Chile, Schalk und Gitarren

■ Urs Fiechtner & Sergio Vesely mit ihrem Latino-Kulturbotschafter-„Gesang für America“ in der Oldenburger Kulturetage, leider etwas sorgfältig abgestimmt unnahbar

„Gesang für America“ nennen der Schriftsteller Urs M. Fiechtner aus Ulm und der exil-chilenische Liedermacher, Schriftsteller und Grafiker Sergio Vesely aus Stuttgart den poetischen Zyklus zur Geschichte Lateinamerikas, den sie am Donnerstag in der Oldenburger Kulturetage einem sehr offenen, interessierten Publikum vortrugen.

Die beiden Künstler betätigten sich durchaus kompetent als Botschafter lateinamerikaischer Kultur, insbesondere der Geschichte und Kultur der Unterdrückten, Benachteiligten. Gesungenes und gesprochenes Wort, Lyrik und Prosa, lateinamerikanische und mitteleuropäische Gitarrenmusik, deutsche und spanische Sprache verbanden Fiechtner und Vesely zu einer eindrucksvollen Einheit.

Alles paßte zueinander, war sorgfältig aufeinander abgestimmt - etwas zu sorgfältig vielleicht: Spontaneität, Flexibilität der Darbietungsform, Improvisation in Text und Musik schienen nahezu unmöglich. Das Publikum wurde in eine absolut passive Konsumentenrolle gedrängt, konnte sich nicht einmal durch Applaus, geschweige denn auch Zwischenrufe äußern.

Fiechtner und Vesely arbeiten

seit 1977 zusammen, absolvieren über 100 Auftritte pro Jahr und laufen damit ständig Gefahr, in Routine zu erstarren. Und in der Tat wirkte der „Gesang für America“ zwar äußerst gekonnt und profihaft, andererseits aber auch hermetisch abgeschlossen, etwas zu glatt, unnahbar.

Die von amnesty international veranstaltete Konzertlesung vermittelte zwar eine Fülle von Informationen und Legenden zur Geschichte Lateinamerikas, beschränkte sich jedoch fast ausschließlich auf die Historie. Keine Stellungnahme zur Jetztzeit. Noch heute wird in Chile gefoltert, bedroht, inhaftiert. Angesichts dessen wirkte die Darbietung zu leise, zu künstlerisch verklärt. Und hier wird keineswegs einer aggressiv-agitatorischen Platitüde das Wort geredet. Vielmehr erscheint es wichtig, nicht nur auf das zu sehen, was war, sondern auch auf das, was sein wird.

„Sie werden fragen, warum wir singen: Wir singen, weil wir Anhänger des Lebens sind“, sagten die beiden Künstler und verabschiedeten sich mit einer Satire zur Situation von Ausländern in Westdeutschland („Immer fegt irgendwer irgendwas ganz gründlich weg“). Hier und an einigen

anderen Stellen des Programms beeindruckte besonders Vesely mit schalkhafter Ausstrahlung und clownesken Einlagen, die nie im Gegensatz zur inhaltlichen Aussage standen.

Fiechtner und Vesely haben verstanden, daß man als politisch motivierter Künstler sein Publikum nicht ungestraft mit moralinsaurer Miene zwei Stunden lang bedeutungsschwanger traktieren kann. Und trotzdem: Etwas mehr Offenheit und ein bißchen weniger Distanz zum Publikum wären schön gewesen.

Kai Engelke