MARCIA PALLY

 ■  Der US-Wahlkampf als Massen-Karambolage

Die New Yorker Journalistin Marcia Pally ist in den USA als radikale Feministin bekannt und gleichzeitig als Chef -Filmkritikerin von 'Penthouse‘. Sie schreibt u.a. für 'The Village Voice‘, 'The Nation‘ und 'The New York Times‘. Und einmal im Monat in der taz, was Europäer über den Großen Bruder wissen sollten.

Die amerikanischen Gepflogenheiten beim Nominieren von Präsidentschaftskandidaten gleichen am ehesten einer Autobahnkarambolage. Das erklärt, warum Millionen Amerikaner aufhören, Seifenopern und Sportschauen zu sehen, um sich Menschenmengen anzuschauen, die sich gaffend um zwei moribunde Kerle in der Mitte scharen.

Wenn ich „moribund“ sage, meine ich die Art von Kandidat, die sagt, daß es im Wahlkampf „nicht um Ideologie, sondern um Kompetenz“ gehe. So Michael Dukakis in seiner Nominierungsrede. Also sind die Vereinigten Staaten, die Jungs mit den dicksten Brieftaschen und schwersten Waffen, dabei, einen Führer ohne Philosophie oder Vision zu wählen. Mein Buchhalter sucht auch noch einen Nebenjob.

Sogar die Vorbereitung auf dem Parteiforum der Demokraten, wo die Fraktionen ihre Differenzen in heftigen Debatten ausfechten sollen, war diesmal zum Einschlafen. Jesse Jackson versuchte, die Sache in Schwung zu bringen, indem er versprach, die Steuern für die Reichen zu erhöhen, keinen Gebrauch von den Atomwaffen zu machen, die Militärausgaben einzufrieren und einen Vorschlag für die Selbstbestimmung der Palästinenser auszuarbeiten. Aber das Bedürfnis nach Einheit siegte. Das Parteiforum der Demokraten fiel dieses Jahr so mau aus, daß sogar die 'New York Times‘, ein respektables Blatt, bemerkte, es sei das „kürzeste in 50 Jahren gewesen und so reibungslos verlaufen, daß es wahrscheinlich nur geringe Opposition derjenigen Demokraten und Unabhängigen hervorrufen wird, die 1984 für Reagan gestimmt haben.“

Politische Mandate, so kommt es mir vor, gleichen mehr und mehr der Bibel: Alle finden sie wichtig, keiner beachtet sie. Oder es ist wie bei der Monogamie: Nie war sie so wertvoll wie beim Seitensprung.

Weitere Nachrichten von der politischen Front:

-Der republikanische Senator Orin Hatch erzählte seinen Wählern, die Haftstrafe sei die gesellschaftliche Anerkennung der Unantastbarkeit menschlichen Lebens.

-Ein Richter des Obersten Gerichts in West Virginia feuerte seine Sekretärin, weil sie sich weigerte, seine Kinder zu hüten. Als Reporter ihn um eine Stellungnahme baten, antwortete der illustre Bevollmächtigte der demokratischen Justiz: „Ich brauche keine Erklärungen abzugeben. Ich bin auf Lebenszeit ernannt.“

-Präsident Reagan bekräftigte sein Festhalten am American Way of life mit folgendem Kommentar zu Dukakis Wahlkampf: „Also, wenn ich ihm lange genug zuhöre, werde ich mehr und mehr davon überzeugt, daß wir uns in einer Rezession befinden, daß Menschen obdachlos, ohne Essen und medizinische Versorgung sind und daß wir etwas gegen die Arbeitslosigkeit tun müssen.“

Dem Streit der Oberhäupter zum Trotz macht das amerikanische Volk weiter, wie üblich entschlossen und mit Mumm:

-In El Paso, Texas, wurde ein Gesetz verabschiedet, das verlangt, daß Oben-Ohne-Tänzerinnen bestimmte Partien ihres Körpers während der Vorstellung bedeckt halten müssen. Die Stadtväter versäumten jedoch anzugeben, welche Art von Bedeckung es zu sein hat. Die mutigen Mädels trugen Vaseline.

-Mit unternehmerischem Optimismus wendet die „Wear und Share“ GmbH die Aids-Krise zu ihrem Vorteil, indem sie verpackte Kondome als Ohrringe auf den Markt bringt. Das Grundmodell erscheint in rot, blau, gelb oder grün und ist im Einzelhandel für 4,50 Dollar erhältlich. Das Designer Modell mit Perlen und Glitter ist etwas teurer, 10 Dollar das Paar.

-Die Frauen von Westchester County, einem Vorort nördlich von New York City, wollen den Sexismus nicht länger hinnehmen. Sie haben kürzlich das „Präzisions-Drill -Rasenmäher-Männerteam“ zu einem Rennen gegen ihr neues Frauenteam „Einladende Einkaufswagen“ herausgefordert. Geschäftstüchtig, diese Mädels.

Aus dem Amerikanischen von Cornelia Jörgens