Kauft Pflaster, Herrschaften

■ Seit 50 Jahren bringt Pflaster-Franz auf der Straße seine Ware an Mann und Frau

„Pflaster! Meine Herrschaften!“ Diese Worte dringen in die Ohren der Passanten, die im alltäglichen Kaufrausch die Karl -Marx-Straße entlanghetzen. Kaum beachtet steht ein alter Mann mit sonnengegerbtem Gesicht vor der Hauptpost und preist unüberhörbar sein Mittel zur Heilung aller Wunden dieser Welt an: „Pflaster, meine Herrschaften!“ Die stoische Figur des Pflasterverkäufers läßt Vergangenheit lebendig werden. Wieviele Menschen an dem wohl dienstältesten Berliner Straßenhändler schon vorbeigelaufen sein mögen?

Bereits in den dreißiger Jahren hat Pflaster-Franz sein Geld mit dieser Arbeit verdient. Plaster als Meterware gab es allerdings noch nicht. „50-Blatt-Butterbrot-Papier-für-20 -Pfennig“ war sein erstes Angebot, erinnert er sich. Später verkaufte er Kurzwaren vor dem ehemaligen Warenhaus Joseph, dem heutigen Hertie. Auch mit Kugelschreibern hat er schon gehandelt.

Ob er nicht mal was anderes sein wollte als Straßenhändler, fragte ich ihn. „Och! Anfang der fünfziger Jahre wollte ich 'hoch hinaus'“, sagt Pflaster-Franz ironisch. Da hatte er einen Blumenladen in der Nähe des Alexander-Platzes. Das war zu einer Zeit, als es noch schwierig war, an Blumen heranzukommen. Aber das ging schief, als die DDR -Staatsorgane ihm immer mehr Schwierigkeiten machten. Deshalb ging er zurück auf die Straße. Seitdem handelt er mit Heftpflaster, wochentags von 9-15 Uhr, egal ob Sommer oder Winter, bei jedem Wetter. Seine 72 Jahre sieht man ihm nicht an.

Viele seiner Käufer sind Stammkunden geworden, erzählt Franz. Fast ein Drittel seien TürkInnen. Doch ansonsten könne er seine Kundschaft nicht näher eingrenzen. Dazu sei sie zu unterschiedlich. Ich betrachte leicht gerührt sein Pflaster-Sortiment und kaufe ihm ein Päckchen für 1,40 Mark ab. Dabei beschleicht mich das unangenehme Gefühl, eine „soziale Tat“ begangen zu haben. Ich möchte ihn dadurch ökonomisch zu unterstützen. Pflaster brauche ich eigentlich nicht. Aber vielleicht brauche ich ja welches und weiß es noch nicht.

Allein von diesem Geschäft leben kann er allerdings nicht. Es dient ihm „mehr zur Unterhaltung“, wie er beiläufig bemerkt, mit dem er seine bescheidene Rente aufbessert. Die Polizei sei sehr hilfsbereit, betonte er immer wieder einem ungläubig lächelnden Zuhörer; das war nicht immer so, wie er selbst erfahren hat. Besonders in den zwanziger Jahren, als es an die 30.000 offizielle HändlerInnen in der Stadt gab, wurden sie von der Konkurrenz, den Laden- und Marktstand -Besitzern, angefeindet, und ihnen von der Polizei durch allerlei schikanöse Verordnungen das Leben schwer gemacht. So durften sie beispielsweise keinen festen Platz einnehmen, und nur zum unmittelbaren Verkauf der Ware an die Kunden stehenbleiben.

Angesehen war dieser Straßenhandel nie. Dennoch war er in der Wirtschaftskrise für Tausende von Menschen in der Stadt die einzige Erwerbsquelle. Aber Franz mußte sich erst daran gewöhnen, auf der Straße zu stehen. Hatte man erst die „Peinlichkeit des öffentlichen Feilhaltens“ überwunden, erfordere diese Arbeit lediglich eine „zähe und widerstandsfähige Gesundheit“.

Text und Fotos: Werner Kosak