Auf Gedeih und Verderb

■ Die Opposition im östlichen Mitteleuropa

Der Faszination der Nachrichten aus dem östlichen Mitteleuropa in diesen Tagen, 20 Jahre nach dem Prager Frühling und acht Jahre nach der Gründung von Solidarnosc in Danzig, kann ich mich nicht entziehen. Es ist der rigorose Pessimismus der dortigen Opposition, der mir nicht mehr aus dem Kopf will. Dieser Pessimismus, der hierzulande mit Resignation gleichgesetzt würde, ist dabei in Polen, der CSSR und Ungarn vor allem Antriebsfeder, das Gegenteil von Resignation.

Die Demonstration am 21.August in Prag war genauso davon bestimmt wie die Streiks in Polen. Der legendäre Arbeiterführer von Solidarnosc, Walesa, findet sie unzeitgemäß, sie passen ihm zum jetzigen Zeitpunkt nicht in den Kram, diese Streiks, und trotzdem ist er wieder, wie schon im Mai, die Schlüsselfigur bei den Streikenden auf der Danziger Lenin-Werft. Gleichzeitig hält er sich abseits, bietet sich als Vermittler der Regierung an und ist ständig bei den Streikenden präsent. Die Opposition kennt die Chancen, aber auch die Risiken der Demonstrations- und Streikwelle. Liberalisierung führt leicht zu Aufständen, und deren Ausgang ist schwer kalkulierbar.

Bestenfalls indirekte positive Folgen, Verunsicherung der jeweils eigenen Nomenklatura verspricht sich die Opposition von Gorbatschows neuer Politik. Die Euphorie mit der dem neuen Leader maximus aus Moskau hierzulande schon Denkmäler zusammen gesalbadert werden, wird weder in Polen noch in der CSSR noch in Ungarn geteilt. Und trotzdem ist die Erweiterung des Spielraums der demokratischen Opposition im östlichen Mitteleuropa nach wie vor auf Gedeih und Verderb mit Moskau verknüpft. Im Unterschied zu früheren Zeiten ist die Entwicklung der Opposition in Danzig, Prag und Budapest allerdings heutzutage mehr auf Gedeih denn auf Verderb mit der Moskauer Führung verbunden. Und so liegt es derzeit zumindest sehr viel mehr als zu früheren Zeiten in den Händen der Opposition, ob sie in den Machtkämpfen dieser Tage ihren Spielraum erweitern kann.

Max Thomas Mehr