Birmas Diktator vereint die Opposition

■ Zum ersten Mal haben sich in Birma die städtische Opposition und die Befreiungsbewegungen der ethnischen Minderheiten verbündet / Landesweite Proteste gegen den neuen Diktator / von Rainer Hörig

Jahrelang war Birma, eingeklemmt zwischen den Kolossen China und Indien, fast ein weißer Fleck auf den Landkarten des Westens. Erst mit den jetzigen Massenprotesten gegen den neuen Diktator Sein Lwin änderte sich das schlagartig. Dabei herrscht in Birma seit über 20 Jahren Krieg. Bereits kurz nach der Unabhängigkeit von den Briten rebellierten ethnische Minoritäten gegen die Zentrale in Rangun, seit die Militärs sich 1962 an die Macht putschten, herrscht Sezessionskrieg. Nach letzten Informationen haben sich jetzt die Guerillaverbände an der Peripherie des Landes mit der städtischen birmanischen Opposition verbündet. Damit scheint es eine echte Chance zu geben, die Diktatur zu stürzen.

Marschmusik und Blitzgewitter mitten im Dschungel. Etwa 200 schlecht ausgerüstete Soldaten paradieren mit Pauken und Trompeten zwischen Urwaldriesen und Bambushütten. In ihrem unter gewaltigen Bambusstauden versteckten Hauptquartier nahe der Grenze zu Thailand begeht die „Neue Mon Staatspartei“, die Befreiungsbewegung des Mon-Volkes, ihren Nationalfeiertag. Emotionslos hält der Parteipräsident Nai Non La seine Festrede vor angereisten Bauern, Mönchen und einigen ausländischen Journalisten. Neben dem Rednerpodium sitzen mit steinernen Mienen die Vertreter der Befreiungsorganisationen anderer Minderheitenvölker. Im nahen Dorf patrouillieren schwerbewaffnete, wüst dreinblickende Soldaten. Einige von ihnen sind nicht einmal 15 Jahre alt. Der nun fast 40 Jahre anhaltende Dschungelkrieg gegen die Minoritätsvölker in den Bergen hat ganz Birma ausbluten lassen. Mit diesem Krieg rechtfertigt die Armee ihre dominierende Rolle in Staat und Wirtschaft. Die Kämpfe verschlingen etwa 40 Prozent aller Staatsausgaben.

Im Gegensatz zu offiziellen Angaben machen die Minderheiten etwa die Hälfte der Gesamtbevölkerung Birmas aus. Die Karen, die in den Bergen östlich von Rangun leben, führen seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1949 einen bewaffneten Kampf um Selbstbestimmung. Andere Minderheiten griffen erst unter der Diktatur Ne Wins ab 1962 zu den Waffen. Nachdem sich die Guerillaverbände verschiedener Völker jahrelang auch untereinander bekämpft hatten, gründeten 1975 zehn von ihnen die „Nationale Demokratische Front“.

Im Zentralpräsidium ist jedes Volk mit einer Stimme vertreten. Aufgrund ihrer militärischen Stärke geben aber die Befreiungsbewegung der Katschin (K.I.O., 8000 Kämpfer) und die Nationalunion der Karen (K.N.U., 4000 Soldaten) den Ton an. Insgesamt hält die NDF 16.000 Männer unter Waffen, und ist damit die bedeutendste oppositionelle Kraft in Birma.

„Schlächter von Rangun“

Parallel zu dem seit Jahrzehnten andauernden Guerillakrieg zwischen den ethnischen Minderheiten und der Militärdiktatur in Rangun, kam es auch im birmanischen Kernland zu sporadischen Protesten, vor allem der Studenten, gegen das Regime.

Bereits 1962, bald nach dem Putsch des Genrals Ne Win, gingen die Ranguner Studenten auf die Straße. Die Beerdigung des ehemaligen UNO-Generalsekretärs U Thant rief 1974 wieder Studentenproteste hervor. Im September 1987 demonstrierten sie gegen die katastrophale Wirtschaftslage. Im März und Juni 1988 erlebte Rangun abermals große Studentenproteste, die gegen die brutale Unterdrückung jeglicher Opposition gerichtet waren. Als Reaktion auf die letzten Unruhen im Juni, bei denen über 200 Demonstranten getötet worden sein sollen, rief der greise Diktator Ne Win Ende Juli einen Sonderparteitag ein, dem er seinen Rücktritt anbot. Für kurze Zeit keimte in der Bevölkerung die Hoffnung auf einen Kurswechsel der Regierung auf. Die Berufung von Sein Lwin zum neuen Parteichef und Präsidenten aber, eines Mannes, der als „der Schlächter von Rangun“ für die blutige Unterdrückung der letzten Proteste verantwortlich ist und als der bestgehaßte Mann Birmas gilt, zerstörte alle Aussichten auf eine politische Wende. Daher kam es bei den jüngsten Demonstrationen zu einer breiten Solidarisierung aller gesellschaftlichen Schichten einschließlich von Teilen des buddhistischen Klerus. Zum ersten Mal auch weiteten sich die Unruhen auf das ganze Land aus. Das despotische Militärregime ist ernsthaft bedroht.

