INSTITUTION „INTERFILM“

■ Das internationale Super-8-Treffen hat seinen Festival-Charakter verloren

Die Kamera wackelt, der Ton ist manchmal schwer zu verstehen, der Film ist so lang wie eine Super-8-Kassette lang ist (3,5 Minuten): Roh, ungeschnitten, ungeschminkt. Der Freund des Filmclubpräsidenten erzählt vom Filmclubpräsidenten: „Jau, der filmt imma mit Ton ..., der findet ja imma was.“ (Die Rede ist hier von den in Vereinen organisierten Hobbyfilmern, die ihre Familie ablichten oder kleine, technisch perfekte Filme über das tägliche Leben machen: Kleingartenkolonien, Betriebsfeiern, das Leben von Schmetterlingen usw. Eine „andere“ Super-8 -Filmbewegung entstand in den siebziger Jahren und grenzte sich von Anfang an gegen diese, ihrer Meinung nach „bürgerlichen“ Filmamateure ab.)

Der Freund des Filmclubpräsidenten erzählt weiter vom Filmclubpräsidenten: „Jau, dann besuch‘ ich den und muß erstmal zwei Stunden sitzen und die neuen Filme angucken, mit Musik und so. Auch die Schrift macht er ja selber.“ Der Freund erzählt das alles sehr ernsthaft, aber auch mit einem gewissen innerlichen Grinsen über seinen Freund. Der Freund des Filmclubpräsidenten ist eine liebevolle Hommage an alle Amateurfilmer, liebevoll und ohne sich über sie lustig zu machen, schließlich „ist das ja was Sinnvolles„, wie der Freund sagt, „ist doch sinnvoll sowas“! („Der Freund des Filmclubpräsidenten“ in der Langen Nacht am Sonntag ab 21 Uhr im Eiszeit.)

Die Alten Kinder sind ein Zusammenschluß Bielefelder Super-8-Filmer, die seit Anfang der achtziger Jahre kontinuierlich mit diesem Medium neue (Vertriebs)-Wege, (Alltags-)Sichtweisen und (Film-)Formen erforscht haben und auf zahlreichen nationalen und internationalen Festivals mit Preisen bedacht wurden. Sie seien „die wahren 'Amateure‘ der Super-8, die wirklichen Liebhaber des Unfertigen und Verwackelten, des Grobkörnigen und Feinsinnigen„, schrieb eine Kritikerin.

Take Courage von Maija-Lene Rettig demonstriert durch seine einfache Klarheit, zu was dieses Medium fähig sein kann. Es ist die Geschichte einer Landpomeranze in der Großstadt, die von flutenden Sinnesreizen erschlagen zu werden droht, aber sich die Kamera vors Auge hält und so Ordnung ins Chaos zu bringen imstande ist: Die Super-8 -Kamera als Lebensretter und Skizzenblock - abfällig könnte man von Tagebuchfilm reden. Eine poetische Bilderreise durch ein schwarz-weißes London: Der Zuschauer fühlt sich selten -fremd in dieser Gegend, und ihm wird bewußt, daß jede Wirklichkeit erst außerhalb der verbalen Sprache beginnen kann. Was eigentlich nur ein riesiger Schriftzug zum vermehrten Konsum des britischen Bieres Courage darstellt, wird von Maija-Lene Rettig und dem gebannten Zuschauer als Aufforderung verstanden, in dieser Welt nicht den Mut zu verlieren: Take Courage! Dieser, gemein hin als billige Werbung belächelte Schriftzug und das von einer naiven Kinderstimme vorgetragene Lied London Bridge is falling down drängen dem Zuschauer ein Wissen auf - um andere oder ums uns -, daß etwas für immer unvollständig oder ungenau bleiben wird: der Verlust der unschuldigen, reinen Gewißheit, es ließe sich auch nur irgendetwas in der Welt auf eine mit dem Verstand nachvollziehbare Weise begreifen. („Alte Kinder“ heute um 21 Uhr im Eiszeit.)

Die DDR- und UdSSR-Programme sind sehenswert, weniger aus filmischen oder inhaltlichen Gründen, sondern weil sie aus der DDR bzw. UdSSR kommen - und man vielleicht nicht erwartet hat, daß sich das Leben Jugendlicher im Sozialismus gar nicht so sehr vom kapitalistischen Werdegang unterscheidet: Das Privileg der Jugend sei die Ablehnung der bestehenden Welt, hat irgendwer mal gesagt, und der „Eiserne Vorhang“ ist immer noch gut genug, den Zeitgeist um ein paar Jahre zu verzögern.

