Orpheus in der Unterwelt

■ Gestern besuchte eine Abordnung des Bundesinnenministeriums das Gerd-Marcks-Haus am Wall: 700.000 hübsche Mark für einen hübschen Ausbau

Frau Dr. Martina Rudloff ist wahrhaft eine Dame, Style-& -Class über bestimmt 175 Zentimeter Körpergröße verteilt. Lacht auch nett. Dr. Martina Rudloff ist Leiterin des Gerhard-Marcks-Hauses am Wall. Steht da zum Pressetermin schön, schlau und elegant und streicht der Knienden Kuh (oder so ähnlich) des Herrn Marcks haustierroutiniert über den blanken Rücken. Hallo, Kuh, wie geht's Dir heute. „Ach ja“, sagt Frau Rudloff dazu den drei Herren vom Bundesinnenministerium mit genau dem Stolz, mit dem ich meinen Sandkastenfreunden nach den Nordseeurlauben '65-'69 meine Muschelsammlung zu erläutern pflegte.

„Ach ja“, sagt sie, „und dann die Tiere. Und was ich besonders liebe, sind die kecken Mädchen.“ Und schaut besonnen durch ihren Museumsraum. Der ist gerade richtig „intim“ und „still“ und „vertraulich“ und kriegt im Rahmen der Umbaumaßnahmen eine 20 Zentimeter höhere Decke und viel gleichmäßigeres Licht.

Es ist aber auch so schon sehr hübsch. Eine drollige kleine Kunstidylle, so betulich wie die Zeit, altmodisch bildungsbürgerlich wunderhübsch. Ja.

Anlaß dieses hinten und vorne etwas ausgefransten Artikels: Das Gerhard-Marcks-Haus am Wall wird zu seinem 100. Geburtstag im nächsten Jahr ordentlich erweitert. Der in den 60er Jahren angebaute hintere Ausstellungsraum kriegt zwei „einfach, klar und symmetrisch“ angelegte Flügel und einen Glasgang zum Rausgucken. Die Museumspädagogik unter Frau Hergert (die macht auch einen guten Eindruck) kommt auf den Dachboden, die Garderobe, Büros und Toiletten in den Keller.

Am Ausbau ist die Bundesregierung auf Initiative von Bernd Neumann (kulturpolitischer Sprecher der CDU/CSU -Bundestagsfraktion und CDU-Landeschef in Bremen) mit 700.000 Mark beteiligt. Darum hatte der Herr Neumann die Herren Franz Kroppenstedt (Staatssekretär im Bundesinnenministerium), Heinz Jürgen Wurm (persönlicher Referent des Staatssekretärs) und Dr. Sieghardt von Koeckritz (Abteilungsleiter Kultur im Bundesinnenministerium) nach Bremen geladen. Nein, wir sind nicht bei Loriot. Der heißt tatsächlich so. Eine freundliche Dame hat mir

alle Anwesenden fein buchstabiert. Nur bei den Herren sind wir etwas durcheinandergekommen. Die hatten alle eine weinrote Krawatte.

Da saß das Dreiergespann aus Bonn also gestern auf schwarzen Ikea-Plastikstühlchen im hinteren Ausstellungsraum, ließ sich brav mit Statuen und Dame abfotografieren, spazierte über die Terassen mit Kunst im Grünen und hörte einen netten Vortrag von Frau Rudloff über Marcks, Bauhaus und Museen. „Museen sollen nicht in ihrer Isolation vor sich hindösen“, sagt Frau Rudloff, „das ist sehr unzeitgemäß, dieser Weihegedanken.“

Irgendwie unzeitgemäß auch dieses Sitzen in sonnendurchfluteten schönen Museumszimmern, draußen rappeln Straßenbahnen mit Menschen drin, die 2,50 DM für die Fahrt bezahlt haben, röhren Autos mit anderen Menschen drin, die wahrscheinlich einer ganz normalen Arbeit nachgehen, juchzen Kinder und Touristen auf dem Weg zur Böttcherstraße.

Die und die Kunsthalle (was könnte anzugseriöse Staatsdiener in Bremen auch sonst interessieren) sieht sich die Abordnung des Bundesinnenministeriums aber erst später an.

Jetzt sitzt man im schönen Licht zwischen schönen Statuen und schaut sich schöne Zeichnungen an. Herr von Koeckritz hat eine fein intellektuelle Halb-Brille aufgesetzt. Über deren Rand schaut er glücklich auf Entwurfsskizzen für eine Marcks-Statue, die in seinem Arbeitszimmer steht.

Dazu noch „Hunderte über Hunderte“ Mutter-und-Kind-Skizzen. Das Rechte für alle auf

rechten Christdemokraten. Herr Koeckritz würde allerdings lieber die Serie „Stiere“ sehen.

Herr Lammek mit Wildhaar und Wollpulli, zuständig für das Werkverzeichnis Marcksscher Druckgraphiken, holt immer Neues aus blauen Pappkartons, bringt dabei etwas Durcheinander in die Sammlung, also „Orpheus“ viel zu früh in die Unterwelt, und verteilt schließlich Fotokopien eines Briefmarkenmotivs, das 89 kunstvoll auf Postsendungen gepappt werden darf.

Es wird bestimmt ein hübsches Museum. Zur großen Marcks -Ausstellung leiht Herr Koeckritz sogar seine Arbeitszimmerdekoration aus. Das ist nett.

Petra Höfer