Tropische Familienfeier ohne Strom

In Beirut feiert man den Abschluß der Pilgerreise nach Mekka mit lauwarmem Bier bei subtropischen Temperaturen / Während die Frauen kochen müssen, machen sich die Männer auf die Suche nach anzapfbaren Stromleitungen  ■  Aus Beirut Petra Groll

Gibt es Ekligeres als brühwarmes Bier zur Pizza bei ohrenbetäubender Transistormusik, die allein den Höllenlärm der Generatoren in der Nachbarschaft übertönt? Man ist vor der Affenhitze auf den Balkon geflohen, jede Pore wittert Abendluft. Air-Condition oder Ventilatoren, im libanesischen Hochsommer so unentbehrlich wie der Kühlschrank, stehen still. An kalten Duschen muß gespart werden, denn durch den Stromausfall arbeiten die Motoren der Wasserpumpen nicht, die Tanks auf den Dächern sind selten voll.

Libanons Sunniten, Schiiten und Druzen feierten Anfang dieser Woche das Aid-Adhar, das den Abschluß der Hajj markiert und vergleichbar dem christlichen Weihnachten vonstatten geht: ein Familienfest, bei dem Geschenke verteilt werden und noch mehr gegessen wird als allgemein schon üblich. Man stelle sich also Weihnachten vor, in tropischem Klima und: ohne Strom.

Daß in dieser Woche auch die zweimonatige Wahlzeit begann, während der das libanesische Parlament einen neuen Präsidenten bestimmen soll, ist fast in Vergessenheit geraten, obwohl diese Wahlen als möglicherweise dramatischer Wendepunkt der Kriegsgeschichte des Landes eingeschätzt werden. Doch die in höchstem Maß politisierten Normalverbraucher scheren sich nicht drum. Sobald das Klagen über die Stromversorgung ein Ende gefunden hat, vergleichen die Männer im Familienkreis die Preise für Generatoren, Benzin- oder Dieselverbrauch einzelner Geräte... Die Geschichte des pfiffigen Händlers im Geschäftsviertel Mar Elias wird erzählt, der aus der Not eine Tugend machte, sich einen starken Generator besorgte und Privat-Strom an die umliegenden Händler verkauft. Die Männer sind Experten geworden, im Anzapfen fremder Stromleitungen, sei es bei Nachbarhäusern oder vorzugsweise von den Versorgungsleitungen öffentlicher Gebäude. Geradezu malerisch nehmen sich die Kabelknoten und angezapften Verteilerstellen aus. Bislang ist noch jeder Fotograf ausgeklinkt, beim Anblick der oft dutzendfach verknoteten, verklebten, angehängten Strippen, die, einem chaotischen Spinnengewebe gleich, jeden Masten und jeden Kasten umheddern. Doch allenthalben wird gebraten, gebrutzelt, gekocht.

Bei der täglichen Wettervorhersage richten sich beim Publikum die Körperhaare auf wie jedem besseren Horrormovie. Schon die Ankündigung einer jeden neuen Hitzewelle führt zu Schweißausbrüchen. Die ebenfalls täglich präsentierten Erklärungen der staatlichen Energieversorgungsgesellschaft (EDL) aber schaffen Wildweststimmung. Sollte sich einst bewahrheiten, was heute schon bittere Volksweisheit ist, sollte bewiesen werden, daß die obere Etage der EDL ihr Monatsgehalt im Generatorengeschäft aufbessert, so wird man im Libanon gewiß zu Formen der Lynch-Justiz greifen. Heute schon müßte jeden Abend, pünktlich zu Beginn der Tagesschau, die vollständige Chefetage der EDL tot umfallen. Das tut sie natürlich nicht. Sie strapaziert ihre Kreativität mit immer neuen, erstaunlichen Erklärungen, weshalb heute in diesem und morgen in jenem Bezirk nur sechs Stunden Power aus der Dose fließt - oder gar nicht. Ein Blackout kann weitaus länger als 24 Stunden dauern. Stecken einmal Fetzen einer Plastiktüte in den Turbinen, herrscht ein anderes mal schwerer Sturm, sodaß der Petro-Tanker, der schon seit Tagen vor der libanesischen Küste dümpelt, nicht gelöscht werden kann. Dann wieder hat eine einzige Pistolenkugel die Hauptleitung gestreckt...der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Die Lage ist absurd. Unbegreiflich sogar, folgt man der jüngst veröffentlichten Rechnung eines Parlamentsabgeordneten, der an einer Untersuchung der Geschäfte der EDL teilnahm. Danach übersteigt nämlich die Kapazität der drei libanesischen Kraftwerke bei weitem den aktuellen Bedarf. Die objektiven Probleme der EDL sind freilich nicht zu unterschätzen. Rasende Inflation und kriegsbedingt chaotische Staatsfinanzen bestimmen die Rechnung: Die EDL produziert ein Kilowatt zum Preis von 36 libanesische Pfund verkauft sie jedoch nur zum festgelegten Preis von zwei Pfund - geklaut wird obendrein nicht nur das Produkt in gigantischen Ausmaßen, geklaut werden Geräte, Kabel, Ersatzteile und Überlandleitungen... und, so klagen die Verantwortlichen der EDL, wiederbeschafft werden kann gar nichts, es gibt kein Geld. Wenn schon mit den derzeit unausweichlichen Rationierungsmaßnahmen gelebt werden muß, so beharrt doch der geplagte Verbraucher auf gerechter Verteilung des Mangels. Doch auch die auffallend bessere Versorgung der Stadtteile, die sich unter Kontrolle der christlich-maronitischen Falange befinden, ist kein ewiges Geheimnis der (natürlich im Christenland befindlichen) Schaltzentrale. Die parlamentarischen Untersuchungen ergaben nicht nur technischen Unverstand, Korruption und schlichtes Desinteresse der Angestellten. Eine wahre Flut von Drohbriefen und Anrufen, sowie entsprechend plazierte Bomben führen zum Ursprung allen Übels zurück.