: Lernen für das Lehren
■ 400 GrundschullehrerInnen bereiten sich drei Tage lang auf den Unterricht für 5.000 Erstklässler vor / Viel graues Haar bei den LehrerInnen der Jüngsten
Während gestern für fast alle Bremer SchülerInnen und LehrerInnen der Alltag zwischen Bank und Tafel wieder begonnen hat, tauschten 400 GrundschullehrerInnen, die ab dem kommenden Montag einen Teil der rund 5.000 Erstklässler unterrichten werden, die Rolle: Sie lassen sich die ersten drei Tage des neuen Schuljahrs selber bilden - auf einer „Schulanfangstagung“.
Viel graues Haar war zu sehen, als gestern morgen im Kongreßsaal der Uni das Eröffnungsreferat gehalten wurde. Denn der Abstand zwischen Lernenden und Lehrenden wird seit Erfindung des Stellenstopps im öffentlichen Dienst immer größer. „Wir haben seit 15 Jahren im Kollegium kein neues Gesicht mehr gesehen“, berichtete zum Beispiel eine Lehrerin, Examensjahrgang 68, aus der Augsburger Straße. Trotz
dem hat sich in den letzten 20 Jahren unter der Regie der ewig gleichen LehrerInnen doch einiges geändert.
SchulanfängerInnen erwartet heute nicht mehr der Mief von Linoleum und feuchter Kreide, wenn sie zum ersten Mal ihr Klassenzimmer betreten. Aus der Schulbank blicken sie auch nicht mehr auf die immer gleiche Anordnung von Pult, Zeigestock und Tafel. Bänke stehen heutzutage im Kreis, dahinter gibt es Spielecken, Leseecken, Bastelecken. Im ersten Schuljahr wird geknetet und getanzt, gewürfelt und gespielt. Und das alles ist nicht Initiative einzelner LehrerInnen, sondern Verwirklichung des Lehrplans.
„Klassenräume als gestaltete Lernumgebung“ heißt denn auch eine Ausstellung, die die Landesbildstelle im Rahmen der „Schul
anfangstagung“ zeigt. Vorschlag für ein übergreifendes Thema allen Lernens in der ersten Klasse ist das „Ich-Projekt“, zu dem in vielen Einzelveranstaltungen Anregungen gegeben werden. „Wo ich wohne“, „Zeitbewußtsein und Identitätsbildung“, „Kinder lernen sich kennen - Ausländer in der Nachbarschaft“ heißen einige Vorschläge für einen Unterricht, der das Leben und Erleben von Kindern zum Schul -Thema macht.
„Offener Unterricht“ ist ein weiteres Zauberwort moderner Grundschulpädagogik. Nach Ideen des französischen Pädagogen Freinet suchen sich die Kinder selber die Themen aus, die sie interessieren. Nicht Lehrbücher, sondern die Erlebnisse außerhalb der Schulmauern liefern dafür Anregungen. Die LehrerInnen der Erstkläßler helfen erst, wenn
sie gefragt werden. Sie übernehmen die „Moderation“ der Gespräche in der Gesamtgruppe, mischen sich aber nicht inhaltlich ein. Frontalunterricht wird meist durch selbständige Kleingruppen ersetzt.
„Auch wir Pädagogen müssen uns selbst helfen“, riet der Bundesvorsitzende des „Arbeitskreises Grundschule“, Hermann Schwarz, in seinem Eröffnungsreferat. Zuweilen gäbe es noch „Vorgesetzte, die sich mehr als retardierende Elemente verstehen“ - die langjährig erfahrene Lehrerschaft lächelte. Allerdings, so Schwarz, stünden sich die PädagogInnen auch häufig genug selbst im Weg, wenn es um neue Formen des Unterrichts geht. „Jeder Mensch ist Kind seiner Gewohnheiten“, rief er den 400 gealterten LehrerInnen zu.
Dirk Asendorpf
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