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„Meine Tochter könnte noch leben!“

■ Bremer Angehörige der beim Polizei-Einsatz ums Leben gekommenen Silke Bischoff wollen gegen Polizei und Politiker wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung klagen / Mutter: „Polizei spielte 'Wilder Westen'“

„Meine Tochter könnte noch leben.“ Karin Remmer, Mutter der 18jährigen Silke Bischoff, die am Freitag das Ende des blutigen Geiseldramas mit dem Leben bezahlte, ist überzeugt, daß vor allem verhängnisvolle Fehler der Polizei und der verantwortlichen Politiker schuld am Tod ihrer

Tochter sind: „Die Polizei hat total versagt!“ Gemeinsam mit weiteren Angehörigen will die Mutter, die in Bremen -Blockdiek wohnt, jetzt eine Klage gegen die Einsatzleiter der Polizei in Bremen und Nordrhein-Westfalen anstrengen. Gerold Bischoff, ein Verwandter Silkes und selbst

Rechtsanwalt, hat die erforderlichen rechtlichen Schritte inzwischen eingeleitet. Bei der Generalstaatsanwaltschaft Köln ging gestern eine Anzeige wegen des Verdachts des „bedingt vorsätzlich begangenen Totschlags“ bzw. „der fahrlässig herbeigeführten Verursachung des To

des“ ein. Zur Begründung heißt es in dem Schriftsatz der Anzeige: „Der angeordnete unkontrollierte Schußwaffengebrauch nahm den Eintritt des Todes einer der beiden Geiseln in Kauf.“

Zum Zweck der Klage erklärte Silke Bischoffs Mutter gegenüber der taz: „Die Öffentlichkeit soll genau erfahren, welche Fehler gemacht wurden. So etwas darf sich nie wiederholen.“

Punkt 1 des polizeilichen Versagens in den Augen der Mutter: Wie konnte die Bremer Polizei überhaupt zulassen, daß in ihrer Anwesenheit Bankräuber den Bus kaperten, in dem Silke Bischoff und ihre Freundin Ines Voitle am Mittwoch abend nach Hause fuhren? Warum wurde der Busfahrer nicht rechtzeitig gewarnt? Warum wurde die Weiterfahrt nicht angeordnet, solange die Geiselnehmer noch in einem türkischen Gemüsegeschäft waren?

Punkt 2: Warum wurde an der Autobahn-Raststätte Grundbergsee die Freundin eines der Geiselnehmer verhaftet und damit die Bankräuber provoziert, da der Polizei klar war, daß die beiden Haupttäter nicht gleichzeitig gefaßt werden konnten? Karin Remmer: „Ich bin sicher, auch der italienische Junge könnte noch leben!“

Punkt 3: Warum hielt sich die Polizei nicht an die Absprachen mit den Geiselnehmern? Warum mißachtete sie die inständige Bitte von Silke Bischoff, die Verfolgung des Fluchtautos mit Hans-Jürgen Rösner, Dieter Degowski, Marion Löblich und den beiden

Unschuldigen, Silke Bischoff und Ines Voitle an Bord, einzustellen. Noch um 13.30 hatte Silke Bischoff in der Kölner Fußgängerzone vor laufenden Fernsehkameras eindringlich an die Polizei appelliert, die Gangster vorerst laufen zu lassen. Ines Voitle, die inzwischen aus dem Krankenhaus entlassen wurde und sich am Samstag im Kreis von Silke Bischoffs Angehörigen aufhielt, bestätigte den Eltern ihren Eindruck: „Wenn die Polizei sich an die Absprachen gehalten hätte, hätten wir eine Chance gehabt.“ Stattdessen stoppte die Polizei das Fluchtauto auf der Autobahn Köln Bad Honnef gewaltsam. Karin Remmer: „Die Polizei hat 'Wilder Westen‘ gespielt und den tödlichen Ausgang dieses Spiels in Kauf genommen.“

Punkt 4: Warum informierte die Polizei die besorgten Angehörigen nicht über den geplanten Einsatz. Warum fällte die Polizei einsame Entscheidungen, wissend, welches Risiko sie damit für die Geiseln einging? Warum schließlich mußten die bangenden Eltern selbst nach dem Einsatz und seinem tragischen Ausgang stundenlang warten, ehe die quälende Ungewißheit zu schrecklicher Gewißheit wurde. Karin Remmers: „Drei Stunden nach ihrem Tod wußten wir noch immer nicht, ob Silke die verletzte oder die tödlich getroffene Geisel war.“ Derweil, so Silke Bischoffs Onkel Wolfgang Bischoff, „hat man Silke vier Stunden lang auf der Straße herumliegen lassen. Wie ein Stück Vieh.“

K.S.

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