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Deutschlands erste Condomeria

■ In Frankfurt hat ein Laden nur für Pariser eröffnet / Fünfundzwanzig Arten Gummis in allen Farben, Geschmacksrichtungen und Duftsorten / Das Geschäft von Pro Familia macht gute Umsätze / Deutsche Pfadfinder als größter Kunde

Frankfurt (ap/taz) - Das Kondom ist in aller Munde, das Kondom ist gesellschaftsfähig. In der Frankfurter Gutleutstraße 139 hat Pro Familia Deutschlands erste Condomeria eröffnet. Die Geschäfte gehen gut, der Umsatz steigt, die Akzeptanz ist glänzend. Auf der Kundenliste stehen Hessen-Grüne, Jugendheime, Aids-Hilfen, Prostituierten-Gruppen als Großabnehmer; daneben Hunderte von Einzelkunden täglich. Den Kondom-Rekord hält - wer hätte es gedacht - der Bund Deutscher Pfadfinder mit einer Abnahme von 3.000 Stück.

Es gibt sie mit Erdbeer-, Pfefferminz- und Dropsgeschmack, in rot, grün, schwarz und blau und für ganz Anspruchsvolle auch mit „dem aufregend prickelnden Aroma eines orientalischen Blütengartens - farbig, duftig, ungewöhnlich“, Creationen aus zartem Gummi. Die Condomeria bietet Transparentes für jeden Geschmack und in fast jeder Form. Als Geschenk, hübsch verpackt, im Bonbonglas oder als Anstecker.

Seitdem Minister sie öffentlich aufblasen, Gesundheitsämter sie lauthals propagieren und selbst im Berliner Rathaus Schönefeld ein Automat für sie aufgestellt wurde, sind Kondome im kommen. In der Gutleutstraße prunken sie im Schaufenster des ersten reinen Kondomverkaufsladens der Republik. Unter einem Nachttischchen Marke Gelsenkirchener Barock liegen dort Hauspantoffeln, aus der Schublade lugen brav gefaltete Taschentücher, daneben griffbereit zwei Präservative. „Früher hing da auch noch ein Rosenkranz. Aber da hat uns ein Nachbar die Polizei ins Haus geschickt. Und die 'Bild'-Zeitung gleich dazu. Der Mann müßte eigentlich ein Ehrenkondom bekommen für die Publicity.“ Die 61 Jahre alte Gertrud Halberstadt verwaltet mit weiteren drei Teilzeitkräften der Sexualberatungs- und Familienplanungsgesell Fortsetzung auf Seite 2

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schaft Pro Familia das Kondom-Imperium. 25 verschiedene Sorten bietet sie an - von hauteng, über feucht bis zu Tutti frutti. „Viele Frauen aus der Frauenbewegung vermissen violette Kondome - die gibt es einfach nicht. Aber wir haben zumindest einen violetten Briefumschlag, in dem wir ein Sortiment kredenzen“, berichtet Frau Halberstadt, die früher Geschäftsführerin von Pro Familia Hessen war.

Vom Yuppie bis zum Erotomanen findet in der Condomeria fast jeder das Passende: Ein Herrenhöschen mit acht Taschen - in jedem ein farbiges Kondom - soll ein „buntes Wochenende zu zweit“ garantieren. Je eines für Freitag abend, Samstag morgen, Samstag mittag, Samstag nachmittag, Samstag abend, Sonntag morgen, Sonntag mittag, Sonntag nachmittag, der Sonntag abend zur Erholung.

„Die Gags gehen am besten“, weiß Frau Halberstadt. „Doch immer mehr kommen, um ihren normalen Bedarf hier zu decken.“ Die 29jährige Petra Janßen hat sich einen schwarzen Kondom -Anstecker ausgesucht. „Den schenk ich meinem Freund“, lächelt sie und legt 3,50 Mark auf den Ladentisch. Ihre Freundin Conni Schäfer: „Bei Beate Uhse würde ich nie auf die Idee kommen reinzugehen.“ Pro Familia vermittle ein ganz anderes Gefühl. Und Frau Halberstadt meint: „Wenn jemand in einen Sexshop geht, muß er sich erst an fünf aufgeblasenen Puppen vorbei drängen. Wir wollen die Verhütungsmittel aus der schlüpfrigen Ecke herausbringen.“

Ein Kondom-Laden als ganz normales Geschäft, in dem ein Artikel des täglichen Bedarfs eingekauft wird? Pro Familia bemüht sich nicht nur, sich vom pornographischen Umfeld freizustrampeln, sie will das Kondom auch in seinem gesellschaftlichen Kontext zeigen. Zum Literatursortiment gehört neben dem Handbuch der 80 Kondomanwendungen auch sexualberatende Literatur und Aufklärungsmaterial zum Thema Aids. Und: in limitierter Auflage ist Edouard Manets „Frühstück im Freien“ in leicht veränderter Fassung zu haben. Am Frühstückstisch sitzen Gauweiler und Strauß - beim Kondom-Tausch.

Unverkäuflich ist dagegen eine Sammlung internationaler Gummi-Kreationen: Aus der DDR, Korea, Holland. Kondome in Nußschalen verpackt, in Bonbonpapiere gewickelt, in Schlüsselanhänger gepreßt. Nur eines gibt es nicht: „Alles, was in die sexistische Ecke zielt.“ Noppen und sonstige Verzierungen am Gummi hält Frau Halberstadt für Larifari. „Wir haben auch mal sowas ausprobiert daheim, aber ich könnt‘ nicht sagen, daß ich an die Decke gegangen bin vor Begeisterung.“

Viele junge Leute seien erstaunt, wie dünn die Präservative seien. „Die stellen sich oft vor, das ist ein Fahrradschlauch, den man sich drüberzieht.“ Schon 1984 nahmen zehn Prozent der Bevölkerung zum Schutz vor Empfängnis Kondome. Durch die Immunschwächekrankheit Aids seien es erheblich mehr geworden. Und den Durchbruch zum Geschenkartikel habe das Kondom fast schon geschafft: „Neulich war ein Kunde da, der verlangte 38 Präservative zum 38.Geburtstag eines Freundes.“ So wie man früher Bonbons, Rosen oder Kerzen schenkte.

Annette Ramelsberger

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