Im sowjetischen Programm gibt es eine Öko -Umweltverschmutzungs-Dia-Show, depressive Jugendliche, die gegen MX- und SS-20-Raketen sind - und ein bißchen gefickt wird auch (allerdings nur auf der Tonspur). Diese Filme entstehen im „Untergrund“, werden Freunden und Bekannten im Wohnzimmer vorgeführt und wenden sich gegen den alten wie den neuen Staat.

Im DDR-Programm beeindruckt schon mal die Mischung aus Animations- und Realfilm (in Guten Tag, Berlin), dann wieder nerven endlos wiederholte Zeitlupenszenen oder das dämliche Synthezisergequake (in Rummel). Der hochgelobteste DDR-Film war im voraus nicht zu sehen: Mad Tristan, der sich auf den surrealistisch abgegriffenen Ausspruch Lautreamonts bezieht: „Schön wie die zufällige Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“. (DDR-Programm am Freitag um 24 Uhr im Arsenal).

Das Multimediafest in der Hasenheide präsentiert Musikgruppen, Peformancekünstler sowie Versuche der Vermischung von Filmbildern und Live-Tönen wie das Center for Intelligent Actions / C.I.A. des Mannheimers Hans -Dieter Huber, der jüngstens in einem Artikel die achtziger Jahre für beendet erklärte und forderte, „keine Filme mehr zu zeigen, die noch der Tradition der Achtziger verpflichtet sind“. Die Ankündigung seiner Performance liest sich dann allerdings wie ein best of aller postmodernen Plattheiten und Attitüden: „Wir arbeiten mit unseren Sounds draußen im Stadtraum, in verschiedenen environmental settings, in denen wir die bereits vorhandenen Umweltgeräusche und Bilder als Tapes und Projektionen ansehen. Aus den jeweiligen urban set-ups fließen Originalbilder, -gerüche und -geräusche als kontextueller Hintergrund in die von uns produzierten Sounds ein. Auf der anderen Seite färben die Sounds das entsprechende environmental set-up akustisch so ein, daß es beim Hörer/Zuschauer zu Imaginationsbildungen kommt, die zu einer Bedeutungsumänderung des environmental set-up und damit zu einer begrifflichen Neudefinition von Umweltkontexten führen kann.“ Alles klar? („Multimediafest“ am Samstag ab 16 Uhr in der Hasenheide.)

Dann gibt's noch den 60minütigen Heartbreak Hotel der Berliner Brigade Zeitgewinn, einen der wenigen langen, sehenswerten Super-8-Filme, sowie ein Programm von Schmelz Dahin, die nicht wissen, ob ihre Filme „unterhaltsam“ sind, aber die sie sich selbst mindestens 100mal angucken: die wohl aufregendsten und am weitesten abseits von herkömmlichen Filmformen stehenden (Film-)Forscher aus Bonn. („Schmelz Dahin“ am Freitag um 21 Uhr im Eiszeit.)

Leider wird das mittlerweile sechste Interfilm-Festival wohl das nach künstlerischen „Qualitäts„-Maßstäben beste Programm vorstellen, aber nicht mehr wie in den letzten Jahren ein Treffen und einen Überblick über die gesamte Super-8-Szene der BRD bieten können.

Durchaus verständlich, daß Leute, die seit Jahren unentgeltlich (mit einer kleinen Förderung des Berliner Senats zwar, die aber gerade mal die Unkosten deckte) Festivals organisiert haben, irgendwann die Lust dazu verlieren: Eigentlich sollte Interfilm in diesem Jahr denn auch nur aus der Open-Air-Veranstaltung in der Hasenheide bestehen, aber dann kam der Berliner Senat dazwischen: Wenn Sie dieses Jahr kein Geld für ein Festival nehmen, dann gibt's im nächsten Jahr auch keins mehr! Also nahmen Eiszeits das Geld und wollten mit möglichst wenig Aufwand etwas Vorzeigbares organisieren.

Interfilm VI ist kein Festival mehr, sondern eine über mehrere Tage verteilte, durchaus sehenswerte Programm -Zusammenstellung: Interfilm ist eine Institution geworden.

Torsten Alisch

Bis Sonntag im Eiszeit und Arsenal.