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Japans Frauen machen gegen AKWs mobil

■ Die Anti-Atombombenbewegung verliert ihr Protestmonopol / Aus Hiroshima Ch. Yamamolo und G. Blume

Samstag, 6.August. Zum 43.Mal jährt sich der Atombombenabwurf über Hiroshima. Takeshi Araki, Bürgermeister der Stadt, ruft zur Abschaffung aller Atomwaffen auf. In seiner „Partnerstadt“ Hannover fordert SPD-Abrüstungsexperte Hermann Scheer die „weltweite Einstellung aller Nuklearversuche“. Ins gleiche Horn stoßen derweil sechs blockfreie Länder. Mexiko, Peru, Venezuela, Sri Lanka, Jugoslawien und Indonesien fordern ein Verbot aller unterirdischen Atomtests. Einverstanden damit dürfte auch das in Tahiti („Französisch-Polynesien“) am Samstag gegründete „Komitee für Frieden und Entwicklung“ sein, das die Atomversuche Mitterrands auf dem Mururoa-Atoll stoppen will.

Ebenfalls rechtzeitig zum Gedenktag mahnt das Repräsentantenhaus der USA bei Japanern und Europäern höhere Rüstungsausgaben an. Der Streitkräfteausschuß in einer Bilanz: „Es ist unangemessen für weltweite Handelsmächte, ihre Verteidigungsbeiträge und Fähigkeiten auf einer regionalen Basis zu berechnen.“ Für die Stationierung von US -Truppen sollen die Handelskonkurrenten gefälligst mehr zahlen. Allerdings: Einen „großangelegten US-Truppenabzug aus Europa“ werde man (großzügigerweise) „solange nicht unterstützen, wie eine vernünftige Möglichkeit besteht, einen asymmetrischen Abbau der konventionellen Streitkräfte mit der Sowjetunion auszuhandeln“.

Bio-Mais in Hiroshima. Kiyoko Hara bietet ihn an. Ihr Straßenverkauf läuft an diesem 6.August besser als an anderen Tagen. Die japanischen Atomgegner, die heute in Hiroshima versammelt sind, haben ihre Vorliebe für biologisches Gemüse entdeckt.

Nach dem Dunkelwerden hat sich das Straßenleben in Kiyokos abgelegenem Stadtteil beruhigt. An diesem Abend wird nach buddhistischer Tradition der Atombombenopfer: Kerzenlichtder fließen den Hiroshima-Fluß hinab. Nur ein leichtes Holzgestell trägt die Lichter. Jede Flamme erinnert an die Opfer einer Familie.

„Der 6. August ist ein großer Tag“, sagt Kiyoko und zerrt ihren achtjährigen Sohn heran. „Er kann heute viel lernen.“ Inzwischen hat sie den Gemüsestand an der Straße geräumt und bereitet drinnen in ihrem kleinen holzgetäfelten Alternativladen das abendliche Kneipengeschäft vor. Der biedere Anschein trügt. Kiyoko zählt zu jenen japanischen Frauen, die die allmächtige Atomtechnokratie Nippons derzeit mehr das Fürchten lehren, als es die traditionelle Atombombenbewegung des Landes in ihrer 43jährigen Geschichte je vermochte.

Am Morgen dieses 6.August um viertel nach acht. Zur genauen Zeit der Atombombenexplosion in Hiroshima vor 43 Jahren. Kiyoko ignoriert die offizielle Zeremonie im Friedenspark der Stadt und verteilt Flugblätter an die etwa 50.000 Gedenkfeiergäste. „Genpatsu wy Iran - Wir brauchen keine Atomkraft“, fordert das „Hiroshima Network“, die neue Anti -AKW-Gruppe der Stadt, in der vor allem Frauen aktiv sind. Die Anti-Atombombenbewegung wurde dagegen von großen Organisationen getragen und war ausschließlich von Männern dominiert. Für Nippons Frauen geht die atomare Angst heute weniger auf den 6.August1945 als auf den 26.April1986 zurück - den Tag der Tschernobyl-Katastrophe.

