BRIEFTRÄGER PASSAGEN

■ „3-D-Schatteninszenierung für eine Nacht“

Ende der siebziger Jahre gab's mal 3-D-Filme im Fernsehen. Langweilige Sachen, für die 'Hör -Zu‘ und Optiker wochenlang mit dem Erfolg Reklame gemacht hatten, daß nicht jeder, der eine 3-D-LSD-Hip-Hop-Brille haben wollte, die auch bekam. So auch hier, in der alten Potsdamer Straße zwischen Mauer und StaBi, wo Folke Hanfeld und Nanae Suzuki ihre „Briefträgerpassagen“ („passages des courriers“) als Stattmusik aufführten.

Einige der Zuschauer haben rot-grüne Brillen abgekriegt, andere nicht, aber alle leiden unter dem Regen und jeder hat seinen „Regenschirm vergessen“ (Nietzsche). Statt „Geräusche und Signale der Außenwelt“ gab es Regentropfenglucksmusik, Geknarre, Geklötere, Gemrkse, Gekrkse und Schatten, die vor der Leinwand daherspazierten.

Bebrillt sieht man den dreidimensionalen Scherenschnitt eines fahrradschiebenden Hamilton-Mädchens, eine Palme auf ihrem Gepäckträger und den sie umschwärmenden Studenten (Bril- le!). Verliebt und verlobt.

Die Schatten spazieren in einem imaginären Raum zwischen Leinwand und Zuschauer. Der Fluchtpunkt liegt hinter den als -hätten-sie-was-geraucht Kieksenden und Kichernden, so daß die Radfahrerin, die vor dem Studenten steht, kleiner ist als er; um so kleiner, je weiter sie vor ihm steht. Durch technische Zaubereien schweben beide Schatten, und je weiter einer nach vorne kommt, desto luftiger schreitet er.

Besonders gut läßt sich dieser Effekt einer umgekehrten Perspektive mit dem Radel demonstrieren: Das Vorderrad, das auf den Zuschauer zufährt, ist kleiner als das Hinterrad. „Hierzu einige technische Details: Eine rund 5x2 Meter große Leinwand wird von einem roten und einem grünen Scheinwerfer angestrahlt. Wenn die Akteure in das Licht treten, werfen sie einen roten und einen grünen Schatten, die sich in einem schwarzen Kernschatten vereinigen. Das Publikum beobachtet die Szene auf der Rückwand der Leinwand, womit es den Eindruck erhält, die Schatten der Akteure befänden sich als Körper diesseits der Leinwand von ihr losgelöst im Raum.“ (Pressemitteilung)

Wie weit können sich die Schatten todesmutig, denn sie verlieren dabei an Substanz, in unsere Welt bewegen? Ein Zuschauer vor mir wird von dem Puppenmädchenschattenkörper mit ihrem Puppenmädchenschattenrad überfahren und sinkt in sich zusammen. Kurz bevor sie mich erreicht, kommt allerdings wieder Vernunft in meinen Kopf; der winzige Schatten schlägt um in den wahren, großen, der da auf der Leinwand ist und bleibt.

Das war's. Nicht viel in dieser halben Stunde, auch recht hübsch, wie die Tricks damals im Physiklabor. Nach anfänglichem Glucksen und Kichern schlagen gelangweilte Zuschauer vor, die Künstler sollten Saltos machen oder Sackhüpfen. Keine Spur vom großspurig angekündigten Deja-vu -Effekt, „wo Erinnerung und Imagination verschwimmen“ (Pressemitteilung). Danach gehen die Künstler in die Bar für Künstler; „Lebenskünstler, wa?“ quäkt jemand dazwischen.

Detlef Kuhlbrodt