blöd, daß er/sie nicht merkt, daß es ans Leben geht, ist keiner: Sie schreien, wehren sich, klammern sich an ihre Pflegerinnen, die sie ausliefern, reißen deren Kleider mit sich. Die süßlichen Gaswolken über Hadamar: Hunderte Meter hoch. Sie müssen kilometerweit gestunken haben. An den Behinderten übt die SS die fabrikmäßige Massenvernichtung, es sind Testreihen für Ausschwitz. „Die Angstschreie der Opfer waren nicht zu überhören“ in der Umgegend. Die Gaskammer für jeweils zwei Busse voll, fünfundsiebzig Menschen, ist gekachelt und hat eine Duschkopf-Attrappe. Ihre Größe ist drei mal vier Meter. SS filmte die Vergasung für Schulungszwecke, Teile dieses Films hat Klee in Kaufbeuren gefunden und in der Heilanstalt Irrsee, wo die „unproduktiven Kranken“ durch Hungerkost zugunsten der „Arbeitsfähigen“ langsam umkamen. 200.000 Behinderte wurden unter den Nazis beseitigt. „Mord -Schwester“ Pauline wird später Helferin im Kindergottesdienst. Im „Sterbebuch“ trägt sie hinter jedem Patienten, den sie gerade mit einer Spritze vergiftet hat, mit deutscher Schönschrift ein: „Aussegnung“.

Dr. Seltsam