Was in Tschernobyl passierte, begriffen viele Japaner erst in diesem Jahr. Als im Februar öffentlich wurde, daß im Ikala-Atomkraftwerk auf der Insel Shikoku ein Produktionsdrosselungsexperiment unternommen werden sollte, das auch Experten für nicht ganz risikofrei hielten, wachten viele Frauen auf. „Für mich begann ein neues Denken: auch in Japan ist der GAU jederzeit möglich“, erklärt Kiyoko und entschuldigt sich fast im gleichen Augenblick: „In den knapp 30 Jahren, seit es in Japan AKWs gibt, haben alle ohne Ausnahme, Kommunisten und auch viele Sozialisten eingeschlossen, immer wieder gesagt, die zivile Nutzung der Atomkraft sei völlig ungefährlich. Erst nach Tschernobyl konnten bei uns überhaupt erst wieder Zweifel aufkommen.“

Die Ikala-Affäre machte den Zweifeln Luft. Innerhalb von vier Wochen sammelten japanische Atomkraftgegner eine Million Unterschriften gegen das umstrittene Experiment. Bereits im Jahr zuvor hatte Taoko Kansha, Mutter zweier Kinder, in Form eines Briefes eine scheinbar harmlose Streitschrift einer Frau gegen die Atomkraft verfaßt. „Ist es zu spät?“ lautet der Titel der Broschüre, deren verkaufte Auflage in diesem Frühjahr die halbe Million erreichte. Kansha hatte erstmals der mütterlichen Sorge japanicher Frauen um eine gesunde, strahlenfreie Ernährung ihrer Kinder nach Tschernobyl Ausdruck verliehen. Als Bürgerinitiativen dann zum Jahrestag von Tschernobyl zur Demonstration in Tokyo aufriefen, kamen 25.000 Menschen, die Mehrheit Frauen. Eine Kundgebung dieser Größe, die nicht auf Initiative der traditionellen Linksorganisationen zurückging, hatte Japan seit den Studentenunruhen der sechziger Jahre nicht mehr gesehen. In Tokio legten die Ministerien Sondersitzungen ein. Nun brachten auch große Boulevardblätter, deren Euphorie bisher immer der modernsten Haushaltstechnologie gegolten hatte, Titelgeschichten über die Gefahren der Atomkraft.

In Hiroshima empfängt Kiyoko am Abend des 6.August einen Stammgast. Yukio Yokohara ist Generalsekretär der den Sozialisten nahestehenden Anti-Atombombenorganisation „Gensuikin“. Auch seine Hoffnung gilt den Frauen im Land: „Ihre Sorge beginnt bei den Kindern im eigenen Garten, und es gehört nun einmal zur japanischen Mentalität, die Probleme im eigenen Garten zu suchen.“ Seit 15 Jahren beteiligt sich Yukio Yokohara an den Sitzblockaden, die jedesmal, wenn irgendwo auf der Welt ein Atombombentest durchgeführt wird, im Friedenspark von Hiroshima stattfinden. Vergebliche Mühe? „Obwohl es eindeutige Beweise für die Präsenz amerikanischer Atomwaffen auf japanischem Boden gibt, glauben die meisten Japaner immer noch, ihr Land sei atomwaffenfrei und so für den Frieden keine Gefahr“, erklärt Yukio. „Mit den Atomkraftwerken aber ist es anders: Ihre Präsenz kann niemand leugnen.“ Professor Fujihik Romura von der Universität Hiroshima mißt der neuen Anti-AKW -Bewegung zudem eine bisher nicht vorhandene gesellschaftskritische Dimension bei. „Der AKW-Protest schließt notwendigerweise eine Technologiekritik ein, die der eher moralischen Anti-Atombewegung abging.“

Kiyoko Hara drückt dies auf ihre Art aus: „Japan ist heute hochtechnologisiert, doch der Lebensstandard der hat sich kaum verbessert. Man lebt nicht gut in Japan. Die Menschen fangen heute erst an zu merken, daß sich Technologie und Lebensstandard nicht zwangsläufig parallel verbessern.“

Was die japanische Gesellschaft, oder vielmehr ihre Frauen (die Männer halten sich zurück) in Bewegung gebracht hat, ist sich nicht zuletzt ein Schlüsselerlebnis: die Bilder von den Opfern der Tschernobyl-Katastrophe, die mit einiger Verspätung auch nach Japan gelangten. Kiyoko wußte sofort: „Die Aufnahmen glichen aufs Genaueste den Photos der Hiroshima Opfer.“ 43 Jahre nach der ersten Atombombenexpolsion weiß man in Hiroshima heute etwas besser, wofür die Hibakushas, die Opfer von Hiroshima, schon immer Zeugnis ablegten. „Wir sind alle Hibakushas,“ sagt Kiyoko und bedient den nächsten Gast.

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