Politik mit lockeren Schrauben

■ Im Druckbehälter des AKW Brokdorf vagabundieren Blechteile: eine Ausstiegshilfe für die SPD?

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel kam am Dienstag die Entscheidung des neuen Kieler Energieministers Günther Jansen (SPD). Ein Gutachten des Technischen Überwachungsvereines (TÜV) reichte dem ehemaligen SPD -Landesvorsitzenden, um das Kernkraftwerk Brokdorf an der Unterelbe vorläufig stillzulegen. Jansens Schritt untermauert konsequent die bekannte Haltung der SPD -Landesregierung: Ausstieg aus der Kernenergie. Innerhalb von zwei Legislaturperioden, also bis zum Jahr 1996, will Kiel „den Betrieb der Atomkraftwerke beendet haben“, verkündete Ministerpräsident Björn Engholm in seiner Regierungserklärung am 28.Juni. Den 54,8-Prozent-Erfolg bei der Landtagswahl nannte er ein „demokratisches Mandat für eine andere Energiepolitik“. Überraschend kam die jetzige Entscheidung dennoch, denn es war nicht abzusehen, daß Jansen ohne lange Vorbereitung bereits den ersten Schlagabtausch mit der Energiewirtschaft suchen würde.

Im Bonner Umweltministerium ist zum Vorgehen Jansens keine detaillierte Stellungnahme zu erhalten. Umweltminister Töpfer weilt zur Zeit im Urlaub. Sein Pressesprecher Huthmacher erklärte der taz, der Kieler Energie- und Sozialminister habe Töpfer in einem Brief seine Entscheidung angekündigt und um Weisungen und Stellungnahmen gebeten. Im Bonner Umweltministerium müßten jetzt die Bedenken Jansens geprüft werden. Weiter sei zu überlegen, ob die Reaktorsicherheitskommission eingeschaltet werden müsse. Dann erst sei mit einer Stellungnahme des Umweltministeriums als Aufsichtsbehörde zu rechnen. Auf die Frage, ob das Vorgehen Jansens im Töpfer-Ministerium als Hebel zum Ausstieg aus der Atomenergie gesehen werde, erklärte Huthmacher: „Das will man einem Landesminister doch nicht unterstellen“.

Bei der CDU/CSU stieß das Vorgehen Jansens auf Kritik. Ihr energiepolitischer Sprecher Ludwig Gerstein erklärte, wenn es zutreffen sollte, daß Jansen die Wiederinbetriebnahme von Brokdorf nur deshalb verweigere, um sich von Töpfer eine Weisung geben zu lassen, dann handele die SPD -Landesregierung unseriös.

Für die Hamburger Electricitätswerke (HEW) erklärte deren Sprecher Altmeppen, aufgrund der günstigen Witterungslage sei die „Versorgungssicherheit“ in Hamburg nach wie vor gewährleistet. Allerdings entstünden durch „Brennstoffverlagerungskosten“ dem Hamburger Energieunternehmen wöchentlich Unkosten von 200.000 Mark. Da die HEW am AKW Brokdorf nur mit 20 Prozent beteiligt ist, beläuft sich die Summe der Gesamtkosten auf etwa eine Million Mark pro Woche. Die HEW teile zwar die Philosophie „Sicherheit geht vor Wirtschaftlichkeit“, so Altmeppen, aber in diesem Fall habe sie sich der Meinung der TÜV-Gutachter und des Brokdorf-Mehrheitsaktionärs „Preussen-Elektra AG“ (PREAG) angeschlossen: Danach sollen die im Reaktorbereich festgestellten Mängel nicht sicherheitsrelevant sein. Juristische Schritte gegen die Entscheidung des Kieler Energieministers Jansen seien von der HEW nicht zu erwarten: die Geschäftsführung für das AKW Brokdorf liegt in Händen der PREAG.

Mit einer Million Mark zusätzlicher Unkosten werde es wohl nicht getan sein, errechnete gestern auf Nachfrage der taz der Sprecher der Peussen-Elektra, Carl-Peter Rühland. So müsse man jetzt zur Energiegewinnung zusätzlich Gas einsetzen, die Höhe der Kosten hängt unter anderem von der Dauer der Stillegung ab.

Von sieben AKWs, aus denen das niedersächsische Unternehmen Energie bezieht, stehen derzeit drei still: neben Brokdorf auch die AKWs Brunsbüttel und Unterweser. Und so hofft Rühland, „daß das nicht lange dauert“. Erwartet werde eine baldige Entscheidung des Bonner Umweltministers. Daß sich an der Weigerung Jansens, den Brokdorf-Meiler wieder ans Netz gehen zu lassen, ein längerer politischer und juristischer Konflikt entzünden könnte, glaubt er nicht. Für ihn hat Jansen „aus seiner Sicht eine technische Entscheidung“ getroffen.Wolfgang Gast

Komplizierter Rechtsstreit

Ein simpler Verwaltungsakt der schleswig-holsteinischen Landesregierung ist die Rechtsgrundlage, wenn das AKW Brokdorf jetzt erst einmal ruht. Wie der Sprecher des zuständigen Energie- und Sozialministeriums Michael Weidemann mitteilt, beinhaltet die Betriebsgenehmigung für das Atomkraftwerk nämlich die Verpflichtung, nach jedem Brennelementwechsel die Genehmigung zur Wiederinbetriebnahme des Reaktors einzuholen. Wenn die Genehmigungsbehörde diese aufgrund von Sicherheitsbedenken verweigere, ist das ein Verwaltungsakt. Damit steht eine juristische Auseinandersetzung um das Wiederanfahren des Reaktors bevor. Dabei gibt es nach Auskunft des Hamburger Rechtsanwalts Winfried Günnemann, der seit 1976 die Kläger vor Ort vertritt, zwei mögliche Szenarien:

Entweder: Die Betreibergesellschaft Preussen Elektra erhebt vor dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg Klage, die die Landesregierung verpflichten soll, die verweigerte Genehmigung doch zu erteilen („Verpflichtungsklage“). Gleichzeitig können die Betreiber vor dem gleichen Gericht versuchen, eine einstweilige Verfügung durchzusetzen, um das AKW schon vor der Entscheidung über die eigentliche Klage wieder in Betrieb nehmen zu können. Dies hält Günnemann für den „schlaueren und direkteren Weg“.

Oder: Das Bundesumweltministerium weist die schleswig -holsteinische Landesregierung an, die Genehmigung zu erteilen. Diese Weisung nun kann dann die Landesregierung befolgen - oder sie auch mißachten und stattdessen vor dem Bundesverfassungsgericht dagegen klagen. Im letzteren Fall habe, so erläutert Sünnemann, der Bundesumweltminister keine Möglichkeit, seine Weisung umzusetzen, da die Landesregierung nach dem Atomgesetz die ausführende Behörde sei und die Beamten dort „ihren“ Ministern verpflichtet seien. Von der Möglichkeit des Bundeszwanges könne Töpfer keinen Gebrauch machen, solange die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig sei.

Während hier die schleswig-holsteinische Landesregierung in der Position ist, die Stillegung juristisch verteidigen zu müssen, wird sie demnächst in einem anderen Gerichtsverfahren das AKW verteidigen müssen. Am 21.September nämlich wird vor dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg über eine Klage gegen die Betriebsgenehmigung für Brokdorf entschieden. Beklagter: das Land Schleswig -Holstein. Er sei gespannt, wie die Vertreter des Landes dann argumentieren werden, freut sich jetzt schon Günnemann, der den Kläger vertritt.

Gunnar Glock