piwik no script img

Denkzettel für Koschnick & Wedemeier

■ SPD-Unterbezirk West gegen Raumfahrt-Milliarden: „Auf der Erde gibt's genug zu tun“ / Kritik am Bürgermeister und seinem Amtsvorgänger Koschnick, Lob für Raumfahrt-Kritiker Scherf

„Hans Koschnick verliert im Bremer Westen seine Basis, Bürgermeister Wedemeier hat einen Denkzettel gekriegt.“ So interpretiert ein Delegierter einen Beschluß des SPD -Unterbezirks West, in dem bemannte Weltraumprojekte nachdrücklich abgelehnt werden. Mit deutlicher Mehrheit hatten die Genossen am Donnerstag abend einem Antrag des SPD -Ortsvereins Neustadt zugestimmt, in dem es unter anderem heißt: „Wir haben auf der Erde genug zu tun. Wir brauchen keine bemannten Raumstationen, um die Katastrophen beispielsweise in der Nordsee zu beobachten.“ Den Bremer Senat forderten die Delegierten auf, seine Zustimmung zu den Raumfahrtpro

jekten „Columbus“ und „Hermes“ wieder zurückzunehmen. Begründung: „Das Columbus-Projekt der Amerikaner dient offensichtlich militärischen Zwek ken; das französische Projekt Hermes ist Bestandteil der Rüstungspolitik der Franzosen.“ Und: „Die Raumfahrtprojekte werden mindestens ein Drittel, eher die Hälfte aller Forschungsmittel des Bundesministeriums für Forschung und Technologie in Anspruch nehmen. Das ist der falsche Weg.“ Richtiger fänden die Genossen, wenn die Raumfahrt-Millionen in Projekte zur „Humanisierung der Arbeitswelt“, die Erforschung regenerativer Energiequellen oder die Entwicklung umweltfreundlicher

Verkehrsmittel fließen würden.

Besondere Pikanterie des Beschlusses: Bremens Ex -Bürgermeister Hans Koschnick, dem die West-Genossen nach seinem Rücktritt zu einem Bundestags-Mandat verhalfen, hatte in Bonn für die Raumfahrtprogramme der Bundesregierung gestimmt. Ebenso wie seine beiden Bremer Amtskollegen, Waltemathe und Grunenberg, lehnte Koschnick einen Antrag der SPD-Bundestagsfraktion gegen die Raumfahrt-Träume von Forschungsminister Riesenhuber ab und stimmte mit der Bonner CDU.

Die drei abtrünnigen Bremer befanden sich damit exakt auf der Linie von Bürgermeister Klaus Wedemeier: Auch Wedemeier

hatte bei der Kontroverse um Raumfahrtprogramme mehr an MBB und ERNO gedacht als an sozialdemokratische Grundsatzerklärungen zu bemannter Raumfahrt und SDI. Im November schickte Wedemeier eine Senats-Erklärung nach Bonn, in der die Raumfahrtpolitik der CDU-Bundesregierung ausdrücklich begrüßt wurde. (vgl. taz vom 21.3.)

Mit dreivierteljährlicher Verspätung kritisierten die Delegierten des SPD-Unterbezirks West am Donnerstag nicht nur diesen Beschluß. Indirekt nahmen sie Stellung zu einer Kontroverse zwischen dem Bürgermeister und seinem Stellvertreter Henning Scherf. Ähnlich wie die Delegierten jetzt hatte Scherf schon im Se

nat auf die Vordringlichkeit sozialer, arbeitsmarktpolitischer und ökologischer Investitionen hingewiesen. Daher hätte der Senat eigentlich schon im Januar erneut über seine Haltung zur Raumfahrt und ihren Milliardenkosten nachdenken sollen. Diese Debatte hat bis heute nicht stattgefunden. Nötig dürfte sie spätestens werden, wenn der nächste SPD-Landesparteitag sich mit dem Beschluß der West-Genossen auseinandergesetzt hat. Bis dahin wird der SPD-Unterbezirk Ost höchstwahrscheinlich ähnlich kritische Töne zur Raumfahrt gefunden haben, um den Senat per Landesparteitags-Beschluß zu einer Revison seiner Haltung zu bewegen.

K.S.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen