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Nippon verbeugt sich vor den Kriegsverbrechern

Am 43.Jahrestag der Kapitulation ehren die Japaner vor dem Yasukuni-Schrein gefallene Soldaten und Kriegsverbrecher / Auch Regierungsmitglieder besuchten den Schrein / Kaiser „Tenno“ Hirohito genießt noch immer den Respekt des Volkes  ■  Von C.Yamamoto / G.Blume

Am 43.Jahrestag der Kapitulation ehren die Japaner vor dem Yasukuni-Schrein gefallene Soldaten und Kriegsverbrecher / Auch Regierungsmitglieder besuchten den Schrein / Kaiser „Tenno“ Hirohito genießt noch immer den Respekt des Volkes

Von C.Yamamotto / G.Blume

Tokio/taz - Nur wenige Schritte vom Yasukuni-Schrein in Tokio entfernt steht das Shirayuri-Mädchengymnasium. Noch heute tragen die Schülerinnen die gleiche, enge Uniform, in die sich vor 50 Jahren Frau Nakonano zwängen mußte. „Jeden Tag morgens und abends, wenn die Straßenbahn hier am Yasukuni-Schrein-Tor vorbeikam, hielt der Schaffner die Bahn an, und wir mußten uns alle in Richtung des Schreins verbeugen“, erzählt die 63jährige Frau Nakano aus ihrer Schulzeit, damals war der Nippon-Imperialismus auf dem Höhepunkt seiner Macht. Weite Teile Chinas, Koreas, Südostasiens und des Pazifiks standen unter japanischer Flagge.

Minister ehren

Militärfaschisten

Am 15.August jährte sich die japanische Kapitulation zum 43.Mal. Das Verbeugungsgebot für die Shirayuri-Mädchen ist inzwischen zwar aufgehoben, der Yasukuni-Kult aber lebt fort. Gleich neun Minister treten am Jubiläumstag zur offiziellen Staatsverbeugung vor Nippons größten Kriegsverbrechern an. Denn niemand geringeres wird an diesem Ort verehrt: Denjenigen sei der Schrein gewidmet, die sich seit der Öffnung Japans gen Westen (1867) „als Fundamentsteine für die Entstehung des modernen Japans geopfert haben“, heißt es in der Verlautbarung der Schrein -Gläubigen. Zu diesen Opfern werden von den Yasukuni -Pilgern, deren Anzahl die Schreinwächter in jedem Jahr auf acht Millionen beziffern, jedoch nicht nur die einfachen Soldaten gezählt, die in Nippons Eroberungskriegen ihr Leben lassen mußten, sondern ebenso die meisten Verantwortlichen des japanischen Militärfaschismus im Zweiten Weltkrieg.

Nationale Schweigeminute

Auch in diesem Jahr schweigt am 15.August um 12Uhr mittags das Land still: der Kriegsführer von damals, Kaiser „Tenno“ Hirohito ist zur staatlichen Gedenkfeier der japanischen Kriegsgefalllenen im Zweiten Weltkrieg in der Tokioter Budokan-Halle vor dem Volk erschienen. Das Fernsehen überträgt live. Nach der landesweiten Schweigeminute liefert der 87jährige Greis dem Land die kaiserliche Version der japanischen Vergangenheitsbewältigung: „Am heutigen Tag erinnern wir uns der Kriegsgefallenen und gedenken dem Frieden. Noch heute schmerzt es mich, wenn ich an die vielen Menschen denke, die im Krieg gestorben sind. Die Zeit vergeht so schnell. Seit Kriegsende sind 43 Jahre vergangen. In diesen Jahren hat sich die Nationale Kraft durch die Bemühungen des Volkes entwickelt, aber wenn ich an damals denke, bin ich tief betroffen. Hier bete ich mit dem ganzen Volk zusammen für die Entwicklung meines Landes und den Frieden in der Welt. Ich erinnere mich von Herzen.“ So spricht der Tenno - hier ungekürzt - seit 1945. Zuvor war er Gott. Vor 43 Jahren hatte Hirohito persönlich seinem Volk in einer Rundfunkansprache die Niederlage seines Landes verkündet. Es war das erste Mal, daß die Japaner damals die Stimme ihres Tennos gehört hatten. Seine Teilnahme an den alljährlichen Gedenkfeiern im Tempel von Budokan ist gleichzeit Hirohitos wichtigster öffentlicher Auftritt seit seiner Operation im September 1987.

