Die Augenklappe von John Ford

■ Van Morrison singt irische Heimatfilme

Wer ist die Schönste von Belfast? Jenny Murray? Wer ist „The star of Country Down“? Es ist „Rosie McCann from the banks of the Bann“! Ganz einfach, und Jenny liebt Albert Mooney, und die anderen Jungs können sich vergeblich die Finger wundklingeln. Nie steht sowas in der 'FAZ‘ oder taz, immer muß man sich die 'Abendzeitung‘ oder die 'Morgenpost‘ kaufen, und dann erfährt man, daß es in Banbridge Town passierte, letzten Juli, morgens, oder auf der Raglan Road an einem Herbsttag, und die Iren sind da genau und stolz auf ihre Namen, und davon zehren die Amerikaner.

Van Morrison ist heimgekehrt und er-zählt sich die alten Geschichten auf, um die es geht: Mädchen, Hochzeit, Trinken, Jugend, Sterben und Sehnsucht. „I'm going back, going back to my own ones. Back to talk, talk awhile with my own ones. For the world is so cold.“ Die Sehnsucht hat einen Namen, hatte dunkles Haar oder schwarzes und ist seit langem weiß. Vielleicht kann er nur so singen, weil er sich nur mehr an die Erinnerung erinnert und die Namen, die er mehr vermißt als „Sweet Colleen“. Nach „Poet Champions Compose“, seinem „Frank Sinatra meets Nelson Ridle„-Album des letzten Jahres, nun die andere Seite des Ozeans: Irland, acht Volkslieder und zwei eigene Kompositionen, die er schon früher veröffentlicht hatte, „Celtic Ray“ und „Irish Heartbeat“. Keine mythisch verhangene Welt der Sagen und literarischen Anspielungen, dafür Fiddle, Bass, Harfen, Flöten und die Pfeifen der „Chieftains“. Meine Schwierigkeiten mit irischer Musik verringern sich dadurch kein bißchen. Die Dubliners, die Protestbarden, die „Irish Pubs“ mit dem unerbittlichen Gebot, sich solange zu betrinken, bis die Stimmung erreicht ist, für die man vorher schon bezahlt hat - es sitzt tief. Wenn Van Morrison mit Kevin Conneff von den „Chieftains“ im Duett singt, ist der Unterschied zu hören: das einfache, ungebrochene Irland und Irland durch das Auge John Fords. „I'll tell me Ma“, „Marie's wedding“: die Lust zu tanzen, Henry Fonda als Wyatt Earp mit Clementine Carter am Sonntagmorgen im hellen Sonnenlicht, frisch rasiert und gepudert über die Holzbühne stampfend, der Versuch John Waynes als „quiet man“, nach Irland zurückgekehrt, seine Gegner unter den Tisch zu saufen, die Geschichte eines grünen Tales den Toten zu erzählen - es ist immer die Fremde, die den Ton verändert. Irgendwo ein Friedhof, ein Grab, auf das man eine Kaktusblüte stellen kann, um die Geschichte noch einmal zu erzählen, wie es so gekommen ist und anders hätte sein können und es nicht ging und es so lächerlich traurig ist, daß man lacht, während die Tränen langsam über das Gesicht laufen. „Carrickfergus“ und „Raglan Road“ sind solche Lieder. „Carrickfergus“ sang schon Bryan Ferry in einem ähnlichen Arrangement, wenn der akustische Baß bei der Zeile „But the sea is wide and I can't swim over“ in die Kniekehlen stößt, daß man einknickt, bis hin zu der klassischen Feststellung: „But I'll sing no more till I get a drink.“ Und „Raglan Road“ - “'Mein Gott‘, 'mein Gott‘, und ich sag es noch einmal 'mein Gott‘!“ schrieb Raymond Chandler, und das Lied hat alles, was Van Morrison bedeutet. Diese schwere Selbstverständlichkeit, das „Listen, listen!“, das Hochziehen der Stimme, das in einem sonorem „Alright!“ endet, dieses triumphierende Trotzdem, die Wiederholungen „And I, and I, and I, and I“, das „Sssh, sssh“, und leiser, leiser werdend zum warmen Flüstern, „On a quiet street where old ghosts meet I see her walking now away from me“, und dann tauchen die „Chieftains“ aus dem Nebel auf, und die Trauermusik wird zum Hochzeitsmarsch: Irischer Blues. Für mich - nur diese beiden Lieder und das Coverfoto. Morrison: fett, klein, immer unnahbarer werdend, der Mantel platzt fast, und diese geballte Ruhe, die verknitterte Schönheit der „Chieftains“, nur die alten Männer können uns noch retten. „Why did you leave America?“ Die schönsten Filme John Fords über Irland waren immer Western.

Konrad Heidkamp

Van Morrison & The Chieftains

„Irish Heartbeat“, Polygram 834496-1