Aus Furcht vor der berüchtigten Polizeitruppe Lon Htein, die für die blutige Niederschlagung der letzten Aufstände verantwortlich ist und vom neuen Präsidenten Sein Lwin geführt wird, verzichten die Studenten auf eine feste Führungsstruktur.

Auch ihre Demonstrationen werden dezentral organisiert und durchgeführt, um den Soldaten nicht zuviel Angriffsfläche zu bieten. „Sie wollen die alte Studentenbewegung, die Ne Win zerschlagen ließ, wieder als politische Kraft etablieren“, sagt der Arzt und Missionar Dr. Steve Morse, ein Repräsentant der Katschin-Befreiungsbewegung K.I.O., der sich in diesen Tagen in der Bundesrepublik aufhielt. „Es gibt unseres Wissens außer der NDF keine politische Organisation, die die Studenten offen unterstützt. Sicher sympathisieren viele Persönlichkeiten aus dem Lager des von Ne Win gestürzten Präsidenten U Nu mit den Studenten, ebenso einige pensionierte Offiziere und ehemalige Diplomaten. Aber sie alle halten sich aus verständlichen Gründen von öffentlichen Auftritten fern.“

Einer, der sich zu weit vorgewagt hatte, sitzt seit mehr als einer Woche im Gefängnis. Der pensionierte General Aung Gyi, ehemaliger Kampfgefährte Ne Wins, kurz nach dessen Machtübernahme aber kaltgestellt, hatte es gewagt, in mehreren kritischen Briefen an den greisen Diktator eine Korrektur der politischen Richtung zu empfehlen. In den ersten Augusttagen kursierten diese Briefe als Flugblätter in den Straßen der Hauptstadt. Der mutige Ex-General ist zu einer Symbolfigur der Studenten geworden.

Metropole und Peripherie

Unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse haben die Studentenführer Kontakt zur NDF aufgenommen. Damit zeichnet sich zum ersten Mal in der Geschichte der Militärdidaktur eine breite Front aller oppositionellen Kräfte des Landes ab. Die NDF hat eine Offensive in den Bergen angekündigt, um möglichst viele militärische Kräfte dort zu binden. Außerdem hat sie gedroht, angesichts des brutalen Vorgehens des Militärs gegen unbewaffnete Demonstranten - nach inoffiziellen Schätzungen sind in den letzten zwei Wochen mehr als 200 Demonstranten von Sicherheitskräften erschossen worden - die Studenten mit Schußwaffen auszurüsten. Allerdings dürfte allen Beteiligten klar sein, daß die Opposition in den Städten bei militanten Auseinandersetzungen mit der bürgerkriegserprobten Armee in jedem Fall den Kürzeren ziehen wird.

In den nächsten Tagen schon will die NDF auch in den Minderheitengebieten zu Demonstrationen gegen das Militärregime aufrufen. Immerhin kontrolliert die Rebellenfront fast die Hälfte des Landes, nämlich die Bergregionen, die die fruchtbare zentrale Tiefebene hufeisenförmig umschließen. Die verschiedenen Kampfverbände üben auch an Birmas Grenzen zu Indien, China und Thailand die Macht aus. Ihre Einnahmen stammen aus Zollabgaben der zahlreichen Schmuggler, die Teakholz, Edelsteine und Opium nach China und Thailand verkaufen und Lebensmittel, Kleidungsstücke und Luxusgüter über die verschlungenen Dschungelpfade zu den birmanischen Märkten schleppen. Die Organisationen der NDF erheben in den von ihnen kontrollierten Gebieten Steuern, mit denen nicht nur der militärische Kampf, sondern auch Schulen und medizinische Einrichtungen finanziert werden.

Die Waffen der Guerillaverbände stammen nach Angaben der NDF aus erbeuteten Armeebeständen oder aus Einkäufen in Thailand. Die Aufständischen bestreiten, Waffenhilfe aus dem Ausland zu erhalten. Panzer oder schwere Artillerie gehören nicht zur Ausrüstung ihrer Kampfverbände.

Unruhe in der Truppe

Im Jahr 1986 vereinbarte die NDF eine begrenzte Zusammenarbeit mit der Kommunistischen Partei Birmas, CPB, die von der Volksrepublik China unterstützt wird und 10.000 Soldaten befehligt. Nach vielen Jahren erbitterter Feindschaft arbeiten beide Gruppen trotz unterschiedlicher Ideologien nun militärisch zusammen. Die birmanische Armee, Mannschaftsstärke 180.000 Mann, sieht sich also einer vereinten Front von 26.000 Guerilleros gegenüber.

Dazu kommt, daß in Rangun Gerüchte über eine wachsende politische Unzufriedenheit innerhalb des Militärs kursieren. Vor wenigen Tagen trat in einer Rundfunksendung ein Offizier auf, der die Moral der gegen die Karen und andere Minderheiten kämpfenden Truppen als sehr niedrig beschrieb. Manche Soldaten seien nicht mehr bereit, für dieses Regime zu kämpfen. Im Nordosten sollen einzelne Offiziere Befehle zum Niederwerfen von Protesten mißachtet haben. Dr. Steve Morse bestätigt: „Es gibt Anzeichen dafür, daß eine Gruppe junger Offiziere, also Kommandeure von Brigaden und Bataillionen, zu einer ernstzunehmenden oppositionellen Kraft heranwachsen könnte. Bis heute gibt es aber keine definitiven Beweise.“