Die Gedenkzeremonie offenbart den Charakter des politischen Systems: Noch bevor Premierminister Takeshita die Gestorbenen ehrt, schreitet er zur Verbeugung vor den Kaiser. Später redet Takeshita zum offenen Saal an die Gäste - der Tenno aber spricht mit dem Rücken zum Volk. Schließlich bleibt dem Fernsehansager kaum mehr Zeit zum Kommentar: „Der Kaiser hat abgenommen, aber es geht ihm gut. „Schon ist der ehemalige Kriegsherr wieder verschwunden.

Kein Wort zur Befreiung

vom Faschismus

Die Japaner gaben dem 15.August einen scheinbar unbedeutenden Namen: „Der Tag, an dem der Krieg zu Ende ging.“ Von Kapitulation, vom verlorenen Krieg, geschweige denn von der Befreiung vom Faschismus ist weder im Volksmund noch in Presse und Fernsehen die Rede.

Menschen, die anders sprechen und denken, sind schwer zu finden. Schwerer Taifunregen ergießt sich gegen Mittag über Tokio. Vielleicht bleibt deshalb die Suche nach den japanischen Kommunisten erfolglos, die sich sonst jedes Jahr, zwei- oder dreihundert an der Zahl zur Gegenveranstaltung im Stadtpark des Tokioter Bunkyo-Viertels versammeln. Bunkyo gilt in Tokio als linker, gewerkschaftstreuer Intellektuellenbezirk. Doch die von der Stadt in diesem Jahr erstmals auch in Bunkyo organisierte Zeremonie für die Kriegsgefallenen verläuft im Regen ohne Zwischenfälle. Das kommunistische Kriegsgedächtnis hat in Japan keinen Kommemorationsort.

Frauen für den Frieden

Etwas weiter im Süden Tokios, beim Shibuya-Bahnhof, hat der 15.August endlich ein weniger schweigsames Gesicht. Zwei Lautsprecherwagen stehen nebeneinander - die Megaphonstimmen zerbrechen aneinander. Hier versucht eine „Frauen -Bürgerinitiative Tokio“ die Passanten auf einen Weg zu weisen, „der den Krieg nicht erlaubt“, während von dem Wagen gegenüber Rechtsradikale zum Gegenprotest aufrufen. Die wollen den letzten Krieg heiligsprechen und den Yasukuni -Schrein in ein Staatsdenkmal verwandelt sehen. Rechtsradikale und Friedensfrauen stehen gleichermaßen am Rande der in trüber Tenno-Sympathie versunkenen Gesellschaft.

„Ich bin 1926 geboren und war am 15.August 1945 19 Jahre alt. Seitdem habe ich zwei Geburtstage“, erzählt dennoch, scheinbar unbegrochen, Nobuko Shimada, von der Frauen -Bürgerinitiative. „Vor dem 15.August 1945 habe ich nur physisch gelebt, wurde nach den Kriegsgesetzen erzogen. Deswegen ist es für mich so wichtig, am heutigen Tag aktiv zu sein. Auch wenn wir nicht zahlreich sind. Dieser Tag gibt mir immer neue Kraft.“ Ganz offensichtlich gibt dieser Tag nicht allen Japanern die gleiche Kraft. „Die Kapitulation am 15.August bedeutet für mich, daß ich alles verloren habe. ( . . . ) Den Krieg zu verlieren macht alle Leute traurig“, steht es auf einer vor dem Yasukuni-Schrein aufgestellten Wandtafel geschrieben, die den Brief eines sterbenden Soldaten aus dem Jahr 1945 zitiert.

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